Münchner Hospizverein "Da Sein":"Der Tod hat für mich seinen Schrecken verloren"

Der Tod ist in ihrem Job allgegenwärtig: Margit Kreibe und Gabriele Grünewald arbeiten für den Münchner Hospizdienst "Da Sein". Sie gehen zu unheilbar kranken Menschen nach Hause oder ins Krankenhaus und kümmern sich um sie - auch wenn es ihnen selbst manchmal schwerfällt.

Melanie Staudinger und Rani Nguyen

Manchmal geht es ganz schnell. Das Telefon in den Büroräumen des Hospizvereins "Da Sein" klingelt, und keine Stunde später sitzen Gabriele Grünewald und Margit Kreibe schon am Bett eines Patienten. Die Frauen sind hauptamtliche Sterbebegleiterinnen. Sie kümmern sich um unheilbar kranke Menschen, machen ihnen das Sterben so angenehm wie möglich. Manchmal besuchen sie ihre Klienten nur ein oder zwei Mal, andere wiederum betreuen sie über Monate oder Jahre hinweg. Die Arbeit verlangt von beiden viel ab - und doch wollen sie ihren Job nicht missen.

Münchner Hospizverein "Da Sein": Margit Kreibe, 56, und Gabriele Grünewald, 54, begleiten Menschen bei ihrer Arbeit für den Münchner Hospizdienst DaSein in den Tod.

Margit Kreibe, 56, und Gabriele Grünewald, 54, begleiten Menschen bei ihrer Arbeit für den Münchner Hospizdienst DaSein in den Tod.

(Foto: Rani Nguyen)

Süddeutsche.de: Haben Sie Angst vor dem Tod?

Gabriele Grünewald: Nein. Ich bin neugierig auf den Tod, neugierig darauf, wie ich sterben werde. Ob es lang sein wird, wo ich sterben werde, wer bei mir sein wird, wie das sein wird.

Margit Kreibe: Angst vor dem Tod habe ich auch nicht. Was mir aber Angst macht, ist das lange Leiden. Wird jemand da sein, der dieses Leiden lindern kann? Ich habe mich sehr intensiv mit dem Thema befasst. Ich habe eine Patientenverfügung und auch schon ganz genau festgelegt, wie meine eigene Beerdigung aussehen soll.

Süddeutsche.de: Hat sich Ihr Bild vom Tod verändert, seitdem Sie Hospizhelferin sind?

Grünewald: Oh ja, meine ersten Erfahrungen mit Tod und schwerer Krankheit waren schlimm. Meine Mutter ist früh gestorben, mein Vater hatte Alzheimer. Das war eine schwere Zeit für mich, in der ich mich alleingelassen gefühlt habe. Für mich war die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Krankheit in meiner Arbeit heilsam - und der Tod hat für mich seinen Schrecken ein wenig verloren.

Kreibe: Ich habe schon sehr viele Menschen sterben sehen. Mir ist bewusst geworden: Der Tod gehört zum Leben.

Süddeutsche.de: In der Gesellschaft aber wird der Tod tabuisiert.

Grünewald: Leider immer noch zu sehr, ja. Aber wir stellen fest, dass immer mehr Familien wieder wollen, dass ihre Angehörigen zuhause sterben. Auch wir als Hospizbewegung wollen den Tod zurückholen in den Alltag, die Familien und in die Gesellschaft. Und den Menschen damit wieder eine Sicherheit und Selbstbestimmtheit in der Phase des Sterbens geben.

Süddeutsche.de: Dennoch wird noch immer zu wenig über die eigenen Bedürfnisse in Bezug auf Tod und Sterben geredet.

Grünewald: Meine Erfahrung sagt mir, dass die meisten zu Hause sterben wollen. Vor allem aber nicht alleine. Ich habe auch den Eindruck, dass Patienten ihre Angehörigen nicht mit ihrem Tod im eigenen Haus belasten wollen. Sie haben Angst, dass der Raum, in dem ein Mensch gestorben ist, noch Jahre später mit dessen Tod in Verbindung gebracht wird.

Zeit spielt am Lebensende eine andere Rolle

Süddeutsche.de: Wie unterstützen Sie die Familien der Sterbenden?

Grünewald: Viele Menschen sind oft das erste Mal in einer solchen Situation und wie unter Schock. Während die Patienten ihr Schicksal irgendwann annehmen, wollen die Angehörigen oft die Realität nicht wahrhaben. Das Wichtigste ist dann, einfach für sie da zu sein, Sorgen ernst zu nehmen und Fragen zu beantworten. Wir sprechen mit ihnen über die Diagnose, über die Lebenserwartung des Kranken. Wir geben Tipps, von welchen Beratungsstellen die Angehörigen noch Hilfe bekommen können, unterstützen sie bei der Kommunikation mit den Behörden.

