Münchner im Exil:Die Diplomatie der "Tüpfelhyäne"

160719 VIENNA July 19 2016 Helga Schmid L Front Deputy Secretary General for Political

Die Hartnäckigkeit von Helga Schmid (hier mit dem iranischen Vize-Außenminister Abbas Araghchi) kennt jeder, der in Europa mit Diplomatie zu tun hat.

(Foto: Xinhua/Imago)

Ohne das Verhandlungsgeschick von Helga Schmid wäre das Atomabkommen mit Iran vielleicht nicht zustande gekommen. Nach den Sommerferien wird die gebürtige Dachauerin Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Brüssel

Von Daniel Brössler

Es war ein festlicher Abend in der Residenz des deutschen Botschafters bei der Europäischen Union. Frank-Walter Steinmeier war erschienen, um jene Frau zu ehren, ohne die das Atomabkommen mit Iran vielleicht nicht zustande gekommen wäre. Der deutsche Außenminister fand viele lobende Worte für Helga Schmid und ihre Leistungen als Spitzendiplomatin, für die er ihr gleich das Bundesverdienstkreuz anheften würde. Zuvor aber konnte er sich eine kleine Anekdote nicht verkneifen. Sein Vorgänger Joschka Fischer habe Helga Schmid ja als "seine Hyäne" bezeichnet, verriet Steinmeier dem Festpublikum. Alle lachten, auch Schmid.

So ganz stimme die Geschichte ja nicht, sagt Schmid ein paar Monate später bei einer Tasse Kaffee in ihrem Büro. Ihr einstiger Chef Fischer habe sie nicht eine Hyäne, sondern "Tüpfelhyäne" genannt. Tüpfelhyänen sind geschickte Jäger. Sie gelten als flexibel und vor allem als außerordentlich hartnäckig. Es handele sich überdies - im Gegensatz zu gewöhnlichen Hyänen - um durchaus "elegante Tiere", erläutert die Diplomatin. Weshalb, wie sie in dezentem Münchnerisch versichert, bis heute gut damit leben könne, dass Joschka Fischer sie so tituliert habe. "Es war damals wirklich als Kompliment gemeint gewesen. Wenn die einen Knochen hat, lässt sie ihn nicht mehr los. Und da ist schon was dran", sagt die Frau, deren Hartnäckigkeit niemand ernsthaft in Zweifel zieht, der in Europa mit Diplomatie zu tun hat.

Geboren und aufgewachsen ist Schmid in Dachau, studiert hat sie in München. "Ich fühle mich schon als Münchnerin", sagt Schmid. Anfang der Neunzigerjahre war sie in Washington eingesetzt, lebte danach in Berlin und ist nun schon lange in Brüssel. Schmids geräumiges Büro im noch ziemlich neuen Gebäude des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Brüssel unterscheidet sich von dem vieler mächtiger Kollegen durch vielfältige Zeichen von Leben. Helga Schmid gehört nicht zu denen, die glauben, das alltägliche Chaos ließe sich durch einen leeren Schreibtisch ordnen. Bei ihr stapeln sich Bücher und Papiere. An der Wand hängt das Plakat einer Ausstellung mit Werken des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff.

Zum Kaffee bittet Schmid ihren Besuch in der Sitzecke mit der lilafarbenen Ledermöbelgarnitur. In der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, verkündet sie schließlich fröhlich-bestimmt, habe man "schon einiges erreicht".

Was schon auch heißt, dass sie selbst einiges erreicht hat, denn Schmid ist praktisch von Anfang an dabei. 2006, lange bevor der Auswärtige Dienst geschaffen wurde, übernahm sie die Leitung einer kleinen Abteilung, die dem damaligen EU-Außenbeauftragten Javier Solana zugearbeitet hat. 2011 wurde sie dann stellvertretende Generalsekretärin des neuen Auswärtigen Dienstes. Nach den Sommerferien wird sie überraschend den höchsten Job im Haus unterhalb der Außenbeauftragten Federica Mogherini übernehmen. Als Generalsekretärin hat sie dann eine Behörde mit mehr als 4000 Beamten zu managen. Und das, obwohl ihre Zeit in Brüssel dieses Jahr eigentlich zu Ende gehen sollte.

Typisch für Schmids untypische Karriere aber ist, dass kein Chef sie je freiwillig ziehen lassen wollte. 1994 hatte sie als junge Diplomatin bei Klaus Kinkel als erste und einzige Frau im Ministerbüro angefangen, zuständig erst einmal für "Kultur und Briefeschreiben". Als Joschka Fischer Außenminister wurde, hatte sie sich mit der Spezialisierung auf das Thema Europa bereits so unentbehrlich gemacht, dass der Grünen-Politiker sie bat, ein paar Monate zu bleiben, um sich um die deutsche EU-Präsidentschaft zu kümmern. Man habe sich "ganz gut zusammengerauft", sagt Schmid. Aus Monaten wurden Jahre, die "Tüpfelhyäne" stieg auf zu Fischers Büroleiterin. "Irgendwie ist es mein Schicksal, dass ich sehr lange in meinen Positionen bleiben kann", sagt Schmid, als könne sie sich das gar nicht erklären.

