Münchner Hausmusik-Label gibt auf:Das Sterben eines Labels

Das Ende des Münchner Labels Hausmusik ist symptomatisch für die downloadgeschundene Musikindustrie. Doch ein Fanal für die Pop-Branche ist es nicht. Einige Plattenlabels retten sich auf bislang unbetretenes Terrain.

Paul-Philipp Hanske

Am Ende half alles nichts. Wolfgang Petters konnte sein Label Hausmusik und den gleichnamigen Pop-Vertrieb nicht mehr retten. Als zuletzt das Geschäft mit CDs und LPs immer mehr lahmte, eröffnete er eine Downloadplattform - vergebens: "Ganze 13 Alben haben wir in einem Jahr online verkauft."

Hausmusik

Wolfgang Petters im Schaufenster seines Hausmusik-Ladens.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Mitarbeiter wurden entlassen und in den Räumen der Münchner Hausmusik-Zentrale Büroplätze an Fotografen vermietet, auch das half nichts: "Damit nahmen wir ein paar hundert Euro ein, während an anderer Stelle 10.000 Euro Umsatz wegbrachen." Die Anfang des Jahres gegründete Promotion-Agentur konnte gar nicht mehr richtig anlaufen.

Nach 16 Jahren ist Ende Dezember Schluss. Und die deutsche Musikszene verliert eines seiner wichtigsten kleinen Labels, denn Hausmusik und seine assoziierten Labels brachten mit Bands und Projekten wie Console, Lali Puna oder MS John Soda einen ganz eigenen Sound hervor, der elektronische Musik und Indierock zu etwas völlig Neuem verschmolz.

Die Musikbranche als Existenzrisiko

Zum Verhängnis wurde Wolfgang Petters seine Vertriebssparte. In den letzten Jahren war es ihm gelungen, seine Firma zu einem der größten deutschen Zwischenhändler für kleine Labels zu machen. Hausmusik lieferte deren Musik in kleine und große Plattenläden.

Letztere, vor allem die großen Ketten im Ausland, bestellten viel, verkauften jedoch wenig - und Hausmusik war vertraglich gezwungen, zum Teil vor Jahren gelieferte CDs zurückzunehmen. Als sich dann im Sommer die Retouren häuften und die Insolvenz absehbar war, musste die Notbremse gezogen werden.

Das Ende von Hausmusik ist symptomatisch. Die Krise hat die Branche fest im Griff. Vor einem Jahr entging das legendäre Hamburger Label L'Age d'Or nur knapp der Insolvenz und liegt seither auf Eis.

Das Sterben der kleinen Labels

Das Berliner Label Kitty Yo musste sich zum Großteil auf digitale Releases beschränken, sonst hätte ebenfalls die Insolvenz gedroht. Und das kleine, in der Gothic-Szene aber sehr etablierte Label dependent stellt im November den Betrieb ein. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Der Grund für die geschäftlichen Turbulenzen ist immer derselbe: Es wird keine Musik mehr gekauft. Resigniert erzählt Petters von dem auf dem Berliner Label Morr Music erschienen und von Hausmusik vertriebenen Album "The Same Channel" des Alternativ-Hip-Hoppers Fat Jon: "Diese wunderbare CD verkaufte sich in den Läden verdammt schlecht. Zur selben Zeit wurde sie kostenlos über 3000-mal auf Tauschbörsen kostenlos heruntergeladen."

Das Sterben eines Labels

Stefan Herwig, Chef des bald nicht mehr bestehenden Labels dependent, schilt im Booklet seines letzten Label-Samplers: "Wir machen nicht aufgrund der Existenz von Piratenseiten zu, sondern weil sie von zu vielen benutzt werden, die unsere Bands und Songs zwar schätzen, dafür aber nichts zahlen wollen."

Die großen Unterhaltungskonzerne kennen solche Probleme schon länger. Seit Jahren kämpfen sie gegen Musikpiraterie im Internet. Immer wieder kommt es sogar zu spektakulären Erfolgen: Vor zwei Wochen etwa wurde eine junge Amerikanerin zu über 200.000 Dollar Schadensersatz verklagt, weil ihr nachgewiesen wurde, dass sie 24 Songs online stellte.

Ausweitung der Filesharing-Opfer

Im Grunde aber ist die Musikindustrie noch immer machtlos. Und da das "Filesharing" von Internetaktivisten immer wieder als legitime Strategie gegen die Musikindustrie gelobt wird, dürfte es bei ebendieser mit einiger Genugtuung zur Kenntnis genommen werden, dass nun auch die kleinen Labels ins Trudeln geraten. Also genau die, deren Musik die alternativen Lebenswelten der Downloadapologeten beschallen.

Dort die mit aller Macht um ihr Leben prozessierenden großen Plattenfirmen, hier das stille Sterben der kleinen Labels - ganz so einfach ist es dennoch nicht. Denn auch die diesjährigen Pleiten sind kein Fanal.

Vom Untergang des unabhängigen Musikmarkts in Deutschland, der seit den späten siebziger Jahren eine völlig selbständige Infrastruktur ausgebaut hat, mit Tausenden kleiner Betriebe und eigenen Vertriebsstrukturen - von einem Untergang kann, genau besehen, nicht die Rede sein. Im Gegenteil: eher von einem seltsamen Wuchern.