Süddeutsche.de: Wie gehen Sie persönlich mit den Schicksalen der Patienten um?

Grünewald: Mein Beruf hat mein Leben stark beeinflusst. Durch meine Arbeit lebe ich viel intensiver. Mir wird jeden Tag bewusst, wie viel Glück ich habe, ein Leben ohne Schmerzen zu führen. Auch die Erfahrung, dass Zeit am Lebensende nochmal eine ganz andere Rolle spielt, ist eine wichtige. In Momenten, in denen ich aus der Hektik des Alltags ausbreche, Momenten, die still und ruhig sind, da spüre ich eine ganz starke Energie, Zuversicht, Freude und Traurigkeit. Das ist das Leben, das gibt mir Kraft. Und dann haben wir natürlich auch noch die Möglichkeit der Supervision, in der wir uns als Team gegenseitig stützen.

Kreibe: Mein Mann ist selbst Krankenpfleger und kennt solche Situationen. Das macht es leichter, mit jemanden über die Erlebnisse zu reden. Mein Mann ist nie genervt, sondern hört mir einfach zu. Genau das ist das Richtige.

Süddeutsche.de: Gab es Momente, in denen Sie aufgeben wollten?

Grünewald: Ich begleite seit 2001 Menschen in den Tod. Vor etwa fünf Jahren dachte ich mir, dass ich etwas anderes machen muss. Ich hatte schon so viele Menschen sterben sehen. Ich habe dann ein halbes Jahr lang pausiert und eine Fortbildung gemacht. Danach hat es mich aber wieder in den Job gezogen. Heute weiß ich sicher, dass ich nichts anderes machen möchte.

Kreibe: Ich hatte einen schwierigen Fall, der mir sehr nahe gegangen ist und mich an meine psychischen Grenzen gebracht hat. Die Patientin hatte Lungenkrebs, und ich habe zu ihr eine enge Beziehung aufgebaut. Sie hielt nichts von der Schulmedizin, und mit der Naturheilkunde ging die Behandlung auch eine ganze Weile lang gut. Aber dann haben die Schmerzen stark zugenommen. Wir konnten sie nicht in ein Krankenhaus bringen, weil sie Platzangst hatte. In der Familie gab es Probleme. Die Situation hat sich von Tag zu Tag zugespitzt. Ich wollte die Begleitung abgeben, habe das dann aber doch nicht getan, sondern es bis zum Ende, unterstützt durch mein Team und viele Gespräche, durchgestanden. Am Tag vor ihrem Tod habe ich sie noch einmal besucht und mich von ihr verabschiedet.

Süddeutsche.de: Wie gehen Sie mit der Trauer um?

Kreibe: Manchmal muss ich weinen. Manchmal setze ich mich zu Hause hin, zünde eine Kerze an, lese ein Gedicht und bin dann gedanklich bei diesen Menschen. Im Büro gibt es für jeden unserer Patienten eine Gedenkfeier. Er bekommt eine eigene Seite in unserem Gedenkbuch, mit Foto, Trauertext und einer persönlichen Nachricht von uns und wir zünden eine Kerze für ihn an. So können wir im Team abschließen.

Grünewald: Solche Abschiedsrituale sind wichtig. Doch wichtiger ist es, auf eine innere Distanz zu achten. Ich kann die Menschen am Lebensende begleiten, aber es ist nicht meine Aufgabe, jede Lücke zu füllen und jede Not zu lindern. Dieser Anspruch wäre zu hoch. Ich muss klar unterscheiden, ob gerade ein mir nahestehender Mensch stirbt oder ich beruflich jemanden in den Tod begleite. In meiner Arbeit achte ich auf eine gesunde Mischung von professioneller Distanz und Nähe. Davon profitieren auch die Betroffenen. Sie müssen auf mich nicht so viel Rücksicht nehmen wie auf ihre Angehörigen. Bei mir können sie Probleme und Sorgen offen ansprechen.

Süddeutsche.de: Frau Kreibe, Sie waren mehr als 30 Jahre lang Krankenschwester. Wie haben Sie damals den Umgang mit dem Tod in den Krankenhäusern erlebt?

Kreibe: Als Krankenschwester hatte ich viel mit dem Tod zu tun. Ich arbeitete unter anderem auf der Onkologie, gleich nach meiner Ausbildung. Mich hat enorm gestört, wie das Sterben dort abgelaufen ist. Die Ärzte kamen nicht mehr ins Zimmer, die Angehörigen waren auf sich gestellt. Ich fand das falsch, habe eine Zusatzausbildung als Sterbebegleiterin gemacht und versucht, die Kultur des Sterbens in den Einrichtungen, in denen ich gearbeitet habe, zu verändern. Doch ich bin an den Widerständen gescheitert.

