Musiktheater:Berührt ohne Bedienungsanleitung

Musiktheater: Daniel Ott und Manos Tsangaris lassen die Künstler der Biennale diesmal über Freundschaften nachdenken.

Daniel Ott und Manos Tsangaris lassen die Künstler der Biennale diesmal über Freundschaften nachdenken.

(Foto: Manu Theobald)

Am Samstag beginnt die Münchner Musiktheater-Biennale - für deren Leiter Daniel Ott und Manos Tsangaris ist es die vierte Ausgabe des Festivals .

Von Egbert Tholl, München

2016 übernahmen Daniel Ott und Manos Tsangaris die Münchner Musiktheater-Biennale, gaben dem Uraufführungsfestival etwas Spielerisches mit, ohne die großen Werke aus den Augen zu verlieren. Auch ihre vierte Ausgabe - die von 2020 fand statt, wenn auch pandemiebedingt dezentral und verteilt über fast zwei Jahre - lebt von der Fülle der Formen, die zeigt, was Musiktheater heute alles sein kann. Beginn ist am 7. Mai mit der Uraufführung von "Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr" von Bernhard Gander und Serhij Zhadan in der Muffathalle.

SZ: Die Biennale trägt diesmal das Motto "Good Friends". Was bedeutet das?

Daniel Ott: Der Zuschauer der diesjährigen Biennale ist gebeten, über gute Freundschaften nachzudenken oder sich sinnlich an gute Freundschaften heranführen zu lassen.

Im Prinzip besteht ja für jeden Festivalmacher das Programm aus guten Freundschaften. Was ist es bei Ihnen im Speziellen?

Ott: Wir fassen den Freundschaftsbegriff sehr weit, und haben die Kunstschaffenden nach sehr unterschiedlichen Freundschaftsideen befragt. Das geht von dystopischen Freundschaften bis zu sehr herzlichen.

Im künstlerischen oder im menschlichen Sinn?

Ott: Im künstlerischen, im menschlichen und im Sinn der Meta-Ebene des Darübernachdenkens. Uns hat diesmal auch das Politische von Freundschaften interessiert, wenn zum Beispiel Staatsführer, gerade jetzt, betonen, dass ihre Völker besonders gut befreundet seien. Da wird man meist hellhörig.

Und wie wird aus Freundschaft Musiktheater?

Manos Tsangaris: Schauen wir uns einfach das Eröffnungswochenende an. Das wird eröffnet von Serhij Zhadan und Bernhard Gander, die sich vorher nicht kannten, aber nun zu einer Arbeitsfreundschaft gekommen sind. Zhadan ist einer der profiliertesten ukrainischen Autoren, den wir natürlich schon vor zweieinhalb Jahren gefragt haben, ob er uns zum Thema "Gute Freunde" ein Libretto schreibt.

Und zweieinhalb Jahre später heißt die Oper mit der Musik von Gander "Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr".

Tsangaris: Der Titel ist natürlich auch schon älter. Und doch ist es wirklich beklemmend zu erleben, wie aktuell, präzise und zugespitzt das Ergebnis ist. Und zwar gar nicht einmal auf die Ukraine bezogen, sondern in Bezug auf Abschiebung, Vertreibung, politischer Zuspitzung, wie es sich im individuellen Schicksal zeigt.

Womit eröffnen Sie noch?

Tsangaris: Das nächste ist "Davor", ein dokumentarisches Musiktheater, das basiert auf Interviews mit Menschen, die in Deutschland leben und im weitesten Sinne einen migrantischen Hintergrund haben. Darauf aufbauend wird ein Parcours gestaltet, der auch technische Möglichkeiten wie VR-Brillen miteinbezieht.

Ott: Der Zuschauer wird direkt angesprochen, man wird quasi Teil von rassistischen Übergriffen. "Little Lives", die dritte Eröffnungsproduktion, verdeutlicht hingegen den Riesenabstand, den England nach dem Brexit zu Europa hat.

Peter Ruzicka, Ihr Vorgänger als Leiter der Biennale, war auf der Suche nach neuen, gültigen Werken gewesen, die ein Eigenleben im Repertoire bekommen könnten. Als Sie kamen, hatte man das Gefühl, es geht stärker um den Moment des unmittelbaren Erlebens.

Ott: Ich würde sagen jein.

Tsangaris: Es war eher ein nachdenkliches Hin und Her. Über den Werkcharakter haben wir schon vorher gestritten, Freunde von mir waren etwa der Meinung, die Partitur allein sei das Werk, eine Aufführung bereits ein Art Verschmutzung.

Das ist keine recht sinnliche Haltung.

Tsangaris: Genau. Dennoch ist die Werkhaftigkeit, natürlich verbunden mit einer Aufführung, etwas, was uns nach wie vor extrem interessiert.

Nehmen wir die drei Eröffnungsproduktionen: Könnten Sie sich von diesen Stücken andere Aufführungen in ganz anderen Zusammenhängen vorstellen?

Tsangaris: Absolut. Die Frage ist ja: Wo findet das Werk statt? Ist es nicht so, dass es sich erst im Verhältnis zu Menschen, die sich damit auseinandersetzen, zeigt?

Das gilt für eine Verdi-Oper letztlich auch.

Tsangaris: Eben. Zum Werk gehört auch, dass wir in der Lage sind, eine gewisse Distanz einzunehmen.

Ott: Ich würde sagen, bei der Biennale 2018 gab es Stücke, die nachgespielt werden können und welche, die genau für diesen Ort in München gedacht waren. Auch da wäre nicht ausgeschlossen, sie woanders aufzuführen, aber man müsste sie kräftig umarbeiten. Hans Werner Henze, der die Biennale gründete, meinte ja, wir brauchen auch einmal eine neue "Traviata". Den Gedanken verfolgen wir durchaus weiter.

Wie viele sozusagen neue Traviaten gibt es dieses Jahr?

Ott: Von dem, was ich bisher gesehen habe, würde ich sagen zwei. Die Eröffnungsproduktion mit ihrer brennenden Aktualität, der ich wirklich wünsche, dass sich die Theater drum reißen. Und die Produktion von Malin Bång, "The Damned And The Saved", die vor dem Hintergrund China-Hongkong spielt. Als Theaterleiter würde ich mir eine der beiden Arbeiten aussuchen.

Tsangaris: Ergänzen möchte ich, dass diese Sachen weit mehr als aktuell sind, das sind wirklich außerordentlich konsistente Werke. Die besitzen mehr als die Möglichkeit, sie zu wiederholen, die besitzen auch mehr als eine ästhetische Qualität, die man vielleicht gar nicht verändern will.

Es geht ja bei einer Musiktheater-Biennale nicht um Werke, die man ins Museum stellen kann.

Ott: Als wir anfingen, wollten wir ein gutes Festival machen, zu dem man hingeht.

Tsangaris: Wir können auf das Wort Kunst gern verzichten, aber nicht auf das Moment der Überschreitung. Wenn wir ein gutes Festival machen wollen, muss am Ende etwas herauskommen, das mehr ist als nur die Summe der Einzelteile.

Viele Musikinteressierte schrecken zurück, wenn sie das Wort "zeitgenössisch" hören. Braucht man für Ihr Programm Vorkenntnisse?

Tsangaris: Die Besucher müssen überhaupt keine Fach-Nerds sein.

Ott: Wir suchen Stücke, die sich selbst erklären und die berühren. Man braucht keine Bedienungsanleitung.

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