Münchner Kammerspiele:Willkommen in der Horrorküche

Münchner Kammerspiele: Dieser Hamlet an den Kammerspielen ist ein wirklich blutrünstiges Werk. Die Darsteller kippen sich das Kunstblut literweise über die Köpfe.

Dieser Hamlet an den Kammerspielen ist ein wirklich blutrünstiges Werk. Die Darsteller kippen sich das Kunstblut literweise über die Köpfe.

240 Liter pro Aufführung: So viel Kunstblut fließt während der aktuellen Hamlet-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen. Das Rezept dafür kennt nur eine Frau.

Von Christiane Lutz

Das Blut schmeckt gar nicht schlecht. Ein bisschen beerig, süß und es scheint auch ein Gewürz drin zu sein. Paprika? "Nein". Tomate? "Die kriegen Sie doch nie wieder aus Ophelias Kleid raus." Dagmar Dudzinski nimmt das Probiergläschen zurück, in dem die dunkelrote, dicke Flüssigkeit wabert, und lehnt sich amüsiert zurück. "Ich verrate meine Rezeptur nicht", sagt sie. Ein guter Koch verrät sein Rezept auch nicht.

"Nur so viel: Mein Blut ist zu hundert Prozent aus natürlichen Inhaltsstoffen. Die können Sie alle im Supermarkt kaufen. Und aufessen." Dagmar Dudzinski ist Blutmischerin an den Kammerspielen. Gut, eigentlich ist sie Requisiteurin, das schon seit 29 Jahren. Aber seit November beschäftigt sie vor allem ein großer Auftrag: Wie um alles in der Welt stellt man Blut selbst her? Schlappe 240 Liter hat sich Regisseur Christopher Rüping für seine Hamlet-Inszenierung gewünscht.

240 Liter Blut, die im Laufe jeder Vorstellung auf der Bühne herumgespritzt werden. Müssten die Kammerspiele diese Menge Blut kaufen, wären sie ein Vermögen los, denn ein Liter Theaterblut kostet zwischen 30 und 50 Euro, wären also mehr als 7000 Euro - pro Vorstellung, denn das Theaterblut lässt sich nicht zweimal verwenden. Also fing Dudzinski an zu experimentieren.

Jedes Theater braucht Blut. Ständig wird ja wer aufgeschlitzt, ständig stirbt einer, vor allem die Klassiker der Literatur sind voll von Toten. Zwar scheint die ganz große Blutschleuderzeit am Theater vorbei zu sein, so richtig schocken tut es die Zuschauer - wie Nacktheit auf der Bühne- eben nicht mehr.

Aber so ein paar Fläschlein hat jede Requisite immer im Kühlschrank stehen und bestellt bei Bedarf bei einem der großen Kunstbluthersteller wie Safex, Kryolan oder dem kleinen bayerischen Händler namens Bluat. Da gibt es das Blut in Flaschen und Spritzen zu kaufen, zum Anrühren und in kleinen Beißbeuteln, falls der Held nach dem Kinnhaken noch dramatisch aus dem Mund bluten soll. Aber eben nicht ganz billig.

"Also bin ich in den Supermarkt marschiert und habe mal alles eingepackt, was vielleicht passen könnte", sagt Dagmar Dudzinski. In der Requisite dann mischte sie, rührte, probierte, schmierte, wusch, verwarf wieder alles. Theaterblut muss schließlich einiges können. In erster Linie muss es auswaschbar sein, sonst protestieren die Kostümbildner.

Anders als beim Film, wo einmal beschmierte Klamotten nach dem Dreh weggeworfen werden können, ist ein Kostüm in der Regel eine Maßanfertigung und muss für jede Vorstellung wieder gereinigt werden. Theaterblut muss hautverträglich und im Idealfall auch essbar sein, wenn einem Schauspieler mal ein Schlückchen runterrutscht.

