Münchens NS-Dokuzentrum:Steine schreien nicht von sich aus

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstand die Idee für ein NS-Dokumentationszentrum in München, doch erst Jahrzehnte später wurden die Pläne konkreter. Viele Debatten sind noch immer nicht beendet. Heute wird der Grundstein für die Erinnerungsstätte gelegt.

Hans Holzhaider

Dass das klassizistische Palais an der Brienner Straße einmal als das Braune Haus in die Geschichte eingehen würde, war ihm nicht an der Wiege - oder müsste man sagen: am Grundstein? - gesungen worden. 1830 vom königlichen Baurat Jean Baptiste Métivier erbaut, später verkauft an den Hoffotografen Joseph Albert, dann an den englischen Textilfabrikanten Richard Turner Barlow, dessen Schwiegertochter es schließlich am 26. Mai 1930 für 800.000 Goldmark an die NSDAP veräußerte. 1945 weitgehend zerbombt, die Reste 1947 abgetragen - es blieben nur einige Fundamente und Kellergewölbe.

Münchens NS-Dokuzentrum: Ecke Arcis-/Brienner Straße: Hier wird das NS-Dokumentationszentrum entstehen.

Ecke Arcis-/Brienner Straße: Hier wird das NS-Dokumentationszentrum entstehen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Was ist das für ein Ort? Gewinnt er eine besondere Qualität durch den Umstand, dass sich hier das Hauptquartier einer Partei befand, in der mehr als sieben Millionen Deutsche organisiert waren, immerhin ein starkes Indiz dafür, dass es keine kleine verbrecherische Clique war, die Deutschland in den Untergang geführt hat? Oder wäre das Esoterik, etwa in der Art, wie man sie auf der Homepage eines Spezialisten für "magische Kraftorte" im Internet finden kann: "Gehen Sie hin, lesen Sie die Tafeln, und erschrecken Sie über die dem Ort eingeschriebene Erinnerungsenergie, die immer noch frösteln macht!"

Der Historiker Jürgen Zarusky vom Münchner Institut für Zeitgeschichte hat dieses befremdliche Zitat entdeckt und im März 2011 bei einer Tagung auf dem Obersalzberg präsentiert, die sich mit sogenannten Täterorten beschäftigte. "Zum schwierigen Umgang mit Relikten der NS-Vergangenheit", lautete ihr Untertitel, und das ist eher Understatement. In Deutschland hat sich - mit einiger Verzögerung, aber immerhin - eine beachtliche Gedenkstättenkultur entwickelt, also ein angemessener Umgang mit Orten, die an die Opfer der Nazidiktatur erinnern.

In gewisser Weise sind natürlich auch die Gedenkstätten Täterorte - ohne Täter gibt es keine Opfer. Aber ein System von Terror und Verfolgung funktioniert nicht ohne Planung, Verwaltung und Bürokratie. Die Machtzentrale Hitlers auf dem Obersalzberg, das Nürnberger Reichsparteitagsgelände, Orte also, die, wie Zarusky es definierte, "der Ausübung und der Inszenierung der nationalsozialistischen Herrschaft dienten" - mit solchen Orten hat man ein Problem.

Durchtränkt mit NS-Orten

München ist mehr als jede andere deutsche Stadt geradezu durchtränkt mit solchen Orten. Winfried Nerdinger, der Leiter des Münchner Architekturmuseums und jetzt Mitglied der Planungsgruppe für das NS-Dokuzentrum, hat sie 2006 in der von ihm konzipierten Ausstellung "Ort und Erinnerung" eindrucksvoll aufgelistet - vom Königsplatz, der zentralen Aufmarsch-Arena der Nazis mit den angrenzenden Führerbauten und Ehrentempeln über das Gestapo-Hauptquartier im Wittelsbacher Palais bis zur Hinrichtungsstätte im Gefängnis Stadelheim.

Allerdings kann man es durchaus einen Fortschritt nennen, dass dieses Problem heute wahrgenommen wird. Jahrzehntelang galt im Umgang mit solchen Orten vorzugsweise die Devise: "Ignorieren". Oder noch besser: "Weg damit." Einen großen Teil dieser Arbeit haben in München die alliierten Bomber erledigt - das Braune Haus, das Wittelsbacher Palais.

Anderes wurde beseitigt, wie die Ehrentempel am Königsplatz, oder umgewidmet, wie die heutige Musikhochschule. Immerhin, das "Hausgefängnis" der Gestapo existierte bis 1964, ehe es Platz machen musste für den Neubau der Bayerischen Landesbank. Heute erinnert nur eine diskret angebrachte Bronzetafel an der Ecke Brienner/Türkenstraße an diese zentrale Folterstätte mitten in München, deren Text - "In der Zeit der NS-Gewaltherrschaft Dienstgebäude der Geheimen Staatspolizei" - nach den Worten Winfried Nerdingers "die Geschichte des Ortes eher verschleiert".

Was aber wäre der angemessene Umgang mit "Täterorten"? Kommunalpolitiker, die mit diesem Problem konfrontiert werden, sind oft zutiefst misstrauisch, wenn von der "Erinnerungskraft" authentischer Relikte die Rede ist. Sie wissen, dass auch die Bewahrung von Ruinen Geld kostet, und sie fürchten das falsche Publikum. Für Egon Johannes Greipl, den bayerischen Landeskonservator, ist die Sache klar: "Wir kümmern uns um die Originalzeugen der Geschichte, auch wenn sie unscheinbar oder belastet sind. Wie man damit umgeht, das ist der zweite Schritt."

Darauf zu vertrauen, dass authentischen Überresten von sich aus ein aufklärerisches Potential innewohnt, wäre verfehlt. Winfried Nerdinger zitierte in seinem Ausstellungskatalog aus Johann Gottfried Herders "Briefen zur Beförderung der Humanität: "Wenn die Menschen schweigen, schreien die Steine." Aber erfahrungsgemäß schreien Steine von sich aus nur selten. Jürgen Zarusky stellte dem bei der Obersalzberger Tagung einen Satz Goethes entgegen: "Man sieht nur, was man weiß."

Nicht einmal ein so einmaliger, außerordentlicher Ort wie die Verladerampe im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau könnte auf den Betrachter wirken, wenn dieser nicht wüsste, was dort geschehen ist. Ein Relikt, sagt Zarusky, "repräsentiert nicht das Ganze, sondern ist nur ein Überbleibsel, Teil einer unvollständigen Spur, die es zu rekonstruieren gilt". Nur wenn dies geschieht, könnten solche Überreste als "Beweisstücke" nutzbar gemacht werden, "die uns bei der Rekonstruktion und beim Verständnis der unerhörten und bei weitem noch nicht vollständig verstandenen Geschichte des verbrecherischen NS-Regimes helfen können".

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