Süddeutsche.de: Wieso?

Kreibe: Ich hatte das Gefühl, dass bei Ärzten und Pflegern große Angst und Unsicherheit herrschten. Sie wussten nicht, wie sie richtig mit Sterbenden umgehen sollten und wollten ihr Verhalten nicht ändern. Meist bin ich an den Vorgaben der Institutionen oder am mangelnden Interesse von Ärzten und Stationsleitungen gescheitert.

Angst vor aufgeklärten Patienten

Süddeutsche.de: Wäre es nicht gerade die Aufgabe von Ärzten und Krankenhauspersonal, sich um Sterbende und deren Familie zu kümmern?

Kreibe: Es ist mir klar, dass die Arbeitsbelastung an Kliniken sehr hoch und die Zeit des Personals begrenzt ist. Dennoch finde ich, dass die Ärzte den Patienten mit einem gewissen Respekt begegnen sollten. Es kann nicht sein, dass jemand einfach sagt: "Das interessiert mich jetzt nicht, schauen Sie mal, wo Sie bleiben". Das aber tun zu viele Mediziner, wenn auch nicht alle. Die Patienten fühlen sich oft in ihrer Not nicht ernstgenommen.

Süddeutsche.de: Was müsste sich ändern?

Kreibe: Ein bißchen was hat sich bereits verändert. Es gibt mittlerweile Lehrstühle für Palliativmedizin an mehreren Universitäten. Und Palliativmedizin ist auch fest in den Studienplan der angehenden Ärzte integriert. Dennoch gibt es in der Praxis noch viele Probleme. Palliativmedizin wird praktisch immer mit Schmerzlinderung gleichgesetzt. Die psychosoziale Betreuung des Patienten kommt dabei zu kurz, obwohl sie so wichtig ist. Wenn Sie für sterbende Menschen da sind und sich wirklich um sie kümmern, können Sie sich in vielen Fällen ein Viertel der Schmerzmedikation sparen. Patienten dürfen nicht nur mit einer Diagnose konfrontiert werden. Sie brauchen Aufklärung, schließlich sind sie mit einer existentiellen Bedrohung konfrontiert.

Süddeutsche.de: Aber erst kürzlich scheiterte eine Gesetzesinitiative, die für den Patienten verständliche Diagnosen forderteaufschreiben müssen.

Kreibe: Früher haben die Ärzte den Patienten eine schlimme Diagnose auf lateinisch vermittelt, um sich so abzugrenzen und vor unliebsamen Fragen der Patienten und der Angehörigen zu schützen. Ich glaube, dass manche Ärzte auch heute noch Angst vor aufgeklärten Patienten haben, die gezielt nachfragen, was ihnen fehlt und wie sie behandelt werden. Wir müssen den Menschen, die wir begleiten, oft erst erklären, was die Ärzte ihnen gesagt haben. Dabei ist eine ehrliche und verständliche Diagnose so wichtig.

Grünewald: Es gibt auch noch eine andere Schwierigkeit. Für sterbende Menschen ist es wichtig, dass sie nicht alleine sind. Ihre Angehörigen aber können oft nicht freinehmen. Ich würde mir daher von der Politik wünschen, dass die Familien mehr Zeit bekommen, dass sich Berufstätige leichter beurlauben lassen können und dass die Pflegezeit auf die Rente angerechnet wird.

Süddeutsche.de: Würde es Sterbenden und ihren Angehörigen helfen, wenn die Sterbehilfe in Deutschland legalisiert würde?

Grünewald: Sterbehilfe ist ein schwieriges Thema, weil es keine einfache Antwort auf diese Frage gibt. Die Wünsche von schwerkranken Patienten sind aber durchaus erst einmal legitim. Sie sollen ihre Autonomie bewahren dürfen. In Deutschland sind wir durch die Euthanasie-Aktionen der Nazis aber vorbelastet.

Kreibe: Das stimmt leider. Ich finde es schade, dass wir nicht sachlich über Sterbehilfe diskutieren können. Wir begleiten natürlich auch Menschen, die nicht mehr leben wollen, weil sie große Angst vor dem Alleinsein und den Schmerzen haben. Ihnen können wir oft helfen, indem wir ihnen die Angst nehmen. An Sterbehilfe denken viele dann nicht mehr. Aber es gibt eben auch die anderen Fälle, Patienten etwa, die kaum mehr atmen können. Eine stationäre Behandlung ist oft aussichtslos, außerdem gibt es nicht genug Plätze in den Palliativeinrichtungen. Bei diesen Menschen kann ich es schon verstehen, wenn sie sterben wollen.

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