Münchner Altstadt:Klein und fein

Der Preisdruck in München ist enorm - und doch haben sich im Zentrum mehr kleine Geschäfte halten können als in anderen deutschen Großstädten. Zu Besuch bei Badausstattern, Müllern und anderen Traditionshändlern, die der Altstadt ihr besonderes Flair verleihen.

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Der Preisdruck in der Altstadt ist enorm - und doch haben sich im Münchner Zentrum viel mehr kleinere Geschäfte halten können als in anderen deutschen Großstädten. Sie schaffen es, in ihren speziellen Nischen zu überleben, trotz aller Probleme, mit denen sie kämpfen. Ein Besuch bei Friseuren, Badausstattern, bei Müllern, Hoteliers und anderen Traditionshändlern, die der Altstadt immer noch ihr ganz besonderes Flair verleihen.

200, 30, 10 - es ist eine Zahlenspielerei, aber für Stefan Grosse hat sie einige Bedeutung: Genau 200 Jahre alt ist sein Hotel Blauer Bock, seit 30 Jahren arbeitet der Hotelier in München, seit zehn Jahren gibt es im Blauen Bock auch das Hotelrestaurant mit Spitzenkoch Hans Jörg Bachmeier. Grosse ist ziemlich gut gelaunt an diesem Morgen. Die Sonne scheint warm, er stellt die gerade neu gekauften Korbstühle vor dem Hotel am Sebastiansplatz auf. Die Sommersaison hat endlich begonnen. Und nun sind es nur noch ein paar Monate, bis Grosse eine jahrelange Sisyphusarbeit überstanden haben wird: die Generalsanierung des mittelalterlichen Gebäudes mit seinen 77 Räumen. "Jetzt werden die letzten 40 Zimmer neu gestaltet", sagt der 50-Jährige. Gestemmt hat Grosse die Generalsanierung mit Hilfe der Münchner Gewofag.

Jahrelang haben seine Hotelgäste fast unbemerkt in einer Baustelle gelebt. Die Gäste kamen trotzdem immer wieder. "Wir haben einen ganz tollen Stamm an Honoratioren, die dem Hotel seit 40, 50 Jahren die Stange halten." Aber auch die Mischung macht es, dass der Betrieb läuft. Natürlich gibt es Geschäftsleute, die die Innenstadtlage schätzen, es kommen aber auch viele Individualreisende und Familien. Für alle hat Grosse spezielle Angebote: günstige Zimmer mit Etagenbad, spezielle für Familien und anspruchsvolle Räume. Wenn in München wieder eine große Messe stattfindet, hebt auch Grosse die Preise an, allerdings nicht wie andere Hotels um bis zu 300 Prozent. Das bunte Publikum ist sicherlich ein Grund neben der traumhaften Lage, weshalb das Hotel beliebt ist. Der andere: ein ziemlich gut gelaunter Chef.

Text: Thomas Anlauf

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Quelle: Stephan Rumpf

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"Wie viele Geschäfte sind denn länger als 20 Jahre in der Theatinerstraße? Und länger als 40? Die kann man an einer Hand abzählen", sagt Helmut Diehl und zählt: Betten Rid, Handschuh Roeckl, um die Ecke Loden-Frey. Das war's. 2012 hat Maendler aufgegeben, die dritte spanische Kette zog ein, wenige Meter weiter eröffnete Anfang 2014 der fünfte H&M. Diese Entwicklung beobachtet Diehl mit Sorge: "Alteingesessene Geschäfte prägen das Gesicht einer Stadt, hier gibt es fast keine mehr."

Pfeifen Diehl gehört zu den letzten Traditionsgeschäften der Gegend: 1860 als Betrieb für Dreher- und Schnitzereien aus Elfenbein gegründet, verkaufte die Familie Pfeifen, Zigarren, Feuerzeuge und Lederwaren schon im Luitpoldblock, in der Residenz- und der Theatinerstraße. In den Fünf Höfen ist Pfeifen Diehl seit 14 Jahren. Außen Glas und Stahl, innen Nussbaumholz und Tabakduft. Zigaretten werden vor der Tür geraucht, Pfeifen und Zigarren sind im Inneren erlaubt: Schnuppern und Aromen erforschen statt Naserümpfen. Auch wenn der Geruch manche Neukunden des Taschenladens nebenan irritiert, wenn sie von der Maffeistraße her das Geschäft betreten. Es gibt zwei Eingangstüren, dahinter einen zusammenhängenden Laden. Sorgen um die Zukunft macht Diehl sich nicht, mit seiner Tochter Caroline arbeitet die fünfte Generation im Betrieb. Der Chef tüftelt meist an vielen Ideen gleichzeitig, um die Firma voranzubringen. Der Füller ist stets griffbereit, das Notizbuch eng beschrieben. Neue Tabakkreationen, die nächste Veranstaltung, das neue Taschengeschäft in Nürnberg, "wir müssen immer vorne dran sein, schneller, besser sein als die anderen", sagt Diehl. Dass der Kunde König ist, gehört zum Kaufmanns-Latein, er nimmt es wörtlich und begrüßt Stammkunden aus Adel, Industrie und Lokalprominenz schon mal mit Bückling. Oder fährt erschöpft trotz Tiefschnees nach einem Adventssamstag zum Eisenbahnspielen. Ein Stammkunde hatte ihn eingeladen.

