„Das mit Apfelmus“, bittet die automatische Stimme einer Übersetzungsapp. Eine Frau mittleren Alters steht an der Essensausgabe der Korbinian-Küche und lässt ihre Bitte immer wieder über ein Handy abspielen, das sie den freiwilligen Helfern entgegenstreckt. Vielleicht kann sie kein Deutsch, vielleicht kann sie nicht sprechen oder will es nicht. Jedenfalls will sie „das mit Apfelmus“. Es hat sich schnell herumgesprochen, dass an diesem Tag ein Blech Kaiserschmarrn angeliefert wurde. Allerdings war der nach 30 Minuten aus. Nur ein Klecks Apfelmus ist noch übrig. Die Frau nimmt ihn gerne.
Eine halbe Stunde später ist auch die Graupensuppe mit Gemüse leer geschöpft. Kein Problem, im Container nebenan lagern gespendete Konserven. Kurzerhand werden ein paar Dosen Hühnersuppe auf einer mobilen Kochplatte warm gemacht. „Unsere Besucher dürfen so oft kommen, bis sie satt sind. Weil es halt auch oft die einzige Mahlzeit ist, die sie am Tag haben, oder weil ihr Energieverbrauch so hoch ist. Die sind ja den ganzen Tag unterwegs“, erklärt die Projektleiterin der Korbinian-Küche Marlies Brunner. Unter der Woche kommen täglich bis zu 450 Besucherinnen und Besucher, am Wochenende sind es bis zu 650.

Brunner gründete die Korbinian-Küche der Caritas im März 2020 aus der Not heraus. Sie ist gelernte Ernährungswissenschaftlerin und hatte schon zuvor bei der Caritas gearbeitet. Im Frühjahr 2020 hatte die Obdachlosenhilfe St. Bonifaz in der Maxvorstadt wegen Umbau geschlossen, doch die Nachfrage wurde zu Pandemiebeginn so groß, dass sich Brunner spontan entschloss, eine neue Anlaufstelle für Bedürftige ins Leben zu rufen – die „Korbiküche“, wie sie sie nennt.
Seitdem ist die „Korbiküche“ oft umgezogen. Am heutigen Standort, in der Elisenstraße 5 auf einem kleinen Vorplatz am Hauptbahnhof Nord, steht der mobile Anhänger seit Herbst 2022. Vor ihm sind vier Biergarnituren unter einem weißen Pavillon aufgebaut, dahinter der Lagercontainer und eine mobile Toilettenkabine. Die Essensausgabe hat täglich von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Schon vor 14 Uhr versammeln sich die ersten Besucher, stellen sich in einer Schlange an, oder warten auf Stufen und den Holzpaletten eines Schanigartens, bis es losgeht.
Die Reaktion von Anwohnern und umliegenden Gastronomen auf diesen Standort fielen durchwachsen aus, sagt Brunner. „Ganz egal, wo wir bisher waren, jeder findet es immer wunderbar und wertvoll, was wir machen. Aber doch bitte nicht vor meiner Haustür. Ich verstehe das auch. Die Menschen sind laut, riechen, oder können sich manchmal nicht benehmen.“ Trotzdem müsse die Sicherheitskraft, die jeden Tag vor Ort ist, selten eingreifen oder deeskalieren. Stattdessen klickt sie an jenem Tag den Zähler für jeden Besucher und bringt einem Mann im Rollstuhl Suppe an den Tisch.
Es gibt jeden Tag ein Schöpfgericht, Suppe oder Eintopf, dazu Brot, Kaffee, Tee, Wasser – und manchmal Süßgebäck. Brunner bestellt täglich 80 bis 100 Liter des Tagesgerichts – das entspricht etwa 400 Portionen – beim Weißen Raben, dem Integrationsbetrieb der Caritas, der nebenan auch für deren Kantine täglich frisch kocht. Angeliefert wird das Essen mit dem Bollerwagen, der dann auch abends das benutzte Geschirr wieder zum Spülen abholt. „Wir sind super nachhaltig unterwegs, darauf bin ich sehr stolz“, merkt Brunner an. „Seit wir auf Mehrweggeschirr umgestellt haben, produzieren wir auch überhaupt keinen Müll mehr. Die Vermüllung des Platzes ist tatsächlich immer Wohlstandsmüll.“

