Süddeutsche Zeitung

Münchner Hauptbahnhof:In dieser Wartehalle trifft sich die ganze Welt

Für manche ist er nur ein Zwischenstopp, für andere der erste Eindruck einer neuen Heimat. Der Münchner Hauptbahnhof erzählt viele Geschichten.

Von Thomas Anlauf

Der Bahnhof, ein Sehnsuchtsort. Es ist ein ständiges Ankommen und ein ständiger Abschied. Der eine verabschiedet sich von seiner Liebsten, weil er in eine andere Stadt reisen muss, die andere begrüßt ihren entbehrten Freund. Am Münchner Hauptbahnhof starten alle Züge in Richtung Westen, der Inbegriff des Aufbruchs, bevor sie sich in alle Himmelsrichtungen verstreuen. Für Zehntausende Menschen wiederum wurde im vergangenen September der Münchner Hauptbahnhof zum Symbol für das Ankommen, das Ende langer Strapazen und unendlichen Leids. Und wiederum Tausende Münchner zeigten mit ihrem freudigen und aufmunternden Empfang am Starnberger Flügelbahnhof, dass sich die Geflüchteten nun in München in Sicherheit fühlen können und herzlich willkommen sind. Der Münchner Hauptbahnhof, exakt ein Jahr später. Die rot-weißen Flatterbänder in der Ankunftshalle sind ebenso längst Geschichte wie die bunten Schilder, auf denen "Welcome to Germany" stand. Nur vereinzelt kommen noch Flüchtlinge aus dem Süden an. Und doch ist der Hauptbahnhof immer noch ein Kosmos an Menschen, für die München vielleicht nur ein Zwischenstopp ist oder erster Eindruck einer neuen Heimat. Da ist der Schweizer Musiker, der gerade von einem Konzert in Freiburg kommt und als einziges Gepäckstück seine Gitarre dabei hat. Oder die junge Frau mit ihren Kindern Justice, Itohan und Ewan (Foto oben). Sie kommen ebenso aus Nigeria wie Esther Akhimien. Sie lebt seit Dezember im Flüchtlingsheim. Töchterchen Annalisa wurde auf der Flucht vor zehn Monaten in Italien geboren. Der Hauptbahnhof kann viele Geschichten erzählen: Täglich kommen 420 000 Personen an oder reisen ab - so viele Menschen leben insgesamt in den 28 kleinsten Staaten der Welt.

Julian B., 23, Musiker aus Zürich, hat gerade seinen Anschlusszug nach Rosenheim verpasst.

Schwester Kunigundis, 82, Missionsbenediktinerin, lebt nach 55-jährigem Aufenthalt in Rom nun seit einigen Jahren im Kloster Tutzing. Am Hauptbahnhof steigt sie heute nur um.

Andrés Torres, 29, stammt aus Equador, seit zehn Jahren lebt er in München. Er ist Student an der Kunstakademie.

Nasna Shameel, 24, mit Tochter Azza Aysha, macht drei Tage Sightsseing in München. Sie lebt in Dubai und stammt aus Indien.

Jürn-Hinrich Volkmann, 81, ehemaliger Waldorflehrer aus Berlin, ist unterwegs zu einer Tagung am Chiemsee. In München machen er und seine Frau immer wieder gerne Zwischenstopp.

Simone Munoz, 38, aus São Paulo hat ihren deutschen Mann übers Internet kennengelernt. Nun lebt sie seit vier Jahren in Neuburg an der Donau.

Esther Akhimien, 23, aus Nigeria, lebt seit Dezember im Flüchtlingsheim in der Messestadt. Töchterchen Annalisa wurde auf der Flucht vor 10 Monaten in Italien geboren.

Anja Fuchs, 26, Bürokauffrau aus Ingolstadt, ist Teil der Anime- und Manga-Community.

Maahira Mohammed, 19, Heilkunde-Studentin aus Singapur. Vor einem Jahr kam sie für einen Deutschkurs nach München. Heute ist ihr letzter Tag in der Stadt.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2016
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