Süddeutsche Zeitung

Münchner Fußgängerzone:Unter Wert verkauft

Die Münchner Fußgängerzone ist die teuerste und meist besuchte Einkaufsstraße in Deutschland - doch viele Händler klagen über hässliches Mobiliar und ein fehlendes Konzept.

Christina Warta

Im "Allerlei" gibt es Socken für einen Euro, Halsketten für einen Euro, Mützen für einen Euro. Das Gedränge ist groß, die Schlange an der Kasse lang, es riecht nach Kunststoff. Gleich hinter dem Karlstor treffen in der Neuhauser Straße die Extreme aufeinander: der 1-Euro-Shop im Süden, das eher dem Luxus verpflichtete Kaufhaus Oberpollinger im Norden. Hier ein paar Mädchen, die kichernd Billigschmuck vergleichen. Dort die beiden glücklich lachenden Japanerinnen, die mit großen Tüten aus dem Gucci-Store kommen.

Die Fußgängerzone vom Marienplatz bis zum Stachus, 900 Meter lang, steht fast ausschließlich für Superlative. In keiner anderen deutschen Stadt laufen so viele Menschen pro Stunde an den Läden vorbei, 5000 sind es zu Spitzenzeiten. Nirgendwo sind die Ladenmieten höher.

Nirgendwo haben die Ansässigen mehr Geld zum Ausgeben, und in keine andere deutsche Stadt kommen so viele Touristen vor allem zum Shopping. "Die Fußgängerzone ist ein Erfolgsmodell", sagt Wolfgang Fischer, Geschäftsführer des Interessenverbandes City-Partner, "hier wollen alle Firmen hin". Dafür zahlen sie bis zu 400 Euro Miete - pro Quadratmeter.

Und trotzdem - vielleicht aber gerade deshalb - gibt es Geschäftsleute, die mit der Fußgängerzone, wie sie ist, überhaupt nicht zufrieden sind. Sie wollen eine schönere Einkaufsmeile mit Sitzbänken, hübscheren S-Bahn-Abgängen, einer angenehmeren Beleuchtung. Reimund Baumheier zum Beispiel, der Geschäftsführer von "Galeria Kaufhof" am Marienplatz. Fragt man Baumheier, ob er der Ansicht ist, dass die Fußgängerzone gut ist, so wie sie ist, antwortet er unmissverständlich: "Nein."

Dann erzählt er von Antwerpen, wo er kürzlich flanierte: von dem wunderschönen Pflaster, den kleinen Bäumen, den hübschen Steinbänken, den Fahrradständern. "Die Frage ist doch: Welchen Anspruch habe ich als Stadt an meine Paradestraße?" Baumheier findet, dass München einen anderen, höheren Anspruch an die Kaufinger und Neuhauser Straße haben sollte.

Demnächst Rundbank auf der Rosenstraße

In München vermisst er deshalb vieles, und er ist damit nicht allein - wenngleich die meisten Geschäftsleute zurückhaltend werden, wenn es um einen Kommentar zur Fußgängerzone geht. Andere, Flori Schuster etwa vom Sporthaus Schuster, betonen, sehr interessiert zu sein "an Stimmung und Erlebbarkeit in der Fußgängerzone". Schuster schreitet deshalb selbst zur Tat: Demnächst wird in der Rosenstraße eine Rundbank aufgestellt, die er gestiftet hat. Die Radständer dagegen, die Baumheier auf eigene Kosten vor dem Kaufhof aufstellen wollte, seien von der Stadt abgelehnt worden.

In der Tat kann man geteilter Ansicht darüber sein, ob diese Einkaufsmeile nun schön ist oder nicht. Zum Beispiel die berühmten Doppel-Kreisel-Lampen, von manchen Schaschlikspieße genannt, die einst eigens für die Fußgängerzone entworfen wurden: Die einen finden sie hässlich oder sind zumindest der Überzeugung, dass sich Münchens Zentrum mit dieser Beleuchtung unter Wert illuminiert.

Die anderen finden den Siebziger-Jahre-Charme schick oder zumindest erhaltenswert als Reminiszenz an die Olympischen Spiele 1972. Die Geister scheiden sich auch an den radmutterförmigen Blumenkästen, die demnächst wieder aufgestellt werden. Nina Hugendubel etwa, geschäftsführende Gesellschafterin von Hugendubel, findet sie "weniger gelungen. Aber das ist Geschmackssache - solange die Kundenfrequenz stimmt".

Am 30. Juni 1972 ist die vom Architekten Bernhard Winkler geplante Fußgängerzone eröffnet worden - damals galt es als revolutionär, Autos und Trambahnen zu verbannen und allen Platz den Fußgängern einzuräumen. Seither wurde das Passantengedränge immer größer, bis manche die Fußgängerzone nur noch als "Rempelmeile" bezeichneten.

