Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Die beste Zeit ihres Lebens

Das Abitur ist geschafft, und wenn das Wetter besser wird, steht einem zauberhaften Sommer nichts entgegen - außer vielleicht ein Stück Rasen

Kolumne von Stephan Handel

Gerade jetzt ist übrigens die beste Zeit des Lebens. Natürlich nicht, wenn man Steuererklärungen bearbeiten muss, Straßen teeren oder Hagelschaden beseitigen, aber hey: Das Abitur ist rum! Wenn nun das Wetter auch noch besser wird, dann steht einem zauberhaften Sommer nichts mehr entgegen, den 1,1-Schüler genauso genießen können wie 2,6-Schüler, vielleicht sogar zusammen - weil das Alte zu Ende ist und das Neue noch nicht begonnen hat, weil nun eine pflichtfreie Auszeit wartet, bei der selbst der strengste Haushaltsvorstand einsieht, dass das Rasenmähen jetzt aber wirklich mal warten kann, bis November oder so.

Eingebürgert hat sich mittlerweile unter sehr vielen Absolventen ein sogenanntes Gap Year - ein Jahr Pause bis zum Beginn von Studium oder Berufsausbildung. Das Gap Year hieß früher, zumindest für die Jungs, Bundeswehr, da konnten sie einerseits sinnvolle Tätigkeiten wie Panzerputzen, Löchergraben und Rumballern lernen. Andererseits hat diese Zeit bei manchem dann doch den Wunsch geweckt, einen Beruf zu ergreifen, bei dem nicht so viele Befehle erteilt werden. Diese Phase, in der stumpfe Tätigkeiten viel Zeit zum Nachdenken lassen, ist nun durch das Gap Year ersetzt worden. Dagegen lässt sich nichts sagen - wie soll auch ein junger Mensch heute wissen, was er für den Rest seines Lebens machen will, wenn er vor wenigen Wochen immer erst jemanden fragen musste, wenn er aufs Klo wollte.

So haben also nun der Gapler und die Gaplerin den W15er und den Zivi ersetzt - mit Tagesfreizeit und dem süßen Reiz der Freiheit von Pflicht, mit - hoffentlich - endlosen Sommertagen am Flaucher, im Englischen Garten, am See, mit Nächten am Gärtnerplatz oder in den Clubs, wo dem Türsteher der Ausweis zum Beleg der Volljährigkeit unter die Nase gehalten wird. Die Eltern können das mit Gelassenheit, mit Freude, mit Stolz betrachten und ihren Kindern den freiesten Sommer, die beste Zeit ihres Lebens gönnen. Nur eines, aber wirklich nur, wenn sich's ausgeht: Zwischendurch vielleicht doch mal Rasenmähen?

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Quelle:
SZ vom 13.06.2019
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