Münchner City:Wem gehört die Stadt?

Münchner City: Spektakuläre Neueröffnung in der Sendlinger Straße: Als das amerikanische Label Abercrombie seinen Laden eröffnete, waren die Schlangen vor der Tür lang.

Spektakuläre Neueröffnung in der Sendlinger Straße: Als das amerikanische Label Abercrombie seinen Laden eröffnete, waren die Schlangen vor der Tür lang.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Münchner Innenstadt bietet all das, was Einkaufstütenträger suchen: Sie ist eine der größten Einkaufsmeilen der Welt und voller schöner Fassaden. Doch fehlt da nicht etwas? Ein Plädoyer für mehr nutzbaren öffentlichen Raum.

Von Laura Weißmüller

Es war kein Versprecher. Als der Architekt des Joseph Pschorr Hauses im vergangenen Herbst sein fertiges Werk vorstellte, verwies er stolz darauf, wie er durch die hochwertige Fassadengestaltung öffentliche Räume geschaffen habe. Einen Raum, in der Vertikalen, durch eine verspiegelte, mehrfach gefaltete Wand? Da können die aufwendig bearbeiteten Kupferplatten, hinter denen seither Sport Scheck und die amerikanische Modekette Forever 21 residieren, noch so verführerisch glänzen - wer sich hier aufhalten will, bräuchte schon die Fähigkeiten eines Superhelden, der Wände hochgehen kann.

Wer wissen will, warum sich unsere Städte immer mehr in gigantische Shoppingmalls verwandeln, sollte nicht ein einzelnes Haus betrachten, sondern lieber das, was zwischen der einen Modefiliale und dem anderen Schuhgeschäft liegt: öffentlicher Raum. Nicht nur in München, sondern auch in Zürich, Wien, London, Paris - ja in allen boomenden Städten Europas - finden sich blitzblank gefegte Straßenzüge, die nach Ladenschluss verwaist sind; und tagsüber bevölkern sie allein Einkaufstütenträger. Was sollte man auch sonst hier tun?

Das Herz der Städte verwandelt sich in ein Bermudadreieck, das alle Menschen in fensterlose Großkisten voller Kopfschmerz produzierender Kunstluft einsaugt. Sie alle sind auf der Suche nach - den überall selben - Turnschuhen, Sommerkleidern, Espressomaschinen. Den Rest der Bevölkerung komplimentiert das Konsum-Eldorado dagegen gnadenlos heraus. Wer nichts einkaufen will oder wer einfach nicht das Geld dazu hat, der hat hier nichts verloren. Es gibt keine Bänke, kaum Sitzgelegenheiten, keinen Ort zum Verweilen, wo nicht schon wieder der Kellner mit der Cappuccino-Rechnung winken würde.

Wer am meisten zahlen konnte, dem wurden auch die besten Ideen attestiert

Auch das, was mal als großes Versprechen galt - die Fußgängerzone - und vor 60 Jahren von Rotterdam aus seinen Weg in die Zentren europäischer Metropolen nahm, hat sich längst zum Totengräber der Städte entwickelt. Denn was vielleicht einmal wohltuende Wirkung in der umbrausten autogerechten Stadt hatte, besitzt heute einen narkotisierenden Effekt. In München konnte man das kürzlich ganz gut miterleben, als Teile der Sendlinger Straße in eine Fußgängerzone verwandelt wurden. Sobald die Läden schließen und die Kids nicht mehr vor Abercrombie & Fitch Schlange stehen, wird die Fläche zwischen beiden Straßenseiten toter Raum. Die Nutzlosigkeit und damit auch die Bedeutungslosigkeit des Ortes endet erst wieder, wenn der nächste Werktag beginnt.

Die Aufgabe der Innenstädte scheint zunehmend darauf reduziert, den Umsatz der dort ansässigen Geschäfte zu steigern. Eine Art urbanes Fastfood-Shopping. Schnell viel konsumieren und dann bitte schleunigst wieder gehen. Die einzelnen Häuser geben sich nicht die Mühe miteinander zu kommunizieren, das eigene Schaufenster ist das einzige was zählt. Doch eine Ansammlung von architektonischen Autisten ergibt kein lebendiges Stadtviertel. Die Türme der Frauenkirche und das Sendlinger Tor wirken wie eine Werbeattrappe. Münchens Leben findet woanders statt.

