Sturm im Wasserglas" - so fasste Grünen-Stadtrat Florian Roth die Debatte im Kulturausschuss des Stadtrats um die Kammerspiele nach dem ersten Jahr der Intendanz von Matthias Lilienthal zusammen. Die Diskussion war zustande gekommen, weil die CSU-Fraktion in einem Dringlichkeitsantrag unter anderem Auskunft über Besucherzahlen, Auslastung und Abokündigungen am bedeutendsten Theater der Stadt haben wollte. Hintergrund war die zunehmende Unzufriedenheit vieler langjähriger Abonnenten des Theaters mit dem Kurs des neuen Intendanten, der viel stärker als bisher auf Performatives setzt. Das hatte letztlich auch zur Kündigung von Publikumslieblingen wie der Schauspielerin Brigitte Hobmeier geführt.
Wenn die Liebhaber eher klassisch-konservativen Sprechtheaters aber auf die Stadtrats-CSU als Rächer der Enterbten gesetzt hatten, dürften sie nach der gut eineinhalbstündigen Diskussion am Donnerstagnachmittag eher enttäuscht gewesen sein. Denn CSU-Kultursprecher Richard Quaas bemühte sich sehr, keinen Kulturkampf vom Zaun zu brechen. "Die Kritik in der Öffentlichkeit am neuen Konzept steht im Raum", sagte er, "ein gewisser Teil des Publikums fühlt sich an den Kammerspielen nicht mehr zu Hause." Als man Matthias Lilienthal ans Haus berief, habe man sicher auch das Experiment gewollt, dagegen sei auch nichts einzuwenden. Quaas wünschte sich aber, "dass sich im Programm auch jene Ansätze wiederfinden, die der andere Teil des Publikums will".
Zuvor hatte Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) davor gewarnt, allzu sehr "in den derzeit laufenden Veränderungsprozess" einzugreifen: "Kunst kann nur in Freiheit gedeihen." Von einer Krise könne keine Rede sein; neue Regisseure, neue Schauspieler und neue Ästhetiken bräuchten Zeit, sich durchzusetzen. Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal, dem Anlass angemessen im seriösen, schwarzen Kapuzenpulli erschienen, bezeichnete das erste Jahr seiner Intendanz als "ganz normale Spielzeit" was die Zahlen angehe: "153 000 zahlende Zuschauer und 73 Prozent Platzausnutzung, das liegt im statistischen Mittel der letzten 13 Jahre." Die Zahl der Studentenkarten habe von 13 auf 20 Prozent zugelegt, nach dem ersten Jahr habe es 18 Prozent Abokündigungen gegeben, gut die Hälfte davon habe man bisher durch neue Probeabos wieder ausgleichen können. Ganz aktuell liege die Platzausnutzung im Oktober und November bei 74 Prozent, die Einnahmen seien auf Plan.
Verhaltene Kritik kam auf Seiten der CSU nur noch von Stadtrat Marian Offman. Er wolle, "dass die Kammerspiele weiterhin eine ganz große Attraktion für alle bleiben" und regte an, die Besucher schriftlich zu befragen. Das will seine Partei demnächst auch formell beantragen.
Sonst aber konnten sich Küppers und Lilienthal über breite Unterstützung aus den übrigen Fraktionen freuen. Zu großer Form lief FDP-Stadtrat Wolfgang Heubisch, vormaliger bayerischer Kunstminister, auf. "Lilienthal war doch kein Unbekannter", spottete er, "dass er nach München kommt und hier das macht, wofür er in Berlin bekannt war - das ist natürlich starker Tobak!" Die Politik, die einen Intendanten berufe, müsse ihn dann auch arbeiten lassen und dürfe nach der Wahl keinen Einfluss mehr nehmen. "Was glauben Sie", rief er, "was nach dem ersten Jahr der Intendanz von Martin Kušej am Residenztheater los war. Und heute sind alle begeistert." Abokündigungen seien nach einem Intendantenwechsel völlig normal, überdies besagten die Zahlen auch: "Mehr als 80 Prozent der Abonnenten bleiben offenbar und schauen sich's zumindest noch ein weiteres Jahr an, was da passiert."
Julia Schönfeld-Knor (SPD) konnte ebenfalls nichts von einer Theaterkrise entdecken: "Es ist doch wunderbar und aufregend, dass die ganze Stadt über Theater diskutiert - genau das wollten wir doch." Sie freue sich über den Fortgang des Experiments. Ähnlich ging es Florian Roth von den Grünen. Der Veränderungsprozess sei vom Stadtrat bei der Wahl Lilienthals gewünscht gewesen, und Experimente hätten nun einmal immer mit Widrigkeiten zu kämpfen. Auch wenn ihm nicht jede Inszenierung gefalle und er selbst "ein großer Fan von Brigitte Hobmeier" sei: Zu Beginn der Intendanz von Frank Baumbauer sei fast das gesamte Ensemble gegangen, und dennoch habe das Theater danach viele große Erfolge gefeiert.
Trotz der recht eindeutigen Zustimmung sei die Diskussion richtig gewesen, befand schließlich Bürgermeister Josef Schmid (CSU), auch in der Stadt werde ja eifrig über die Kammerspiele debattiert. Auch Lilienthal bedankte sich "für die Intensität der Debatte" und spendete seinen Kritikern Trost: "Wir machen auch sehr viele normale Theaterproduktionen, demnächst Tschechows Kirschgarten und danach den Hamlet."