Als sie 2005 zu Solana nach Brüssel wechselte, sollte das eigentlich für vier Jahre sein. Doch die Münchnerin wurde wieder einmal unentbehrlich. Zuerst für die erste Chefin des Auswärtigen Dienstes, Lady Catherine Ashton, und dann für deren Nachfolgerin , die Italienerin Federica Mogherini. Beiden diente Schmid als Unterhändlerin in den schwierigen Verhandlungen um das iranische Atomprogramm, die 2015 nach Jahren zu einer Einigung geführt hatten. "Ich habe persönlich jedes Wort in diesem Abkommen von über hundert Seiten verhandelt", sagt Schmid selbst über "eines der spannendsten Dinge, die ich in meiner Karriere gemacht haben werde". Die Iraner hätten ihr zwar nicht die Hand geschüttelt, erzählt sie, aber als Profis hätten sie sie respektiert.

Nach Abschluss der Verhandlungen ist Schmid häufig mit dem Satz zitiert worden, Frauen seien die besseren Verhandler. "Das habe ich irgendwann mal ein bisschen polemisch gesagt, aber es ist vielleicht ein bisschen was dran", erläutert sie. Frauen könnten besser zuhören. Das sei ihr bei den Iran-Verhandlungen oft zu Gute gekommen. Es sei "schon schwierig gewesen, sich die langen Tiraden da anzuhören, aber es hat geholfen zu verstehen: Wo steht die andere Seite?" Und vielleicht sei es auch ein Vorteil gewesen, "aus der vermeintlichen Position des Schwächeren Züge machen zu können, die dann unerwartet kamen".

Als Helga Schmid nach einem Studium in München und einem Auslandsjahr an der Sorbonne in Paris mit der Diplomatenausbildung am Auswärtigen Amt begann, stellten Frauen in ihrem Jahrgang gerade einmal neun Prozent. Frauen auf Abteilungsleiter-Ebene waren unbekannt. Die Tatsache, dass sie später bei Kinkel als Referentin im Ministerbüro anfangen durfte, erschien wegen ihres Geschlechts noch so bemerkenswert, dass mehrere Zeitungen darüber schrieben - und keineswegs nur freundlich.

Helga Schmid hat das nicht vergessen. "Die Konsequenz, die man daraus zieht: Man muss sich natürlich doppelt behaupten", sagt sie. Später habe sie häufig die Erfahrung gemacht, dass Frauen sich gründlicher vorbereitet hätten. Männer glaubten "eher, sie können sich Lücken erlauben". Gründliche Sachkenntnis sei es auch gewesen, die ihr den Respekt der Iraner gesichert habe.

Umso mehr ärgert es die Diplomatin, wenn die zentrale Rolle der EU bei den Iran-Verhandlungen unter den Tisch fällt. Was durchaus typisch sei: "Alles was positiv ist, ist immer das Verdienst der Nationalstaaten. Was negativ ist, waren die Brüsseler Bürokraten." Schmid jedenfalls hält ihre Behörde - die zwar kein Außenministerium ist, aber doch so etwas Ähnliches - für eine Erfolgsgeschichte. Europa habe keine Telefonnummer, hatte sich Henry Kissinger einst beklagt. Mittlerweile würden Nicht-EU-Staaten "wirklich sehr, sehr gerne" mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst zusammenarbeiten, versichert die Diplomatin. "Weil sie halt jetzt eine Telefonnummer haben. Auf meiner Ebene rufen die Helga Schmid an."

Über die Jahre hat sich die Deutsche ein riesiges Netzwerk an Kontakten aufgebaut. Wenn irgendwo in der Welt etwas passiert, gibt es für sie immer einen Ansprechpartner. Sie ist dann gewohnt, zum Smartphone zu greifen und auf dem kurzen Dienstweg rauszufinden, ob alles in Ordnung ist. Wenn irgendwo ein Terroranschlag verübt wird, erkundigt sie sich schon routinemäßig per SMS, ob alle, die sie kennt, in Sicherheit sind.

Vor ein paar Wochen war es umgekehrt. Da wollten Freunde und Kollegen, auch aus Israel, von ihr wissen: Bist Du schon in München? An dem Freitag, an dem David S. in München neun Menschen und sich selbst tötete, saß Helga Schmid in Brüssel fassungslos vor dem Fernseher. Als Kind hatte sie mit ihren Eltern im Olympia-Einkaufszentrum viele Einkaufssamstage verbracht. Schmid hat "alle, die ich in München kenne, angerufen und angesimst, um zu sehen, dass sie auch wirklich in Sicherheit sind". Eine Münchner Freundin hatte sie noch kurz vor den Schüssen gebeten, ihr eine spezielle Pfeffermischung aus einem Bioladen zu besorgen. Die Freundin wollte sich gleich auf den Weg machen, und war dann erst einmal nicht zu erreichen. Erst nach einer Weile wusste Schmid, dass ihre Freundin in Sicherheit war. Der Frau, die jeden Tag mit Krisen in aller Welt zu tun, setzte es zu, dass die Krise ihr Zuhause erreicht hatte.

Zu Hause ist Helga Schmid zwar häufig, genau genommen aber auch wieder nicht. Oft kommt sie nicht weiter als bis zum Münchner Flughafen. Auf ihren vielen Reisen, vor allem in den Osten, muss sie dort häufig umsteigen. Auf dem Weg zum nächsten Flieger hat Helga Schmid dann allerdings ein Ritual. "Als erstes kaufe ich immer eine Butter-Breze", sagt sie. So viel Zeit muss sein.

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