Münchner Frauenkirche:Wie der Teufel den Dombau verhindern wollte

Münchner Frauenkirche: Vom Münchner Liebfrauendom mit den charakteristischen Zwillingstürmen werden zahlreiche Sagen und Legenden erzählt.

Vom Münchner Liebfrauendom mit den charakteristischen Zwillingstürmen werden zahlreiche Sagen und Legenden erzählt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Um die Münchner Frauenkirche ranken sich zahlreiche Legenden. Doch die meisten Touristen schenken nur einer Delle im Boden ihre Aufmerksamkeit und wollen wissen: Welche Schuhgröße hat der Teufel?

Von Renate Winkler-Schlang

"Welche Schuhgröße hat der Teufel?" Wenige Minuten nach elf sind sie da, die Touristengruppen. Die Frauenkirche steht bei ihnen gleich nach dem Glockenspiel am Marienplatz auf dem Programm, denn sie müssen wieder weg sein, ehe um 12 Uhr das Angelusgebet beginnt. Coffee to go in der einen Hand, die andere in der Hosentasche, keine frei für den Weihwasserkessel und ein Kreuzzeichen, das Käppi auf dem Kopf, statt ehrfürchtig abgenommen.

Johann Bayer und Heinz Haslbeck sind ehrenamtliche Aufseher im Münchner Liebfrauendom und müssen einigen der jährlich rund zwei Millionen Besuchern klar machen, dass sie sich dort nicht aufführen dürfen "wie im Urlaub an der Copacabana". Es ärgert sie, dass die meisten nur den sagenhaften Schuhabdruck des Teufels direkt unter der Orgel umringen und dass mancher keinen Schritt zum Altar geht, ja nicht einmal den Blick dorthin richtet. Auf die blöde Frage nach der Schuhgröße antworten die Aufseher dennoch humorvoll: "Morgens 43, nachmittags 46."

Ordinariatsrat Norbert Jocher, Leiter des Kunstreferats der Erzdiözese München und Freising, kritisiert ebenfalls, dass diese eine dunkle Delle im Boden die Aufmerksamkeit absorbiert und die echten Schätze der Kirche nur wenige Besucher interessieren. Er sagt aber auch: "Ohne den Teufelsabdruck wäre der Dom nicht zu verstehen."

Jocher holt aus: Zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, München war "nicht sehr wichtig" im Vergleich etwa zu Landshut oder Straubing. Es gab viele Tagelöhner, Holzhütten. Zweistöckige Patrizierhäuser blieben schon eine Seltenheit. Eine Kirche zu errichten, die diese Bauten um ein Vielfaches überragte und in die 10 000 Gläubige passen, obwohl München nur 9000 Einwohner hatte und obendrein genug andere Kirchen, das war eine große Sache. Künstler durchbrachen die Alltagsgrenzen. "Gott soll hier real präsent sein: Da versagt die Ratio, das kann der Mensch sich kaum vorstellen."

Die Sage mache es fassbarer, so Jocher. Der Teufel, für die damaligen Menschen realer als für die heutigen, fand - vielleicht stellvertretend? -, dass die Münchner es übertreiben. Dann redete er sich den neuen Dom klein, verspottete ihn als fensterlose Halle. Damals, gleich nach der Fertigstellung, sei das große Ostfenster aber noch gar nicht völlig von einem Altar verstellt gewesen: Der wütende Höllenchef hätte Licht sehen können, denn raumhoch das Fenster verdeckend war erst der Nachfolgealtar, weiß Jocher. "Sagen sind nicht historisch korrekt", sagt der Experte: "Sie wollten mit drastischen Bildern erklären, was die Vorstellung der Menschen übersteigt."