Der systematische Ausverkauf der Städte

Woran das liegt? Vor allem am systematischen Ausverkauf der Städte, den die Kommunen und der Staat jahrzehntelang im Glauben an den Neoliberalismus betrieben haben. Viel zu lange dachte die öffentliche Hand, die private wäre geschickter im Entwickeln von Grundstücken. Wer am meisten zahlen konnte, dem wurden auch die besten Ideen attestiert. Mit vollen Händen wurde der eigene Grund meistbietend verkauft. Auch in München wiederholte sich dieses Muster, als das Erbbaurecht für die Alte Akademie, eines der letzten Filetgrundstücke der Innenstadt, für 65 Jahre an den Immobilieninvestor René Benko ging. Doch die private Marktwirtschaft kennt kein Gewissen. Und genau so sehen unsere Innenstädte heute auch aus.

In München kann man diese Entwicklung wie unter einer Lupe betrachten. Kaum eine Stadt von dieser Größe und internationalen Bedeutung ist so zentriert angelegt wie die Isar-Metropole. Umso besser lässt sich hier der Pulsschlag messen: Sind die Läden geöffnet, wirkt die Innenstadt, als drohte ihr der Herzinfarkt, die Massen schieben sich hektisch und kurzatmig durch die Fußgängerzone.

Kein Leben nach Ladenschluss

Doch mit Ladenschlusszeiten kommt das Leben schlagartig zum Erliegen. Wer gegen halb neun Uhr abends einen der Nachtwächter sieht, wie er einer Schar Touristen bedeutungsschwer davon erzählt, was an dieser Ecke, in dieser Straße, auf diesem Platz sich einmal ereignet hat, kann nur staunen: Das Versprechen einer Stadt, dass hier etwas Aufregendes passiert, der eine etwas ganz anderes tut als der andere und Menschen sich begegnen statt sich nur im Weg zu stehen oder anzurempeln - das alles wirkt so aus einer anderen Zeit wie die mittelalterliche Kutte, die sich der Touristenführer übergestreift hat.

Bleibt die Frage, was die Stadt dagegen tun kann. "Durchmischen", lautet seit geraumer Zeit das Zauberwort gegen urbane Ödnis. Ein Ort solle unterschiedliche Nutzungen ermöglichen, damit dort nicht nur geshoppt, sondern auch gearbeitet und gewohnt werden kann. Beim Joseph Pschorr Haus hatte der Architekt deswegen die Auflage zu erfüllen, neben Verkaufsfläche auch Wohnraum zu schaffen. Elegant sehen die 25 Wohnungen gleich unter dem Dach aus, ein wenig japanisch durch die fließenden Räume, Steingärten und Schiebetüren. Das passt perfekt zum Geschmack der Geldelite, der sich immer mehr an der Fünf-Sterne-Ausstattung internationaler Nobelhotels orientiert.

Kein Wunder, dass hier niemand die Fenster öffnen muss oder die Heizung kontrollieren. Die Wohnungen können drei Monate komplett autark funktionieren. Wer sich hier einmietet, dürfte so häufig zu Gast sein, wie er sonst irgendwo auf der Welt in Hotels eincheckt. Und auch, wenn er permanent hier einzieht: So wie der gewöhnliche Betrachter dem Haus von außen gar nicht ansieht, dass darin auch gewohnt werden kann - eine Art Funktions-Camouflage - so wenig wird die Umgebung von den neuen Bewohnern im Stadtbild profitieren. Wer hier lebt, fährt mit seinem Wagen direkt in die Tiefgarage unter dem Haus. Sozialer Austausch ist hier nicht vorgesehen.

Arbeiten, wohnen und einkaufen

Eine Durchmischung, die ehrlich gemeint ist, kann deswegen nur funktionieren, wenn sie sich an alle richtet. Auch weil jedem Bewohner dieser Stadt der öffentliche Raum gleichermaßen gehört. Man mag das manchmal vergessen, weil die attraktiven Innenstadtlagen allzu dreist als hübsche Kulisse für elitäre Privatevents missbraucht werden, doch selbst in München gibt es nicht nur wohlhabende Menschen. Schon für die Mittelschicht wird es immer schwieriger, eine Bleibe zu finden - warum also nicht auch im Zentrum bezahlbaren Wohnraum schaffen? Dessen Zielgruppe trägt mehr zum Quartiersleben bei als jeder Stopover-Bewohner.