Mit der Passantenzahl stiegen die Mieten, die so manches alteingesessene Warenhaus bald nicht mehr zahlen konnte. Heute reihen sich hier all jene Filialen aneinander, die man auch aus anderen Städten kennt: Base und Mobilcom, Hela und Douglas, Zero, Zara und Esprit. Austauschbar - finden viele. Fischer sagt: "Natürlich erklären immer alle, sie hätten gern mehr kleine nette Läden. Aber dann gehen sie zum Einkaufen doch in die Filialen."

Rund um den Richard-Strauss-Brunnen ist der Platz wie leergefegt: Die Michaelskirche wird renoviert, das Bayerische Landesamt für Statistik verschanzt sich hinter den dicken Mauern des einstigen Jesuitenkollegs. Im Frühling blühen hier wieder Tulpen und Narzissen in den Beton-Radmuttern, und wer Glück hat, ergattert dann einen der raren Gitterstühle. Denn auch das bemängeln Geschäftsleute und Besucher: dass es zu wenig Sitz- und Aufenthaltsgelegenheiten gibt und, abgesehen vom Jagd- und Fischereimuseum, auch keine Kultureinrichtungen, die das entsprechende Publikum herbeilocken.

Selbst das Tivoli-Theater, in dem einst Romy Schneider über den roten Teppich schritt, hat kapituliert. Die Kinokasse ist abgerissen, eine Stehleiter steht in der Ecke, Baudreck liegt am Boden. Demnächst eröffnet dort der Flagshipstore einer großen Parfümeriekette.

Was man tun könnte, um in der Fußgängerzone eine gelungene Mischung von kleinen Geschäften und größeren Warenhäusern, von Kultur und Gastronomie zu verwirklichen, damit hat sich Michael Krines beschäftigt. Der Unternehmer und Präsident des Bayerischen Einzelhandelsverbandes sagt: "Es ist in München immer noch besser als in anderen Städten. Aber man sollte vorbeugen, damit mangelnde Aufenthaltsqualität die Fußgängerzone nicht unattraktiv macht. Man braucht den richtigen Mix." Krines' Vision ist die eines "Business Improvement District" (BID): In einem fest umrissenen Areal schließen sich Hausbesitzer zusammen, das Management wird delegiert, die Innenstadt würde zentral verwaltet wie ein Einkaufszentrum.

"Doch das wird eine Vision bleiben", sagt Krines. Abgesehen davon, dass das nötige Landesgesetz, wie es etwa in Hamburg existiert, in Bayern fehlt, dürfte sich in München kaum eine Mehrheit der Hausbesitzer dafür aussprechen, Kompetenzen an ein übergeordnetes Management abzugeben. "Die Besitzer müssten die Hoheit über ihre Mieter abgeben", sagt Krines. Andererseits: Wären sie dazu bereit, würden sie profitieren. "Ein Einkaufszentrum oder eine Fußgängerzone lebt von der Vielfalt", sagt Krines.

Doch auch ohne zentrales Management ist man sich einig: Nun, da 2012 der 40. Geburtstag der Fußgängerzone ansteht und 2018 womöglich Olympia, wäre es an der Zeit, die Kaufinger und Neuhauser Straße aufzupolieren. "Es muss was getan werden", sagt Reimund Baumheier an die Adresse der Stadt, "und wir Geschäftsleute wären bereit, mitzuarbeiten". Es reiche nicht, sich selbstzufrieden zurückzulehnen und zu sagen: Die Leute kommen doch eh. "Warum nicht kleine Bühnen für Straßenmusiker, hübsche Bänke zum Verweilen, einheitliche Marktstände und ein durchgängiges Lichtkonzept einrichten?", fragt der Kaufhof-Chef.

Auch Flori Schuster sieht Verbesserungsbedarf, vor allem bei den fliegenden Händlern. "Ein Mandelstand weit weg vom Christkind ist ein Fremdkörper, der von niemandem vermisst würde", sagt er. Und Wolfgang Fischer ergänzt: "Man könnte an den Hochschulen einen Gestaltungswettbewerb ausschreiben." Die Geschäftsleute drängen auf Verschönerung. "Ja, wir wollen eine überarbeitete Fußgängerzone haben", sagt Baumheier. Dann holt er ein Kalenderblatt von der Pinnwand, das er für seine Mitarbeiter aufgehängt hat. "Die Vergangenheit sollte ein Sprungbrett sein, nicht ein Sofa", steht darauf. "Im Moment", sagt er, "sitzt München auf dem Sofa."

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SZ vom 26.02.2011/sonn
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