In diesem Fall laute die wichtigste Botschaft: Bis hierher und nicht weiter hat der Teufel Zutritt. Wer ins Gotteshaus kommt, muss das Weltliche hinter sich lassen. "Das Gute siegt - schon gleich gar in so einem Kirchenraum." Jocher schaut bewundernd nach oben - und wünscht sich, die Touristen täten es auch. In Form des Windes, der stets ums Portal weht, soll der Teufel draußen weiter präsent sein, sagt die Sage. Der Wind hat es in Jahrhunderten nicht geschafft, diesen Bau mit den filigranen Säulen und durchbrochenen Wänden, den heute vielleicht kein Statiker genehmigen würde, zum Einsturz zu bringen, sagt Jocher: "Sichtbar machen, dass es etwas Höheres gibt", das sei wohl immer Kern einer Sage.

Sagen um steinerne Figuren und Lokalpatrioten

Gisela Schinzel-Penth hat in ihrer umfangreichen Sammlung von "Sagen und Legenden von München" (Ambro Lacus Buch- und Bildverlag) nicht nur diese eine über die Frauenkirche erwähnt. 37 der 400 Seiten widmen sich den Sagen um diesen zentralen Kirchenbau, 30 kleine Geschichten aus einer versunkenen Zeit wirken bis heute und sprechen nicht nur Kinder an. Darunter ist auch die von der "kunstreichen Uhr", die sich auch tatsächlich neben der ehemaligen Andreaskapelle in der Frauenkirche findet.

Münchner Frauenkirche: Norbert Jocher weiß viel zu erzählen im und über den Dom.

Norbert Jocher weiß viel zu erzählen im und über den Dom.

(Foto: Stephan Rumpf)

In der Sage blieb die komplizierte Mechanik der Zeiger und der beweglichen geschnitzten Figuren stehen, als ihr Erfinder starb. Keiner nach ihm brachte das technische Wunderwerk wieder komplett zum Laufen. Jocher lacht: "Natürlich geht die Uhr, sie wird nur nicht immer aufgezogen, um die Mechanik zu schonen." Die Lehre aus der Sage sei aber eindeutig: "Wer bei der Reparatur keine hehren Gedanken hat und nur auf irdischen Ruhm aus ist, der versagt."

Bei manchen Sagen hat Jocher aber auch ganz profane Erklärungen: Die Glocke aus Regensburg, die vor ihrer Aufhängung jede Nacht ein paar Zentimeter gen Heimat wanderte und nach dem Hochziehen beim ersten Läuten zersprang: "Schlichter Lokalpatriotismus der Regensburger", meint Jocher dazu. Andere Sagen wieder klingen wie eine Abwandlung der Geschichte vom verlorenen Sohn.

Dann soll es ein schwarzes Kreuz mit silbernen Beinen geben: Einem Offizier hatte es das Leben gerettet, denn die Kugel blieb in den ursprünglichen Beinen stecken - er ersetzte sie dankbar durch silberne, lautet die Sage. Jocher kennt das Kreuz nicht, schließt aber nicht aus, dass alle angelaufenes Silber für Holz halten: "Die Oxidation macht auch aus einer weißen Taube eine schwarze Krähe", meint er vergnügt schmunzelnd.

Die Geschichte vom heiligen Benno, dem Schutzpatron der Münchner, der den Schwedenkönig mild stimmte, interpretiert Jocher als Erzählung von einem besonders gelungenen Leben eines gesegneten Menschen, durch den Gott wirkte: "Endlichkeit und Ewigkeit werden hier untrennbar miteinander verbunden."

Schinzel-Penth erwähnt auch noch ein steinernes Zeichen links außen am rückwärtigen Nordportal, ein Schild mit einem Kreuz darin: ein immer noch vorhandenes Symbol für das uralte Recht auf Asyl in einer Kirche. "Oberflächliche, weltliche Gesetze sind in der Kirche außer Kraft. Wo die Gesetze des Bösen keine Rolle spielen, hat jeder Mensch das Recht zu sein", sagt Norbert Jocher und wird dabei ganz ernst. Die Touristen drängen an ihm vorbei ins Freie.

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