Süddeutsche Zeitung

Münchner in der Lindenstraße:"Ein offenes, streitlustiges Volk"

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Am Sonntag zieht eine bayerische Familie in die Lindenstraße ein - Produzent Hans W. Geißendörfer über das Wesen des Münchners.

Merle Schmalenbach

In der Lindenstraße zieht am Sonntag die Familie Stadler ein. Sie soll das münchnerische Element der in München spielenden, aber in Köln produzierten Serie betonen. Die SZ sprach mit Produzent Hans W. Geißendörfer über Lokalkolorit und Grantler.

SZ: Wieso kommt die neue Lindenstraßen-Familie aus München?

Geißendörfer: Weil uns die Münchener ausgehen. Wir hatten eine ganze Reihe, aber die sind uns langsam weggestorben. Als letzte die Else Kling.

SZ: Und jetzt muss Ersatz her.

Geißendörfer: Die Serie spielt schließlich in München. Hier leben viele Zuagroaste, aber es gibt auch noch ein paar Münchner in München.

SZ: Was ist denn überhaupt ein waschechter Münchner?

Geißendörfer: Ja Gott, um als Münchner zu gelten, muss man hier schon geboren sein. Am besten auch die Eltern und Großeltern. Deshalb sind nach den fiktiven Biographien auch alle Stadlers in München geboren. Und der schöne, weiche Dialekt gehört natürlich auch dazu.

SZ: Der war in der Serie bisher nie so wichtig. Haben sich da die Münchner Zuschauer nie beschwert?

Geißendörfer: Es hielt sich in Grenzen. Doch als Else Kling, unsere bayerische Kultfigur, gestorben ist, haben viele nachgefragt: Ist ihre Nachfolgerin wenigstens aus München? Das hat uns aber nicht so beeinflusst. Wir brauchten in erster Linie eine gesunde Familie. Die anderen haben wir ja auseinandergetrieben, durch Scheidungen und Konflikte.

SZ: Bleibt das Familienleben denn diesmal intakt?

Geißendörfer: Ich denke schon. Leider ist es schwierig, Harmonie zu erzählen. Konflikte und Katastrophen sind für den Zuschauer spannender. Aber die Familie wird schon zusammenhalten. Das hoffe ich mal. Die Stadlers sind ganz normale Leute, der Vater ist Installateur, die Mutter Politesse, der Opa war ein nicht ganz erfolgreicher Fotograf, hat sich aber durchgeschlagen mit seinen Fotos. Die Töchter gehen normal zur Schule.

SZ: Die Münchner Schickeria bleibt ausgespart?

Geißendörfer: Sie ist ohnehin die langweiligste Schickeria in Deutschland. Ich will da niemanden beleidigen. Aber das ist eine Nachmacher-Schickeria. Die ist nicht kreativ, die entwickelt nichts, setzt keine Trends. Wenn irgendwo in New York jemand die Sonnenbrille falsch rum aufsetzt, machen das auch die Münchner.

SZ: Da ist Ihnen ein Nörgler lieber: Opa Adi, gespielt von Philipp Sonntag.

Geißendörfer: Er ist nach außen hin sehr mürrisch, aber man merkt ihm an, wie stark er lieben kann. Er ist ein herzensguter Grantler, hat das Herz am rechten Fleck. Oder besser: am linken. Es gibt auch Ähnlichkeiten zu mir. Ich bin genauso alt, war wie er ein engagierter 68er, bin es heute noch. Aber so ein Grantler wie der Opa Adi bin ich auf keinen Fall.

SZ: Obwohl Sie ihn selbst sogar mal spielen wollten.

Geißendörfer: Das war eine Koketterie. Aber dafür ist die Figur zu gut, dafür braucht es einen Vollblutschauspieler, der das wirklich kann. Es wäre wahrscheinlich eine Katastrophe geworden, wenn ich die Rolle übernommen hätte.

SZ: Für den Nachwuchs haben sie zwei junge Schauspielerinnen engagiert - die kommen nicht aus München.

Geißendörfer: Sie sind noch schulpflichtig. Deshalb stammen sie aus Nordrhein-Westfalen, wo wir drehen. Um den Dialekt zu lernen, bekommen die Mädchen Sprachtraining. Uns kommt ja zugute, dass der Münchner Nachwuchs heutzutage nicht mehr so versessen auf seinen Dialekt ist. Die Münchner Kindl sprechen einigermaßen hochdeutsch. Da fallen unsere Mädchen nicht so auf.

SZ: Und die Drehbuchschreiber? Kennen die sich mit München aus?

Geißendörfer: In München aufgewachsen ist Irene Fischer, die auch die Anna Ziegler spielt. Außerdem bin ich da, als Korrektor. Ich habe 20 Jahre in München gelebt und mich immer sehr wohl gefühlt. Ich hab' dort meine ersten Filme gedreht, bin noch immer jede zweite Woche in München. Ich mag die Münchner Bayern, das ist ein offenes, streitlustiges, herzbetontes Volk. Mia san mia! Das Eigensinnige gefällt mir. Die Menschen sind innerhalb ihrer Welt kreativ, lassen sich nicht alles gefallen.

SZ: Und was nervt sie?

Geißendörfer: Der Konservatismus. Der kann auch zum Stillstand führen. Sogar zur Aggression, wenn jemand was verändern will. Die Sturheit, der Katholizismus in seiner Enge... Auch die Fahrradfahrer sind gefährlich. So sehr ich es unterstütze, dass Leute mit dem Rad fahren: Ich bin schon dreimal mit Radlern zusammengestoßen. Die rasen mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit die Leopoldstraße entlang. Als Fußgänger hört man von irgendwoher ein Klingeln und fragt sich: Gilt das mir? Von wo ist das gekommen? Bis Sie darüber nachgedacht haben, sind Sie schon angerumpelt.

SZ: Was ist mit anderen Münchner Klischees, zum Beispiel der Lederhose?

Geißendörfer: Die werden doch nur auf dem Oktoberfesten getragen, am liebsten von Japanern. Die Alltagstracht verliert an Bedeutung. Den Münchner Taxifahrer, der in der Lederhose unterwegs ist, den müssen Sie wirklich suchen.

SZ: Also wird die Familie in der Lindenstraße keine Lederhosen tragen?

Geißendörfer: Doch, zum Oktoberfest werden die Stadlers vielleicht mal Tracht tragen. Übrigens: Ich erinnere mich daran, dass selbst Frau Beimer mal in der Versuchung war, ihrem Jüngsten, Klaus, eine Lederhose anzuziehen.

SZ: Und?

Geißendörfer: Er wollte nicht.

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SZ vom 06.09.2008/af
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