Dagmar Dudzinski ist eine fröhliche kleine Frau. Tatsächlich eher Typ Köchin als vergeistigte Künstlerin. Sie fährt gern Motorrad und sammelt, Überraschung, oft Kräuter im Wald, die sie dann weiterverarbeitet. "Wenn ein Regisseur kommt und sagt, er braucht 240 Liter Blut, ist das einfach nur eine neue Aufgabe", sagt sie. So sei sie stets zuversichtlich gewesen, die richtige Mischung rechtzeitig zu finden.

Einige Blutversionen hat sie verworfen: zu rosa, zu braun, zu dünn, zu dick. Heilerde war in einer frühen Mischung mal drin, flog wieder raus. Gelatine auch. Pünktlich zur Generalprobe aber hatte sie den Dreh raus. Sie wiederholt stolz: "Alles natürliche Inhaltstoffe, nichts Chemisches." Darin liegt auch der einzige Nachteil ihrer Mischung: Sie ist nicht sehr lang haltbar.

"Wasser, Zucker, Rote Beete"

Schön zu sehen ist der Einsatz von Kunstblut aktuell außer an den Kammerspielen noch am Residenztheater in Macbeth von Andreas Kriegenburg. Die Inszenierung beginnt schon damit, dass ein Pulk blutüberströmter Männer beisammen steht. Und auch sonst ist Macbeth blutmäßig nach Hamlet derzeit die Nummer zwei, auch da wird im schönsten Rot großzügig rumgeschmiert. Das Residenztheater allerdings kommt mit den handelsüblichen Größen aus, dieser Macbeth verbraucht nur zwischen fünf und zehn Liter Kunstblut pro Vorstellung - Mengen, über die Dudzinski nur lachen kann.

Sie führt auf die Unterbühne unter der Kammer 2, da hin, wo das Blut nach der Vorstellung abgepumpt wird, dann allerdings als dreckiger Schmonz. Dort steht auch der 1000 Liter umfassende weiße Kanister, in dem die frisch angerührten Liter für Hamlet parat stehen. "Heute sind es wohl eher so 300 Liter", schätzt Dudzinski mit Blick in den aufgeschnittenen Kanister und umarmt ihn beinahe, während sie spricht.

Seit 15 Uhr bereitet sie vor: Zutat um Zutat arbeitet sie ein, oft mit Hilfe eines Handrührgeräts, mit dem sonst Beton gemischt wird. Dabei muss sie eine bestimmte Reihenfolge einhalten, damit die Masse nicht klumpt. Aber was ist denn nun wirklich drin, in Dudzinskis Blut? "Wasser, Zucker, Rote Beete. Den Rest verrate ich nicht." Duzinski prüft noch einmal, ob die Mischung warm genug ist. Die Schauspieler sollen ja nicht frieren, wenn sie später damit übergossen werden. Außerdem, sagt Dudzinski, sei richtiges Blut ja auch warm.

Der Kanister hängt eine Stunde später zu Vorstellungsbeginn an der hinteren Bühnenwand. Die Kammer 2 ist komplett besetzt, Dagmar Dudzinski steht neben der Zuschauerbühne, halb versteckt, und prüft noch, ob auch alles fließt. Es fließt: Katja Bürkle, Walter Hess und Nils Kahnwald zapfen eimerweise Blut daraus, schleudern es auf den Bühnenboden, ein Gitter, durch das es hinuntertropft in ein Auffangbecken.

Später - dieser Hamlet ist ein wirklich sehr blutrünstiges Werk - kippen sie es sich literweise über die Köpfe, nehmen es schluckweise in den Mund, spucken es aus. Dazu ist ein Konfettigebläse im Einsatz, dass fröhlich bunte Papierschnipsel umherweht. Mit anderen Worten: eine gigantische Sauerei.

Nach Vorstellungsende, gegen viertel vor zehn dann, wenn die Schauspieler längst unter der warmen Dusche stehen, beseitigt Dagmar Dudzinski mit ihren Kollegen von Technik und Requisite noch das Chaos auf der Bühne. Alles muss abgebaut werden, am nächsten Tag wird hier das Stück "8 ½ Millionen" gespielt. Das, was vom Blut übrig ist, sammeln sie in einem Becken auf der Unterbühne, von dem aus die ganze Pracht schließlich Liter um Liter im Abfluss verschwindet.

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