Monatlich benötigt die Korbinian-Küche rund 35 000 Euro, ohne dass davon Luxusanschaffungen getätigt werden könnten, oder dass am Ende des Tages Lebensmittel übrigblieben, rechnet Brunner vor. Das Projekt sei durch Spenden finanziert und würde zurzeit durch Eigenmittel der Caritas unterstützt, um die Kosten decken zu können. Der mobile Anhänger für die Essensausgabe wurde von einer Firma gespendet. Brunner hofft aktuell auf ein Lastenrad, um größere Lebensmittelspenden transportieren zu können. „Gerade der Viktualienmarkt wäre interessant für uns“, meint sie.
Selbst wenn es ein Lastenrad gäbe, braucht es ehrenamtliche Helfer für den Transport. 48 Freiwillige arbeiten insgesamt bei dem Projekt mit. Die Schichten für die Essensausgabe werden täglich mit drei bis vier Helfern besetzt. Brunner kennt jede und jeden: „Im Alter von 20 bis 87 haben wir alles dabei, von der Schriftstellerin, Nonne oder Hausfrau, über den Fotografen bis hin zu Studenten – eine ganz spannende Mischung.“
Auch die Gruppe der Besucher ist bunt gemischt. „Es ist nicht der typische Obdachlose oder Suchterkrankte, sondern es sind viele, die daherkommen wie du und ich. Die Zahl der Bedürftigen steigt“, weiß Brunner. Es kämen viele, die sich ihre Miete gerade noch leisten können, das Essen aber nicht mehr. Ein Großteil sei von Altersarmut betroffen, aber auch Studierende, Berufstätige aus Dienstleistungsberufen und viele vom Arbeiterstrich seien auf die Hilfe angewiesen.

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Die Gegend um den Hauptbahnhof soll sauberer und sicherer werden. Der Stadtrat setzt dabei auf partielle Videoüberwachung und mehr Polizeistreifen, verfolgt aber noch ein ganz anderes Konzept: Neue Freizeitangebote sollen Parks und Plätze beleben.
Manche von ihnen wollen Kontakt, andere gehen mit gesenktem Blick vorbei. „Es ist einfach schambehaftet“, sagt Brunner. „Deswegen sage ich zu neuen Helfern auch immer, dass sie bei uns falsch sind, wenn sie Dankbarkeit erwarten.“ Doch an diesem Tag erreicht die Mitarbeiter viel Dank. Besucher kommen nach dem Essen noch mal vorbei, um sich zu verabschieden; die Stimmung ist heiter, ein Späßchen hier, ein Schwätzchen da. Auch der Austausch untereinander sei wichtig für die Bedürftigen, findet Brunner. „Überhaupt da sein dürfen, sitzen bleiben dürfen und gesehen zu werden – das ist ganz wichtig. Sonst werden sie ja überall verscheucht oder ignoriert.“
Um verweilen zu können, fehlt Brunner zufolge aber etwas ganz Entscheidendes: feste Toiletten mit fließendem Wasser und regelmäßiger Reinigung. Aktuell könnten die Besucher sich vor dem Essen nicht einmal unter fließendem Wasser die Hände waschen, schildert Brunner. Auch das sei ein Grundbedürfnis.
Den Beschluss des Stadtrates, demzufolge der angrenzende Alte Botanische Garten mit einer Million Euro sauberer und sicherer gemacht werden soll, unter anderem auch durch Toilettenanlagen, begrüßt Brunner zwar. Für die Besucher der Korbinian-Küche habe das allerdings kaum Positiveffekte. Die wenigsten von ihnen seien Besucher des Brennpunktparks. Und die Anlagen wären zu weit weg.