Münchner Kammerspiele:Konzeptloses Versuchslabor

Hanitzsch-Karikatur für MRB-Forum 14.11.2016

Karikatur: Dieter Hanitzsch

Die künstlerische Ausrichtung der Münchner Kammerspiele unter Intendant Matthias Lilienthal weckt wenig Begeisterung unter SZ-Lesern

"Die urbane Kultur von morgen" vom 4. November und "München leuchtet rot vor Wut" vom 5./6. November:

Falscher Ort für Experimente

Theater hatte schon immer die Verpflichtung zu experimentieren und Neues zu wagen. Doch Kulturreferent Hans-Georg Küppers hat in fahrlässiger Risikobereitschaft zugelassen, dass aus den Münchner Kammerspielen ein konzeptlos wirkendes Versuchslabor geworden ist, in dem alles einmal ausprobiert werden darf - "ohne Angst vor Produkthaftung". Das "Unfertige, noch im Schwange sich Befindende" des vor Ideen sprühenden Matthias Lilienthal mag zweifelsohne eine Bereicherung der Kunstszene sein, doch das renommierte Theater der Stadt München ist dafür die falsche Bühne.

Mit der Berufung zu deren Intendanten hat Küppers weder Lilienthal noch den Kammerspielen, dem Ensemble und den Zuschauern einen Gefallen getan. Danke, Herr Küppers, für den Hinweis, in einer Stadt wie München gebe es Alternativen. Unser Freundeskreis hat schon im Sommer die Konsequenzen gezogen und ist auf die gegenüber liegende Straßenseite ins Residenztheater gewechselt. Jetzt hoffen wir nur, dass eine so überragende Schauspielerin wie Brigitte Hobmeier uns dorthin folgt. Franz Stepan, Ottobrunn

Kunst, die nicht überzeugt

Rot vor Wut möchte man auch werden, wenn es in der SZ heißt, über Brigitte Hobmeier sei "die Entwicklung des Theaters ... hinweggegangen", dies im Vergleich mit Shenja Lachers Entscheidung, das Residenztheater zu verlassen. So gut gelungen diese rhetorische Figur im Textzusammenhang auch sein mag, so sehr falsch ist sie: Nicht das Theater ist über Brigitte Hobmeier hinweggegangen, sondern das Theater hat sich innerhalb einer einzigen Spielzeit unterhalb von ihr gleichsam in Belanglosigkeit aufgelöst. Dann ist wahrlich für Weltklasse-Schauspielerinnen wie Brigitte Hobmeier (Wiebke Puls und Annette Paulmann sind hier genauso gemeint) kein rechter Platz mehr.

Hans-Georg Küppers als Verantwortlicher für die jetzige Lage der Kammerspiele drückt im Interview feinsinnig sein Verständnis dafür aus, dass "sich ein Schauspieler in diesem Ensemble zur Zeit nicht wiederfindet", feinsinnig wegen der Unterscheidung von "Schauspieler" und dem, was Küppers "Ensemble" nennt.

Die Kammerspiele bleiben von den Räumlichkeiten her unvergleichlich schön, von der bisherigen Rolle als einem der führenden Theater im deutschsprachigen Raum ist aber herzlich wenig übrig - zumeist nur unbedeutende, langweilige Aufführungen. Sicher haben die Akteure bei der Entwicklung ihrer Projekte viel Spaß, ebenso sicher aber erreichen die Arbeitsergebnisse das bisherige Niveau der Kammerspiele nicht einmal annähernd. Besonders enttäuscht die konsequente Ausrichtung am Mainstream - wie bei Talkshows alles bequatschen lassen und im Übrigen, die Theaterliteratur aussparend, herausgepickte Stellen aus Romanen als Theater präsentieren.

Unverständlich ist der Unterton im Interview mit Hans-Georg Küppers, wonach ein Theater wie die Kammerspiele "sich auch entwickeln kann und darf", um nicht "Entwicklungen zu verpassen", ein Unterton, der ja anklingen lässt, dass vor der Intendanz Lilienthal solche Entwicklungen des Theaters gefehlt hätten - als ob nicht gerade das unter Baumbauer und Simons exemplarisch und künstlerisch überzeugend geschehen ist.

Entgegen der journalistisch jetzt einsetzenden, deutlich werdenden Kritik hat aber auch die SZ die eigentliche Sensation der Intendanz Lilienthal bislang unkommentiert gelassen: Gemeint sind die Ankündigungen neuer Aufführungen durch Matthias Lilienthal und seinen Chefdramaturgen Benjamin von Blomberg bei den Abo-Konferenzen - das ist jedes Mal neugierig machend, überzeugend, ja begeisternd.

Diese großartigen Präsentationen verdienen es, als eigene Kunstform anerkannt und gewürdigt zu werden. Weil nach diesen Ankündigungen aber nicht mehr viel kommt, leuchtet München wiederum rot vor Wut. Dr. Dieter Schneider, Unterhaching

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