Text: Anna Günther

Peter Eduard Meier im Schuhhaus Eduard Meier in München, 2012

Quelle: Catherina Hess

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Dass Sommer ist, merkt man bei Ed Meier sofort. Im neuen Stammhaus der traditionsreichen Schuhfirma in der Briennerstraße 10 türmen sich an der Treppe zum Obergeschoss keine handgenähten Schuhe oder Putzutensilien, sondern eine Wand aus Socken in lila-apricot, grün-rosa und pink-rot. Die Puppe daneben trägt Rock in neon-orange. Neon-orange trägt auch der Hund des Chefs - und Peter Eduard Meier selbst trägt dessen Leine, als er das Haus verlässt. 2012 hat er das Geschäft an der Residenz nach 30 Jahren geschlossen und zog in eine Ecke, die bisher kaum als Shoppingmeile galt. Er fühlte sich vertrieben: von der Veränderung der Theatinerstraße, von den vielen Radlern und den drohenden Bauarbeiten für eine mögliche zweite Stammstrecke. Peter Eduard Meier nennt die Gegend am Wittelsbacherplatz "herrlich", "richtig münchnerisch" und seine "letzte Ausweichzone". Klenze-Bauten, Parkplätze und deutsche Namen über den Läden sind ihm wichtig. "Ich habe etwas dagegen, wie die internationalen Luxuskonzerne arbeiten", sagt Meier. Sind die solventen Kunden weg, ziehen die Ketten weiter. Aber man müsse für Stadt und Nachbarschaft einen Beitrag leisten, findet Meier. Um das Flair der Briennerstraße zu erhalten, expandierte er und eröffnete die Gamsbar. Die Stammkunden folgten ihm, neue Schuhfans soll unter anderem die Bar anlocken. Doch Meier fordert mehr Einsatz von der Stadt, etwa beim Wittelsbacherplatz. Mittelalter-Spektakel im Advent und Hamburger Fischmarkt seien eine Verschandelung.

Text: Anna Günther

Thomas Baldauf, dem das Traditions-Geschäft Bad Völkel in der Damenstiftstraße gehört

Quelle: Florian Peljak

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240 Jahre im Hackenviertel, das ist schon eine beachtliche Kontinuität. Den Stolz darüber hört man Thomas Baldauf an. Der Inhaber des Badausstatters Völkel in der Damenstiftstraße erzählt, dass die Firma einst als Spenglerei gegründet wurde und in den Jahren der Belle Époque so berühmt war, dass sie das mondäne Kurbad Kissingen ausstatten durfte. Wer heute die Verkaufsräume betritt, fühlt sich zurückversetzt in alte Zeiten: Verzierte Säulen, eine eiserne Wendeltreppe - nur stammen die Wannen, Becken und Armaturen, wie minimalistische Kunstobjekte arrangiert, eindeutig aus der Gegenwart.

Schlicht und edel, das ist die Devise "beim Völkel", wie Kenner das Geschäft nennen. Wobei das zwar volkstümlich klingt, aber seine kaufkräftige Klientel, erzählt Baldauf, gehöre "zur obersten Spitze der Pyramide". Ein maßgefertigtes Bad für das Berliner Loft oder die Ferienvilla auf Mallorca lasse man sich einiges kosten. Für einen Familienbetrieb mit acht Mitarbeitern seien die explodierenden Mieten in der Innenstadt problematisch. "Der historische Standort ist uns wichtig", sagt der studierte Kommunikationswissenschaftler, der vor sechs Jahren zurückkehrte zum Metier des Vaters. "Aber es wird Jahr für Jahr schwieriger, die Lage zu halten".

Text: Anna Goebel

Betreiber der Kunstmühle, des Mehlladens und der Bäckerei in der Neuturmstraße neben dem Mandarin Oriental

Quelle: Florian Peljak

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Müller mit Leidenschaft: Martina und Stefan Blum.

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Quelle: Catherina Hess

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Links das vornehme Hotel Mandarin Oriental, gegenüber die Kammerspiele: Eine Mühle würde man in dieser Nachbarschaft wahrlich nicht vermuten. Aber nicht nur deshalb ist die Hofbräuhaus-Kunstmühle Jakob Blum etwas Einzigartiges in München. Bereits vor mehr als vier Jahrhunderten wurde hier Malz gebrochen, heute ist der Familienbetrieb von Stefan und Martina Blum die einzige Mühle in der Stadt. In vierter Generation mahlen die Blums nun Mehl in der Neuturmstraße, im Jahr 1988 kam der kleine Mehlladen dazu. Dort kaufen viele Münchner Pizzabäcker ein, und auch das Mehl für Brot und Brezn auf der Wiesn stammt von hier. Seit dreieinhalb Jahren haben die Blums auch selber eine eigene Bäckerei.