Bizarre Labelwucherung

Eva Kiltz, Geschäftsführerin des Verbandes unabhängiger Tonträger (VUT), berichtet, dass der Anteil der Independent-Labels am deutschen Musikmarkt in den letzten Jahren kontinuierlich auf über 25 Prozent gewachsen ist. Die Anzahl der kleinen Labels steige sogar, pro Jahr würden dem Verband 100 bis 120 neue Labels beitreten. Anlass zur Euphorie sei das aber dennoch nicht: "Was wir erleben, ist die Zunahme von vielen Kleinstlabels, die quasi aus dem Schlafzimmer gemacht werden."

Gerade im Bereich der elektronischen Tanzmusik ist diese Labelwucherung besonders bizarr. Gab es in dem sowieso nicht allzu facettenreichen Genre Minimal-Techno noch vor ein paar Jahren etwa 30 Labels, sind es heute weit über 100. Es wild drauflos veröffentlicht, aber weil der Markt in Sachen Minimal-Techno nicht gerade groß ist, ist oft nach ein paar Releases wieder Schluss.

Das Sterben eines Labels

Für die Macher bleibt das Risiko allerdings kalkulierbar: Im schlimmsten Fall bleiben sie auf ein paar tausend Euro sitzen, die sie ans Presswerk gezahlt haben. "Kritisch", so Eva Kiltz vom VUT, "wird es für die Labels mit eigener Belegschaft.

Noch vor wenigen Jahren konnten die von ihren großen Bands leben, die immer zwischen 5.000 und 10.000 Alben verkauften. Das geht heute nicht mehr." Die Funktionärin ist dennoch zuversichtlich: "Wenn man mit Tonträgerverkäufen nichts mehr verdienen kann, dann muss das Geld eben aus anderen Töpfen geschöpft werden."

Beispiele dafür gibt es genug. Vor einem Jahr meldeten Musikzeitschriften, dass das Hamburger Label Grand Hotel van Cleef, die Heimat von Bands wie Tomte oder Kettcar, in Schwierigkeiten sei. Heute ist die Krise abgewendet.

"Schmerzhafter Einzug des Ökonomischen"

Entscheidend dafür war, dass Grand Hotel van Cleef in zwei Geschäftsfelder der Branche einstieg, mit denen kleine Labels bislang nicht viel zu tun hatten: ins Konzert- und ins Musikverlagsgeschäft. "Konzertagenturen machen eine Menge Geld damit, dass sie für eine Band eine Tour buchen und ein bisschen Werbung machen", sagt Simon Rass von Grand Hotel van Cleef, "von dem Kuchen brauchen wir auch ein Stück, wenn wir überleben wollen."

Ähnliches gilt für das Musikverlagsgeschäft: Musikverlage treiben für ihre Musiker Lizenzgebühren ein und kümmern sich um komplizierte Gema-Abrechnungen. Das ist eine trockene Angelegenheit - aber wer sich dort heraushält, verliert ohne Not eine Menge Geld.

"Früher konnte man sich als Label nur auf die Musik konzentrieren", sagt Rass, "heute muss man ein Unternehmen sein. Für viele ist das ernüchternd - aber anders geht es nicht." Es ist der schmerzhafte Einzug des Ökonomischen in eine Nische, die lange meinte, sich gegen die Verwertungszusammenhänge des Marktes abdichten zu können.

Promotion fürs Volk

Hausmusik freilich hätte auch das nicht retten können. Wolfgang Petters Vertriebsimperium musste mit dem Niedergang des Tonträgerverkaufs zugrunde gehen.

Bitter wirkt er deswegen allerdings nicht, zumindest nicht mehr: "Es heißt immer, die Leute, die downloaden, wären böse, weil sie Musik klauten. Das ist Unsinn. Wieso sollten sie für etwas zahlen, das es umsonst gibt? Nach der Dampflok kam die E-Lok und nach der CD kam der mp3-Download - und der ist inzwischen nun mal meistens kostenlos zu bekommen."

Das Sterben eines Labels

Das Ende des Musikgeschäfts werde das nicht bedeuten. Es stehe aber eine große Umstrukturierung bevor: "Labels werden immer mehr zu Musikmanagement-Agenturen, die ihre Musiker bewerben. Das eigentliche Geld wird in Zukunft wohl hauptsächlich mit Konzerten und DJ-Auftritten zu verdienen sein", sagt Petters.

Viel deutet darauf hin, dass er recht hat. Während die Tonträgerverkäufe seit Jahren rückläufig sind, je nach Zählweise zwischen ein paar wenigen und 20 Prozent, boomt der Konzertmarkt. In Deutschland wird mit Live-Konzerten schon fast so viel umgesetzt wie mit CD-Verkäufen.

Als erster Weltstar zog vergangene Woche Madonna die Konsequenz: Für gigantische 120 Millionen Dollar überlässt sie nicht nur die Vermarktung ihrer Live-Auftritte, sondern auch die ihrer nächsten drei Studioalben einem Konzertveranstalter.

"Alben", prophezeit Wolfgang Petters, "werden in Zukunft vielleicht nur noch als mehr oder weniger kostenlose Promotion unters Volk gebracht - um Konzerte zu bewerben." Allerdings ohne ihn. Der 45-Jährige ist fertig mit der Musikbranche. Ab Januar will er wieder als Elektriker arbeiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: