Münchner Freiheit:Der gute Geist von Schwabing

Unten rauscht die U-Bahn durch die kosmische Blauzone, oben treffen sich Originale unterm weißen Kuppelzelt. Ein Besuch an der Münchner Freiheit.

Anne Goebel

Der Zauber beginnt im Tiefgeschoss. Menschen fahren mit dem Kopf nach unten Rolltreppe, natürlich nicht wirklich, aber die verspiegelte Decke lässt es so aussehen. Tiefseeblaue Leuchtsäulen geben der Szenerie etwas Unwirkliches, an den psychedelisch flackernden Lamellenwänden Schilder in Giftschrankfarben. Und oben, über Tage, wachsen grüne Stängel in den Himmel.

Münchner Freiheit: Osmanisches Formenspiel: Der neue Bus- und Tram-Bahnhof ist für einige Münchner gewöhnungsbedürftig.

Osmanisches Formenspiel: Der neue Bus- und Tram-Bahnhof ist für einige Münchner gewöhnungsbedürftig.

(Foto: region.mue)

Willkommen an der Raumstation Münchner Freiheit: Die Ankunft im neuen Schwabinger U-Bahnhof, der ja ganz so neu nicht mehr ist, hat Kubrick'sches Rausch-Potential. All das Spiegeln, Glimmen, da sieht man selbst die Neonkluft der Gleisarbeiter mit ganz anderen Augen. Doch es geht, soweit man das nach einem Nachmittag beurteilen kann, alles seinen normalen Gang. Ankommen, abfahren, und sehr, sehr viele Menschen.

Aber geredet wird natürlich schon, über die Lichtspiele unten und vor allem über das hochbeinige Gebilde am Bus- und Tram-Bahnhof. Ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung hat zwar die Gewöhnungsphase eingesetzt, man diskutiert sich nicht mehr die Köpfe heiß, ob die drageeweiße Kuppelkonstruktion der Aachener Architekten nun ein Exempel osmanischer Postmoderne ist oder Münchens olympischen Marsch Richtung 2018 angemessen futuristisch anführt. Aber der Neubau bleibt ein Thema. "Ich finde es schon ganz cool", sagt zum Beispiel Linda Groß, 21. "Aber es passt nicht hierher."

Die BWL-Studentin sitzt mit zwei Kommilitoninnen bei Eis und Latte Macchiato im Café Münchner Freiheit. Die anderen pflichten ihr bei: Zu ungewohnt, das gewagte Dach füge sich überhaupt nicht in die Umgebung ein. So viel konservative Sehnsucht nach Bewahrung kommt bei den drei jungen Frauen insofern überraschend, als einem eine halbe Stunde vorher direkt unter der Kuppel ein mehr als viermal so alter Herr begegnet war, der 89-jährige Otto Zelger, aus dem Lehel eigens angereist zur Besichtigung der Attraktion. Sein Urteil, während er den Kopf mit Schiebermütze in den Nacken legte: "Passt wunderbar, g'rad nach Schwabing."

Von dieser Einschätzung sind die Studentinnen weit entfernt, wahrscheinlich würden auch die Ansichten auseinandergehen, was denn Schwabing eigentlich sei oder mal gewesen ist. Wo ja schon zwischen den Mädchen und ihren Eltern Welten liegen, jedenfalls sagt Lindas Freundin Fabia gerade: "Meine Eltern kannten so eine Band, Münchner Freiheit. Ich habe mich immer gefragt, warum die so heißen wie eine U-Bahn-Station."

Nach Stenzmanier

Das ist hart, dürfte aber der geläufigen Meinung entsprechen: Die Münchner Freiheit ist ein U-Bahnhof. Ein Verkehrsknotenpunkt. Nicht mehr. Die wenigsten wissen, dass der Name von der Widerstandsgruppe "Freiheitsaktion Bayern" stammt, die im April 1945 zum bewaffneten Aufstand gegen die verbliebenen NS-Einheiten aufrief; davor hieß das Karree immer Feilitzschplatz, nur zwischenzeitlich völkisch umgetauft in Danziger Freiheit.

Doch es gibt ein paar Leute, für die das teils begrünte Gelände an der Leopoldstraße noch etwas atmet vom alten Geist der Künstler und Libertinäre. Um ihn zu ahnen, braucht man nur ein paar Tische weiter zu rücken im Café Münchner Freiheit, denn hier, unter den einladenden Sonnenschirmen, tut das kränkelnde Herz Schwabings manchmal noch ein, zwei Schläge. Hier sitzt Helmut Fischer, der legendäre Monaco Franze, als Bronzestatue in seinem ewigen Mantel, die Hände nach Stenzmanier in den Taschen, weil das lässig und etwas hilflos aussieht, was bei den Damen nie schaden kann.

Hinter seinem Rücken kreischen die Kinder auf dem Spielplatz vor Vergnügen, an den Tischen sehen manche aus wie Kollegen aus einem Drehbuch von Helmut Dietl. Der grotesk gebräunte Endsiebziger mit gezupften Augenbrauen und geöffnetem Hemd. Oder die bunte Truppe um Heinz Rainer Lueger (Grundausrüstung: Ray Ban, Gauloises), die sich selbst als Altschwabinger Überbleibsel bezeichnet: Marta und Andrea, in die Jahre gekommene Hippiemädchen mit Winterquartier in Indien, die Extremradler Josef und Thilo sowie "Blinky-Thomas", der sein Geld mit Leuchtansteckern auf der Wiesn verdient.

Das Café Münchner Freiheit ist ihr Wohnzimmer, hier sitzen sie, rauchen, reden und machen es den Jungen schwer, rebellisch zu sein. "Meine Mama", sagt Andreas Tochter Sharon, "ist ziemlich ausgeflippt".

Wenn also das Café das Herz der Münchner Freiheit ist, wo ist dann ihre Mitte? Zurück am Busbahnhof, wo inzwischen die Rushhour vorüber ist, also auch die Zeit der bemerkenswert häufigen Beinah-Unfälle zwischen Radlern und Passagieren. Die Abendsonne scheint schräg durch die Beine des Hochdachs. Vorglühen für den späten Abend, wenn die künstlich illuminierte Haube als absinthgrünes Leuchten weithin sichtbar ist. Thomas Traub ist in den Anblick versunken.

Der Architekt schnalzt mit der Zunge. "Großartig!" Er führe jeden Besuch hierher, zu Münchens bestem neuen Bauwerk. Und dann ist da noch Annette Kubo. Sie flaniert in hohen Schuhen mit kleinen Schritten über den gepflasterten Platz, ihr mohnfarben bedruckter Umhang flattert im Wind. Ein schönes Bild. Früher, als es hier duster und heruntergekommen war, wäre sie gar nicht aufgefallen. Ja, es gefalle ihr, sagt sie. "Es fühlt sich lebendig an, irgendwie peppig. So nach ...", sie überlegt. "Nach Münchner Freiheit."

Vielleicht wäre das die Chance der Kuppel, über deren Gestalt ja ruhig weiter gestritten werden kann: dass sie den Platz unverwechselbar macht. Ein Gefühl dafür weckt, dass das überhaupt ein Platz ist, nicht bloß eine Bahnstation. Übrigens von allen Plätzen Münchens der mit dem schönsten Namen.

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