Süddeutsche Zeitung

Münchner Grüne:40 Jahre alt und merkwürdig aktuell

Umwelt- und Klimaschutz, Feminismus und Artensterben: Die Münchner Grünen beschäftigen sich schon seit ihrer Gründung mit den Themen von heute.

Von Dominik Hutter

Die Stimmung damals, so findet Bernd Schreyer, war unbeschreiblich - allenfalls zu vergleichen mit dem jetzt gerade aktuellen Aufbruch der Grünen in neue Sphären. Damals, das war 1979. Der Bundeskanzler hieß Helmut Schmidt, die Bundesregierung saß in Bonn am Rhein, und sie diskutierte über den Nato-Doppelbeschluss und den Ausbau der Atomenergie.

Beides Themen, die Schreyer vor 40 Jahren bewogen, zu jener Versammlung im Bahnhofshotel zu gehen, an deren Ende es einen Kreisverband der Grünen in München geben sollte. Einen Landes- und einen Bundesverband der Partei gab es damals noch nicht, die folgten erst im Herbst 1979 und im Frühjahr 1980.

Allerdings traten die Grünen als Wählergruppe ("sonstige politische Vereinigung") bereits bei der Europawahl im Juni 1979 an. Und erreichten dort in München 4,0 Prozent. Rund 150 Leute fand Schreyer im Saal vor - der spätere Mitarbeiter des Münchner Sozialreferats wurde Gründungsmitglied. Viele der damaligen Themen, so erinnert er sich heute, wirken merkwürdig aktuell. Die frühen Münchner Grünen beschäftigten sich mit Umwelt- und auch schon Klimaschutz, mit Feminismus, Artensterben, ökologischem Raubbau sowie Verkehrs- und Energiepolitik.

Schreyer kam aus Kreisen der Schüler-Apo und diverser Aktivistengruppen, aus dem Umfeld der 68er-Bewegung also, und sein Denken war erklärtermaßen mitgeprägt von den "Grenzen des Wachstums", jener berühmten Studie des Club of Rome, die 1972 vorgestellt wurde und vor den Folgen der modernen Industriegesellschaft für die Umwelt warnte.

Aus dem Bürgerschreck wurde eine Regierungspartei

Auf der lokalen Ebene organisierten die Grünen Anti-Auto-Proteste wie etwa eine Blockade des Laimer Tunnels, damals Giftröhre genannt. Die Partei, deren Mitglieder und Sympathisanten unter Konservativen zumindest in den ersten Jahren noch gerne als Staatsfeinde tituliert wurden, legte anschließend in München eine recht steile Karriere hin. 1984 zogen erstmals sechs Stadträte der Öko-Partei ins Rathaus ein. Die spätere Bürgermeisterin Sabine Csampai war darunter, der spätere Kommunalreferent Georg Welsch und der spätere Umwelt- und Gesundheitsreferent Joachim Lorenz. 1986 kam auch Schreyer als Nachrücker zu einem Mandat, er blieb bis 1990 im Kommunalparlament.

Bereits 1988 hatten den ersten Münchner Grünen Regierungsweihen ereilt. Gegen den Willen von Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) wählten in einem stadtpolitischen Coup CSU und Grüne gemeinsam Stadtrat Welsch zum neuen Kommunalreferenten.

Der Rest der Fraktion folgte 1990. Nach der Wahl vom 18. März nahm Kronawitters SPD mit den Grünen Koalitionsverhandlungen auf, aus dem Bürgerschreck wurde eine Regierungspartei. Zu Bürgermeistern wurden Christian Ude (SPD) und Sabine Csampai (Grüne) gewählt. Das Bündnis hielt bis 2014, immerhin 24 Jahre lang. Mit ein paar personellen Veränderungen: 1993 stieg Ude zum Oberbürgermeister auf, 1996 gab Csampai den Stab an ihren Fraktionskollegen Hep Monatzeder weiter. Das Amt der Zweiten Bürgermeisterin bekleidete zunächst Gertraud Burkert, danach Christine Strobl (beide SPD). Jetzt, 40 Jahre nach ihrer Gründung, sind die Münchner Grünen wieder in der Opposition. Mit einem Europawahl-Ergebnis von 31,2 Prozent.

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SZ vom 07.06.2019/aren
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