Münchenstift:Gut gepflegt

Seit 20 Jahren gibt es ein eigenes Unternehmen für die städtischen Altenheime. Die einst defizitären, alten Häuser haben sich seither stark gewandelt

Von Sven Loerzer

Wenn Holger Damme zusammen mit Henry die Runde durchs Alfons-Hoffmann-Haus macht, dann gilt der erste Blick der Bewohner meist dem quirligen Hund. Der kleine struppige Kerl der Rasse Bolonka Zwetna macht seinem russischen Namensbestandteil "Schoßhündchen" alle Ehre. Überschwänglich begrüßen ihn die alten Leute, selbst Menschen mit Demenz entlockt er ein Lächeln. Hundebesitzer kennen das ja, dass ihre Gefährten mehr Aufmerksamkeit bekommen als sie selbst. Damme freut sich darüber ganz besonders, nicht nur weil er als Pflegedienstleiter des Münchenstift-Hauses in Laim Henry mit an seinen Arbeitsplatz nehmen darf. Sondern weil der Hund die Herzen der alten Menschen öffnet. Er bringt Leben ins Heim. Und wenn Henry mit Mops Carlos von Hausleiterin Anja Grunwald über die Wiese hinter dem Haus tollt, freuen sich die Bewohner. Denn noch ist Hauskater Willi, einst gefunden auf dem Parkplatz vor dem Haus, unvergessen, alle waren traurig, als er im Alter von 17 Jahren vor wenigen Wochen starb. "Willi hat immer bei mir geschlafen", sagt Volker Veit, 74, der halbseitig gelähmt im Rollstuhl sitzt. Seine Frau Ingrid Veit, 72, erzählt, dass Willi sie schon vor dem Haus erwartet hat, wenn sie ihren Mann im Heim besuchte.

Münchenstift: Das St. Josef Haus.

Das St. Josef Haus.

(Foto: Catherina Hess)

Tiere im Altenheim, gar in der Pflege, das wäre vor 20 Jahren noch kaum denkbar gewesen, als die Stadt zur Einführung der Pflegeversicherung die stationäre Pflege neu ordnen musste. Die städtischen Häuser waren damals überwiegend ziemlich angejahrt. Dazu bescherten sie der Stadt ein jährliches Defizit in Höhe von 50 Millionen Mark. Der Stadtrat beschloss, die stationäre Pflege zum 1. Januar 1996 in eine neue städtische Tochter zu verlagern, die gemeinnützige Münchenstift GmbH. Damit sie im Wettbewerb bestehen konnte, gab es eine Reihe von Einschnitten: So wurde etwa die Reinigung der Häuser outgesourct, um Kosten zu sparen. Andererseits musste ein umfangreiches Bauprogramm für 239 Millionen Euro aufgelegt werden, um die Heime zu modernisieren und zeitgemäßen Standard bieten zu können. Schließlich handelte der langjährige Geschäftsführer Gerd Peter 2004 auch noch einen Sanierungstarifvertrag aus, der bis heute besteht.

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Die Missstände in St. Josef nahm Münchenstift-Chef Siegfried Benker zum Anlass, ein Frühwarnsystem zu entwickeln.

(Foto: Robert Haas)

"Es war eine schwierige Zeit, das Unternehmen wirtschaftlich gut aufzustellen", sagt sein Nachfolger und ehemaliger Chef der Rathaus-Grünen, Siegfried Benker. Zudem galt es nicht nur, den "riesigen Sanierungsstau" zu bewältigen, sondern auch die Häuser auf moderne Pflege umzustellen. Gerade die älteren Gebäude glichen in der Gestaltung noch Krankenhäusern. Aus Pflegestationen sollten Wohnbereiche werden mit Aufenthaltsräumen, in denen sich die alten Menschen wohlfühlen. Zudem setzte Mitte der Neunzigerjahre eine breite öffentliche Diskussion über die Altenpflege in den Heimen ein, weil allerorten bei vielen Trägern immer wieder Missstände bekannt wurden. Die Stadt München zog daraus weitreichende Konsequenzen: Sie richtete 1997 eine Beschwerdestelle für den Altenpflegebereich ein, baute eine schlagkräftige Heimaufsicht auf, die bundesweit ihresgleichen sucht und legte ein bis heute fortgeführtes Soforthilfeprogramm auf. Zuschüsse ermöglichten den Heimen unter anderem, eine heiminterne Tagesbetreuung aufzubauen, die den Bewohnern Beschäftigung bietet.

2426 Pflegebetten

haben die neun Münchenstift-Heime, knapp 30 Prozent des Angebots in München. Die Auslastung liegt bei 99 Prozent und damit über dem Durchschnitt. Zum Unternehmen gehören vier Häuser mit Wohnen für Senioren, ein ambulanter Pflegedienst mit rund 440 Kunden und der Menü-Service, der jährlich 166 000 Essen liefert. Rund 1900 Mitarbeiter sind bei dem städtischen Tochterunternehmen beschäftigt, 60 Prozent haben Migrationshintergrund. Aufsichtsratsvorsitzende der gemeinnützigen GmbH ist Bürgermeisterin Christine Strobl. Der Jahresumsatz liegt bei rund 115 Millionen Euro.

Statt wie andere Heimträger abzustreiten, dass es Probleme in der Pflege gibt, suchte der damalige Münchenstift-Chef Gerd Peter den Schulterschluss mit Pflegekritiker Claus Fussek und trat für bessere Bedingungen in der Pflege ein. Peter kritisierte auch das bundesweit eingeführte Notensystem für Heime, das reihenweise Spitzennoten bescherte. In Wirklichkeit aber bedeuteten sie nur, dass gesetzliche Mindeststandards erfüllt sind. Statt sich mit den Noten zu schmücken, gingen die Münchenstift-Häuser mit gutem Vorbild voran und machten die Ergebnisse der Begehungen durch die Heimaufsicht durch Aushang in ihren Häusern öffentlich. Transparenz schafft außerdem ein umfangreicher Qualitätsbericht, der jedes Jahr vorgelegt wird und dabei Probleme nicht ausspart.