Vor allem aber besteht das Leben nicht nur aus Arbeiten, Wohnen und Einkaufen. Was Münchens Innenstadt völlig fehlt, sind Orte mit Aufenthaltsqualität, an denen man nichts konsumieren muss. Nur so lässt sich erklären, dass ein Platz wie der Stachus bienenstockartig bevölkert ist. Schön ist das kreisrunde Auffangbecken der Tütenträger mit den würfelförmigen Bollern nämlich nicht. Auch der viel gepriesene St.-Jakobs-Platz zwischen dem Jüdischen Museum, der Synagoge und dem Stadtmuseum ist kein Wunderwerk an Platzgestaltung. Nur wer ihn kennt, wird ihn finden. Sichtbeziehungen zu den durchpulsten Einkaufsadern fehlen völlig. Die Sitzmöglichkeiten sind handverlesen. Wer hier länger verweilen will, muss schon das Café im Stadtmuseum aufsuchen. Nichts gegen dieses Lokal, doch eine Stadt, die wirklich allen offen stehen will, muss für ihre Bewohner auch attraktive Orte schaffen, die sich kostenlos genießen lassen. Einen Latte Macchiato für knapp vier Euro kann sich eben nicht jeder leisten.

Schon wahr: Stadtmöbel, die Plätze zum Verweilen, zum Ausruhen und sich Begegnen schaffen, sehen häufig so aus wie das Wort klingt: Klobig, sperrig, den jeweiligen Zeitgeist penetrant umarmend. Das muss aber nicht so sein. Wien etwa zeigt im Innenhof seines Museumsquartiers, wie man Menschen charmant zum Bleiben auffordern kann. Die bunten Würfel dort lassen sich zu Sesseln und Liegen zusammenschieben. Nur: Eine Stadt muss sich die Gedanken selbst machen, wie sie ihren Bürgern mehr Aufenthaltsqualität bieten will. In Münchens Zentrum sieht man davon wenig. Dabei leben an der Isar erstaunlich viele hochkarätige Designer. Doch deren Arbeit schlägt sich bislang so gut wie überhaupt nicht im Stadtbild nieder. Warum nicht einmal jemanden wie Konstantin Grcic oder Stefan Diez fragen, was ihnen zum öffentlichen Raum einfällt? Beide sind dafür bekannt, dass sie die Anforderungen unserer Gegenwart ernst nehmen und in schnörkellose Entwürfe gießen.

Städte müssen eigene Antworten finden

Was dabei herauskommen kann, hat Helsinki gezeigt. Die Stadt durfte sich vor zwei Jahren Weltdesignhauptstadt nennen und nutzte den sperrigen Titel, um eine neue Art von Stadtplanung auszuprobieren. Eine, bei der auch Soziologen, Künstler, Designer und Studenten am Tisch sitzen, wenn es darum geht, wie wir alle in Zukunft leben wollen. Jetzt gibt es dort - typisch Finnen - eine öffentliche Sauna mit Kulturprogramm. Und auf einem der zentralsten Plätze der Innenstadt einen kleinen ovalen Holzbau. Es ist die Kapelle der Stille. Umzirkelt von Shoppingmalls und Kaufhäusern kann sich hier jeder einen Moment Ruhe gönnen, kann auf schlichten Holzbänken Platz nehmen, mit einem der Sozialarbeiter ein Gespräch führen - oder einfach nur nach dem Weg fragen. Das Bedürfnis nach solchen Begegnungsorten, die optisch keine bestimmte Glaubensrichtung verordnen, scheint groß zu sein: Im Sommer besuchen täglich 2000 Menschen die Kamppi-Kapelle.

Dass auch München solche Orte zumindest temporär schaffen kann, hat man gerade erlebt. Für die Architekturwoche stellte der Bund Deutscher Architekten einen Holzpavillon, eigentlich nur ein lang gezogenes Dach auf Baumstämmen, in die Grünfläche an der Herzog-Wilhelm-Straße. Innerhalb weniger Tage hatte sich der Ort etabliert. Es gab Vorträge und Diskussionen. Wer wollte, konnte sich ein Bier kaufen oder etwas zu essen - musste er aber nicht. Gespräche kamen auch so zustanden. Öffentlicher Raum, der nicht nur schön anzusehen, sondern benutzbar war. Von der Kupferfassade des Joseph Pschorr-Hauses, nur ein paar Hundert Meter weit entfernt, kann man das nicht behaupten.

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