Süddeutsche Zeitung

Münchner durchtaucht den Ärmelkanal:65 Kilometer unter Wasser

Ölbrocken statt Fische - und dann fällt auch noch das GPS-Gerät aus: Trotzdem hat Achim Schlöffel aus München als erster Mensch überhaupt den Ärmelkanal durchtaucht und einen Weltrekord aufgestellt. Immer dabei: die Angst vor einer Schiffsschraube.

Franziska Gerlach

Achim Schlöffel ist unglaublich schwer zu erreichen. Das liegt daran, dass er die meiste Zeit im Wasser ist. Am vergangenen Freitagnachmittag ist er etwa an der französischen Küste bei Calais wieder aufgetaucht: erschöpft, müde, aber auch erleichtert, als Erster überhaupt den Ärmelkanal durchtaucht zu haben.

Die Faszination für den Tauchsport hat ihn 1978 im Griechenlandurlaub gepackt. Gerade mal sieben Jahre alt ist Schlöffel damals gewesen. Doch der versunkene Fischkutter, den er am Grund der kleinen Bucht gesichtet hat, lässt ihn seither nicht mehr los. "Alte Schiffe faszinieren mich einfach", sagt Schlöffel. "Es gibt nichts Schöneres, als sie zu untersuchen, zu filmen und ihre Beschaffenheit zu dokumentieren."

Die Biografie des 40-jährigen Berufstauchers ist beachtlich: Mehr als 7000 Tauchgänge gehen auf sein Konto, sein tiefster Tauchgang führte ihn auf 167 Meter hinab. Von 1999 bis 2008 war er als einzig deutschsprachiger Ausbilder der Global Underwater Explorers in den USA tätig. 2008 gründet er den Tauchverband Innerspace Explorers, der sich auf die Ausbildung technischer Taucher und die Erforschung der Unterwasserwelt konzentriert.

Anders als beim gängigen Sporttauchen gehen technische Taucher nicht selten bis 100 Metern tief. In Schlöffels Workshops erkunden die angehenden Taucher Höhlen und Wracks, benutzen dabei ein spezielles Atemgemisch und lernen, mit Notfallsituationen umzugehen.

Mit seinem Tauchgang durch den Ärmelkanal schlägt Achim Schlöffel derzeit Wellen: Acht Stunden in Kälte und Dunkelheit und insgesamt 65 Kilometer strömungsreiches Gewässer liegen hinter ihm. Dafür kann er sich fortan den Weltrekord auf die Fahne schreiben.

Die Idee dazu ist dem Berufstaucher schon eine ganze Weile durch den Kopf gegangen. Als Kind sieht Schlöffel eine Dokumentation über die ersten Kanalschwimmer - und denkt sich: Wenn es möglich ist, von Dover nach Calais zu schwimmen, dann müsste der Ärmelkanal doch auch zu durchtauchen sein.

Rein theoretisch zumindest, doch in der Praxis war bis vor Jahren die technischen Voraussetzungen nicht gegeben. Außerdem, so erzählt Schlöffel, seien andere Taucher oftmals daran gescheitert, dass sie zu nah an der Wasseroberfläche geblieben oder sogar aufgetaucht sind.

Achim Schlöffel geht den anspruchsvollen Tauchgang anders an. Durchtauchen statt auftauchen, setzt er sich zum Ziel. Die Wasseroberfläche stellt er sich als "imaginäre Höhlendecke" vor. Im Schnitt taucht er 30 Meter tief. Nur einmal, als er ein starkes Vibrieren spürt, taucht er ab und berührt den Grund auf 57 Metern. "Ich hatte Angst, in den Sog einer Schiffsschraube zu geraten", berichtet Schlöffel, der pro Jahr um die 350 Tauchgänge absolviert. Immerhin sei der Ärmelkanal die am stärksten befahrene Schifffahrtstraße der Welt.

Zwei Jahre forscht ein eigens für Schlöffels Operation zusammengestelltes Team an der optimalen Route: wälzt Seekarten, misst Strömungen - und kontrolliert, ob an besagtem Tag keine Tankschiffe den Kanal durchschippern.

150 Kilogramm ist seine Ausrüstung schwer, als er am frühen Morgen des 29. Juni bei Dover ins Wasser gleitet, lebenserhaltende Systeme wie Atemgeräte hat er doppelt dabei. 70 Kilogramm wiegt allein der speziell angefertigte Scooter, ein motorisiertes Tauchgerät, das ihn pro Minute 160 Meter durchs Wasser zieht. Im grünlich trüben Wasser des Ärmelkanals sieht Schlöffel maximal sieben Meter weit.

Besonders auf den erstem Metern wirbelt ihm Sand entgegen. Die Sicht ist gleich null. "In puncto Sauberkeit ist der Ärmelkanal ein Trauerspiel", berichtet Schlöffel. Lediglich drei bis vier kleine Fische habe er gesehen, dafür jede Menge Ölbrocken.

Vorwärts getrieben hat Achim Schlöffel ein starker Wille, unterstützt eine hochmoderne Tauchausrüstung, bei Laune gehalten die Tatsache, dass seine Frau ihn auf der französischen Seite erwartet. Langeweile? Keine Sekunde. "Ich war permanent damit beschäftigt, mein elektronisches Atemgerät zu kontrollieren und meinen Scooter zu navigieren."

Als Schlöffel schließlich am Cap Gris Nez statt wie geplant in Calais aus dem Wasser geht, sitzt er erstmal allein im Sand. Sein GPS-Gerät ist wegen des starken Wellengangs ausgefallen - und hat dem Team nicht gemeldet, dass ihn die starke Strömung zehn Kilometer nach Süden gespült hat.

Den Medienrummel, den sein Weltrekord mit sich bringt, nimmt Achim Schlöffel gelassen. Lieber beobachtet er Fische am Starnberger See. Und denkt über nächste Tauchexpeditionen nach. "Vor Sardinien liegt noch ein schönes Wrack", sagt er.

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SZ vom 04.07.2012/tob
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