Münchenstift: Tierbesuch im Alfons-Hoffmann-Haus begeistert die Bewohner.

Tierbesuch im Alfons-Hoffmann-Haus begeistert die Bewohner.

(Foto: Catherina Hess)

Den offenen Umgang setzt Benker fort, wie sich zeigte, als das "Team Wallraff" für RTL mit einem Undercover-Einsatz im Münchenstift-Haus St. Josef Missstände aufdeckte. Sie abzustellen, sei nicht einfach gewesen. Benker aber war nicht nur das wichtig, sondern ihm kam es darauf an, als Konsequenz daraus ein Frühwarnsystem zu schaffen. Es soll ermöglichen, rechtzeitig erkennen zu können, wenn Probleme entstehen. Seit Januar dieses Jahres werden allmonatlich in allen 55 Wohnbereichen der Münchenstift-Häuser wichtige Qualitätsdaten erhoben: "Wir haben dazu 17 Risikofaktoren rausgesucht", sagt Benker. Erfasst werde zum Beispiel, wie viele Bewohner Untergewicht und wie viele Druckgeschwüre haben. Oder etwa die Anzahl der Stürze. Liegt die Zahl über dem Gesamtdurchschnitt, muss das noch nicht unbedingt einen Pflegefehler bedeuten. Es könnte ja sein, dass in dem Haus mehr Menschen leben, die extrem sturzgefährdet sind. Theoretisch könnte es auch damit zu tun haben, dass die sogenannte Fixierung von Bewohnern durch Bettgitter und Bettgurte praktisch gänzlich abgeschafft wurde - derzeit ist nur ein einziger Bewohner betroffen. "Das soll aber natürlich nicht dazu führen, dass wir mehr Stürze haben oder mehr Psychopharmaka verabreicht werden." Aus der ärztlich verordneten Gabe bei Bedarf solle schließlich keine Dauergabe werden. Für die Häuser selbst sei das Frühwarnsystem eine Hilfe: "Es muss sich niemand verteidigen, dort wird erkannt, dass man etwas tun muss."

Münchenstift: Tiere im Altenheim, gar in der Pflege, das wäre vor 20 Jahren noch kaum denkbar gewesen.

Tiere im Altenheim, gar in der Pflege, das wäre vor 20 Jahren noch kaum denkbar gewesen.

(Foto: Catherina Hess)

Die jüngste Pflegereform werde dazu führen, sagt Benker, "dass die Menschen noch später in die Heime kommen, weil das zweite Pflegestärkungsgesetz die ambulante Versorgung weiter stärkt". Ihm kommt es deshalb darauf an, eine gute Palliativ- und Hospizversorgung in den Häusern sicherzustellen, die dazu schon mit den Hospizvereinen kooperieren. "Unsere Mitarbeiter brauchen die Unterstützung durch ehrenamtliche Sterbebegleiter." Die breite Versorgungspalette von Wohnen mit Service bis hin zur Pflege im Heim will Benker künftig um Tagespflege ergänzen. Zudem plant er bei den beiden anstehenden Ersatzbauten für das Hans-Sieber-Haus und das Haus an der Tauernstraße kleinere, überschaubare Wohnbereiche anzubieten, mit zwölf bis 15 Plätzen statt wies bisher mit 25 bis 50. Die Wohngruppenküche sollen Balkone erhalten, die groß genug sind, um auch einmal das Bett eines Bewohners rausschieben zu können, der nicht mehr aufstehen kann.

Die Ansprüche haben sich verändert. "Die Nachkriegsgeneration zieht ein", sagt Damme. Mit Satt- und Sauber-Pflege ist es nicht mehr getan. Das Alfons-Hoffmann-Haus hat zu seinen 200 Plätzen für alte Menschen einen Wohnbereich mit 24 Plätzen nur für MS-Kranke. "Wir haben Bewohner, die mit dem Tablet und dem Smartphone einziehen." Für den MS-Bereich gibt es eine eigene Internetecke. Rund um die Rezeption und die Cafeteria gehört Wlan zum Standard, was nicht nur einige Bewohner, sondern auch Angehörige und Mitarbeiter in der Pause zu schätzen wissen.

Hausleiterin Grunwald setzt auch auf "Green Care", auf Natur in der Pflege, und stieß bei Benker auf offene Ohren. Zusammen mit den Bewohnern pflanzten die Mitarbeiter viele Beerensträucher im Garten und setzten Blumenzwiebeln in die Erde. Im Hochbeet gedeihen Kräuter, "daraus haben wir Kräuterbutter hergestellt und sie mit selbst gebackenem Brot gegessen". In diesem Jahr bekommt jeder Wohnbereich sein eigenes Hochbeet, außerdem wird ein Gewächshaus aufgestellt. Aber auch schon der Ausflug in eine Gärtnerei war für die Bewohner ein Erlebnis. Wenn schließlich Monika Posmik vom Zentrum für tiergestützte Pädagogik mit Meerschweinchen, Kaninchen, Hühnern, Schafen und Alpakas zu Besuch kommt, drängen sich die Bewohner zum Streicheln, ganz gleich, wie stark Krankheit und Gebrechlichkeit die Menschen plagen. "Da können alle mitmachen", sagt Anja Grunwald. Monika Posmik greift zur Gitarre und singt mit den Bewohnern: "Froh zu sein bedarf es wenig."

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