Und die läuft sehr gut, obwohl die Konkurrenz groß ist. An zehn Stellen im näheren Umkreis können Altstadtbewohner Semmeln und Brot kaufen, aber die meisten Menschen in der Gegend schauen in dem kleinen Laden in der Graggenau vorbei. "Der Trend geht ganz klar in Richtung Qualität", sagt Martina Blum. Und das bietet die Müllerfamilie: Es gibt historische Produkte wie die Münchner Mundsemmel, Münchner Biergebäck, Schwarz- und Vollkornbrot nach altem Rezept, aber auch Weißbrote, wie sie Bäcker Jakob Blum buk, der 1921 die Kunstmühle kaufte und die Familientradition begründete. Das Getreide kommt meist aus der Region, und regelmäßig kommen die Bauern mit ihren Traktoren vorgefahren, um ihr Getreide bei der Kunstmühle abzuladen - neben einem Luxushotel.

Text: Thomas Anlauf

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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"One Chance" steht auf dem riesigen gemalten Kinoplakat. Eine Chance, die hat vor fast 70 Jahren Fritz Preßmar genutzt. Da hat der Filmkaufmann 1945 das damals schon 32 Jahre alte Kino am Sendlinger Tor von der amerikanischen Militärregierung übernommen. Bis heute betreiben die Preßmars das Filmtheater, das tatsächlich mehr an ein mondänes Schauspielhaus als ein Kino erinnert. "Man spürt das Flair von 100 Jahren", sagt Christoph Preßmar, der das Filmtheater mit seinem Vater Fritz leitet. Er beobachtet immer wieder, dass Kinobesucher das erste Mal den Saal betreten und das historische Ambiente bestaunen.

Doch das Ambiente weckt auch Begehrlichkeiten. Der Eigentümer möchte gerne ein Premiumkino in seinem Haus haben mit hohen Eintrittspreisen. Doch eigentlich ist es das ja bereits. Nur die Eintrittspreise sind eben günstig, es gibt zahlreiche Ermäßigungen. Aber in dem prachtvollen Kinosaal ist modernste Hightech versteckt, "Wir sind hier auf dem neuesten Stand der Technik", sagt Preßmar. Schon sein Großvater sei in München ein Vorreiter gewesen, wenn es darum ging, technische Innovationen umzusetzen.

Die Besucherschlange reicht oft bis zur Sonnenstraße, so beliebt ist das Filmtheater am Sendlinger Tor. Doch das hat noch einen Grund: Das Stammpublikum vertraut der persönlichen Filmauswahl der Preßmars. Eigentlich kein Wunder, bei der langen Kinoerfahrung.

Text: Thomas Anlauf

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Rudolf Hauck arbeitet im Verborgenen. Es geht durch einen unscheinbaren Hauseingang, dahinter liegt ein kleiner Innenhof. Und, ein paar Stufen höher, befindet sich das Reich von Rudolf Hauck. Camillo bellt vergnügt zur Begrüßung, dann legt er sich neben einen der Friseurstühle. "Es gibt Kunden, die sagen, wer sich so was traut, muss gut sein", sagt Hauck über sein Geschäft im Hinterhof. Seit 20 Jahren ist der Friseur nun hier am Sebastiansplatz 7 - er muss also so gut sein, dass er gegen die Billigkonkurrenz einerseits und die Promifriseure andererseits besteht. "Gutes Handwerk setzt sich letztlich durch", sagt er. Es steckt aber mehr als Können dahinter, weshalb in seinem Friseursalon auch am Abend noch Kunden sitzen. In einer Sitzecke plaudert eine junge Frau mit ihrem Bekannten, ein Glas Wein in der Hand. Oben auf dem Balkon thront ein wuchtiger Refektoriumstisch aus einem Kloster. Hier treffen sich regelmäßig abends Freunde und Bekannte von Hauck zu guten Gesprächen, zwei Mal im Jahr lädt er offiziell zu geistvollen Abenden ein. Das spricht sich herum, auch in Prominentenkreisen. Als Promifriseur sieht sich der stattliche Franke mit einer gewissen Ähnlichkeit zu Klaus Maria Brandauer aber nicht. "Die Maximiliansstraßennummer hab' ich als Junger schon nicht leiden können", sagt er. Trotzdem kommen regelmäßig bekannte Münchner für eine neue Frisur zu ihm. Beim Friseur im Hinterhof bleiben sie im Verborgenen.

Text: Thomas Anlauf

© SZ vom 7./8./9.6/afis
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