Münchner Momente:Aus der Not in die Krise

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Die Rolex-Knappheit in der Stadt lässt ratlos zurück - dabei haben die tapferen Münchner schon schlimmere Engpässe überstanden

Kolumne von Stephan Handel

Es ist nicht die Wohnungsnot, die die Münchner am meisten umtreibt im Moment, es ist auch nicht die Diskussion, ob die Radler den Autofahrern Platz machen müssen oder umgekehrt, die Münchner reden derzeit auch nicht so sehr über die überfüllten und unpünktlichen Züge, oder ob im OB-Büro demnächst jemand anders sitzt, das interessiert sie gerade auch noch nicht so wahnsinnig. Das größte Problem, das die Menschen ratlos zurücklässt, zu dem sie keine Lösung wissen und deshalb auch nicht, wie es weitergehen soll, ist ganz eindeutig: die Rolex-Krise.

Wie jedermann weiß, ist es völlig unmöglich, zumal in München, eine verlässliche Zeitauskunft zu erhalten, wenn man keine Rolex am Handgelenk trägt. Nun aber verkauft der Schweizer Hersteller seine Uhren lieber an Araber und an Russen. So liegen sie zwar in Münchner Schaufenster aus - aber erwerben kann sie der Münchner dort nicht, vielmehr erntet der mögliche Kunde ein müdes bis höhnisches Lachen auf sein Ansinnen. Tatsächlich also eine Krise, denn ohne Rolex weiß der Trambahnfahrer nicht, wann er losfahren muss, die Straßenreinigung ist unsicher, wann sie beginnen soll mit dem Straßenreinigen, und der Sandler am Hauseck kann schauen, wie er erfährt, wann der Supermarkt aufmacht fürs Augustiner-Frühstück.

Tröstend: die Stadt ist schon mit ganz anderen Notständen fertig geworden. Die Rucola-Knappheit etwa vor ein paar Jahren, als sich ein Schädling an den Pflanzen zu schaffen machte und deshalb die Versorgung nicht mehr funktionierte - tage-, wenn nicht wochenlang konnten die Münchner Restaurants keine Speisen mehr anbieten, weil ja in der Stadt praktisch nichts mehr serviert wird, über das nicht großzügig die Blätter von der Rauke gestreut sind. Die Kastanien-Katastrophe noch ein paar Jahre zuvor, als die Miniermotte den Bäumen die Blätter wegkaute: Bedauerlich für die Bäume natürlich, mehr aber noch für die Biergartengeher, denn ohne Kastanie brennt die Sonne auf die Mass und erwärmt sie vorzeitig. Nicht einmal das Landeskriminalamt konnte helfen, obwohl die ja eigentlich für Beschattungen zuständig sind.

Und ist die Stadt daran zugrunde gegangen? Natürlich nicht. Der Münchner hat sich eingerichtet in der Not, hat übergangsweise doch wieder Petersilie übers Essen verteilt und ist mit dem Sonnenschirm in den Biergarten gegangen. So wird der Einfallsreichtum der Münchner auch die Rolex-Krise meistern. Was zum Beispiel, wenn jemand erfinden würde, dass die stets präsenten Mobiltelefone auch die Zeit anzeigen könnten. Das wär mal was. Auf, Erfinder! Zeit wird's.

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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