Münchner Konzertsaal:Klassik gehört mitten ins Leben

Standort für Münchner Konzertsaal

Das bayerische Kabinett hat entschieden: Das neue Münchner Konzerthaus soll im Osten der Stadt gebaut werden.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

München bekommt einen neuen Konzertsaal. Am Ostbahnhof. Dort, wo früher die Pfanni-Fabrik war und jetzt Nachtclubs sind. Was für ein Glück.

Kommentar von Christian Krügel

Nun soll München also doch noch ein neues Konzerthaus bekommen. Zumindest hat sich die bayerische Staatsregierung jetzt festgelegt, wo sie eine Philharmonie für die Orchester des Bayerischen Rundfunks bauen möchte: nicht in Münchens Altstadt, sondern im Werksviertel am Ostbahnhof, einem neuen Stadtquartier, das in den nächsten Jahren auf den Ruinen der ehemaligen Pfanni-Fabrik entstehen soll. Eine "Jahrhundertentscheidung" nannte Ministerpräsident Horst Seehofer dies schon vorher. Er hat recht: Bayern und München trauen sich endlich, Neues zu wagen.

Dabei hatte Seehofer erst vor zehn Monaten das Projekt Konzertsaal kurzerhand aus seinem Programm genommen. Damals war er genervt von einer Debatte, in der sich viele echte Münchner Klassikfans, aber auch selbstverliebte Politiker, profilierungssüchtige Architekten, intrigierende Beamte und neidische Künstler jahrelang um den rechten Standort zankten.

Von Seehofers Basta-Entscheidung zu einer konstruktiven Debatte

Seehofers Basta-Entscheidung vom Februar löste viel Zorn aus - rückblickend muss man dem Ministerpräsidenten dankbar dafür sein. Denn aus der Wut der Kulturbürger wurde endlich eine konstruktive Debatte. Stadt und Land diskutierten plötzlich darüber, welche Bedeutung Kulturbauten für die Gestaltung einer Kommune, für das Zusammenleben in einer Stadtgesellschaft haben können. Und wie junges Publikum für klassische Musik begeistert werden könnte.

Davor war es eher um "Schöner Wohnen" für alteingesessene Klassikfreunde gegangen. Eine spektakuläre Architektur brauche es, eine tolle Akustik, aber sonst hätte alles so bleiben dürfen, wie es immer war: ein klassischer Konzertsaal in Münchens guter Stube, in der Nachbarschaft von Oper, Theater, Museum, Residenz. Dort wohnen seit Mozart und Wagner die Musen, dort ist es so schön heimelig - und dort hat man schon immer seinen Tisch im Lieblingsrestaurant nebenan reserviert, um gleich nach dem Schlussapplaus den Bruckner mit einem Riesling runterspülen zu können.

Daraus wird nun nichts; was für ein Glück! Die Klassik zieht hinaus in die Residenzstadtrandlage, ehemals für Knödelfabrikation bekannt, derzeit für Nachtclubs und Pop-Partys. In der Gegend rechnet heute niemand mit Klassik und Hochkultur, aber dort wächst die Stadt neu: Büros entstehen neben Ateliers, geförderter Wohnungsbau neben Designer-Lofts - und mittendrin Gastronomie, Bühnen, ein Konzertsaal. Wie in einem Labor wird man dort beobachten können, was urbanes Leben in Zukunft ausmacht. Das hätte vielleicht auch für die Idee einer "Musikstadt" rund um die Paketposthalle im Westen der Stadt gegolten. Das Projekt war der Staatsregierung aber dann doch zu kühn, zu unkalkulierbar, zu teuer.

Ein Scheitern ist nicht ausgeschlossen

Ein Kulturbau als Motor für die Stadtentwicklung - was in München nun das Ergebnis eines qualvollen Prozesses sein wird, haben andere Städte bewusst so geplant: Dortmund baute sein Konzerthaus mitten in ein Viertel, das zuvor eher für seine offene Drogenszene bekannt war. Bochum errichtet derzeit eine Philharmonie nahe einem Kneipenviertel und legt dazu gleich einen Entwicklungsplan fürs angrenzende Stadtquartier auf. Beide Konzerthäuser kommen ohne atemberaubende Architektur aus, sie setzen damit auch einen Kontrapunkt zur Elbphilharmonie in Hamburg. Ob neben deren spektakulärer Fassade nicht nur sündhaft teure Apartments gedeihen, sondern auch ein lebendiger Stadtteil entstehen kann, muss sich ja erst noch zeigen.

Denn mit neuen Konzerthäusern Stadt neu zu gestalten - das funktioniert nicht zwangsläufig. Auch in München ist ein Scheitern nicht ausgeschlossen. Aber der Versuch ist zumindest eine Rechtfertigung dafür, viele Millionen Euro auszugeben. Denn auch in dieser reichen Stadt ist der Bau eines Konzerthauses zunächst Luxus. Er lohnt sich aber, wenn klassische Musik andere Gesellschafts- und Altersschichten als bisher erreicht, gerade in München.

Neues schaffen mit Musik

Die Stadt wird bis 2030 um 300 000 Einwohner wachsen. Musik kann die neuen und alten Bürger zusammenführen, Kindern und Jugendlichen neue Welten erschließen, mit Traditionen experimentieren, Neues schaffen. Dazu braucht es einen niederschwelligen Zugang zur Hochkultur, eine neue Umgebung für neue Zuhörer, vielleicht wirklich eine Art 24-Stunden-Konzertsaal. Der Schlagzeuger Martin Grubinger fantasierte neulich bei einer der vielen Konzertsaal-Debatten darüber: "Was kann es Schöneres geben, als mitten in der Nacht mit Liebeskummer und einer Flasche Bier in der Hand Beethoven zu hören?"

Für Freunde des gepflegten Konzertabends mag diese Vorstellung ein Graus sein. Sie zeigt aber, wo Klassik hingehört: mitten ins Leben.

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