Münchner Momente:Das kleine große Glück des Alltags

Frische Semmeln, alberne Kassiererinnen, Döner und ein Bier: Wie schön das Leben da draußen selbst in seinen Banalitäten ist, wird unserem Autor nach seiner Corona-Isolation erst richtig klar

Glosse von Thomas Schmidt

Den ersten Schritt vor die eigene Wohnungstür nach 336 Stunden häuslicher Gefangenschaft umweht ein Hauch von Abenteuer. Es ist ein Aufbruch ins Leben, zurück zur Freiheit. Frei nach Neil Armstrong: Ein kleiner Schritt für einen Mann... und doch so wunderbar.

Wer das Pech hat, sich zwei Wochen in Corona-Isolation begeben zu müssen, weil er plötzlich ansteckend ist wie das Lachen von Julia Roberts, der sieht die Welt anschließend wie ein Dreijähriger ein Bilderbuch: Alles ist irgendwie schön. Und es gibt so viel zu entdecken. Also auf zum Bäcker um die Ecke, endlich wieder frische Semmeln, die man nach überstandener Infektion nun auch wieder riechen und schmecken kann. Herrlich! Und was sagt die Angestellte hinter dem Tresen? Völlig egal. Wer sich wochenlang mit seiner Zimmerpflanze Fidibus unterhalten musste, freut sich schon über ein genuscheltes "Darfsnochwassein". Aber klar, packen S' noch eine Quarktasche dazu. Hach.

Nächste Station Supermarkt. An der Kasse schleicht sich eine Mitarbeiterin an ihre kassierende Kollegin heran, stülpt ihr ein Nudelsieb über den Kopf und verkündet: "Da! Schutzhelm! Gegen Corona!" Das Grinsen ist versteckt hinter der Maske, aber man sieht es blitzen in den Augen. Die Kassiererin kassiert weiter, jetzt eben mit Nudelsiebschutzhelm, und wünscht noch einen schönen Tag. Wenn sie wüsste!

Abends geht's dann zum weltbesten Dönermann. Nektar und Ambrosia? Pah, Döner und Helles! Wie toll ist das denn! Zum Mitnehmen, versteht sich. Der Dönermann täuscht mit den Zwiebeln an, die man explizit abbestellt hat, rammt die Gabel im letzten Moment dann aber doch ins Kraut daneben. Hundertmal erlebt, noch nie so genossen.

Auch dem Briefkasten muss natürlich noch ein Besuch abgestattet werden, der hat das sicher nötig nach zwei Wochen Entleerungsentzug. Und was wartet darin? Ein Brief vom Münchner Gesundheitsamt. Man solle sich "gemäß Ziffer 2.1.3 der Allgemeinverfügung unverzüglich" in Isolation begeben. Blöd nur, dass man derart isoliert nur schlecht an den Briefkasten im Erdgeschoss gelangt - man muss ja in der Wohnung bleiben. Liebes Gesundheitsamt, habt ihr schon mal von diesen neumodischen E-Mails gehört? Anrufen könnte man theoretisch auch. Per Post kommt die Aufforderung reichlich spät beim inzwischen Genesenen an. Sei es drum - wer gerade seine Freiheit wiedererlangt hat, den kann so schnell nichts erschüttern.

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