Süddeutsche Zeitung

Münchens Nein zu Olympia:Unser Dorf

Alles soll gefälligst so bleiben, wie es ist: Viele Münchner haben Olympia 2022 nicht als Chance, sondern als Risiko empfunden. Kein Wunder, die Menschen hier wollen gar nicht in einer Metropole leben.

Ein Kommentar von Christian Mayer

Es ist kein Zufall, dass sich die Münchner so gerne als Bewohner einer voralpenländischen Idylle verkleiden, als Millionendörfler in Trachtenuniform. Traditionell ist hier das Großstadtgefühl schwach ausgeprägt; man will auch gar nicht in einer Metropole leben, selbst wenn man die Annehmlichkeiten, etwa das reichhaltige Kulturleben oder die schönen Einkaufsmöglichkeiten, ganz selbstverständlich in Anspruch nimmt.

In vieler Hinsicht ist München eine oberbayerische Großgemeinde mit besten Verkehrsverbindungen, wie sich an jedem sonnigen Wochenende zeigt: Dann setzt eine radikale Fluchtbewegung ein, die Menschen rasen auf der Autobahn Richtung Süden, es zieht sie auf ihre geliebten Hausberge, an die Seen oder ins Murnauer Moos. So was nennt man Umweltbewusstsein, auf Münchner Art.

Gerade haben nicht nur Garmisch-Partenkirchen sowie die Kreise Berchtesgadener Land und Traunstein, sondern auch die Großgemeinde München die Olympischen Winterspiele 2022 abgelehnt. Das Votum in München selbst war knapp, aber nicht überraschend. Mit einer Mehrheit von 52 Prozent haben sich die Skeptiker durchgesetzt, bei einer erschreckend geringen Wahlbeteiligung von weniger als 30 Prozent.

Allerdings war das Projekt Olympia nie wirklich populär. Das lag nur zum Teil an der seelenlosen Pro-Olympia-Kampagne und den gut organisierten Gegnern, die keine Gelegenheit ausließen, vor der finsteren Geheimorganisation IOC zu warnen. Die Welt zu Gast in München, im Winter 2022, fünfzig Jahre nach den Sommerspielen? Aber nicht doch - an einer solchen Großveranstaltung haben die Münchner kein Interesse, anders als ihre Eltern und Großeltern, die sich von Olympia 1972 den Aufbruch in eine neue Zeit versprachen.

Aus zwei Gründen muss man es bedauern, dass der Traum zerborsten ist, bevor München noch einmal die Mühen einer offiziellen Kandidatur auf sich genommen hat. Erstens gibt es kaum eine andere Stadt mit so vielen begeisterten Sportlern. Der weißblaue Himmel gibt eine grandiose Kulisse ab für alle möglichen Freizeitaktivisten: Mountainbiker, Marathonläufer und Bergsteiger im Sommer; Skifahrer, Snowboarder und Langläufer im Winter - man ist in München ja fast schon verdächtig, wenn man auf der faulen Haut liegt.

Olympia 2022 hätte zu diesem hyperaktiven Lebensgefühl ausgezeichnet gepasst, und dass die Münchner gute Gastgeber sein können, haben sie bei der Fußball-WM 2006 bewiesen. Zweitens wären die Spiele eine einmalige Gelegenheit gewesen, den Olympiapark mitsamt seinen großartigen Sportstätten vor dem schleichenden Verfall zu retten und endlich wieder seiner Bestimmung zuzuführen. Der Olympiapark 1972, das war ein Symbol für Münchner Modernität, für Münchner Weltoffenheit, für Münchner Mut. Der Olympiapark 2013 zeigt die neue Münchner Bescheidenheit: Man ist zufrieden, wenn das Denkmal nicht verfällt. Es soll, wie so vieles hier, gefälligst so bleiben, wie es ist.

Viele Münchner haben die Sorge, dass ihnen die Stadt über den Kopf wächst. Dass sie nicht mithalten können, wenn ganze Stadtviertel veredelt werden und das Leben immer teurer wird. "Damit München München bleibt": Das ist, ganz ernst, das Leitmotiv des sozialdemokratischen OB-Kandidaten Dieter Reiter. Er hofft, im Frühjahr die Nachfolge des fleißigen Olympia-Befürworters Christian Ude und des glühenden Olympia-Visionärs a. D. Hans-Jochen Vogel antreten zu können.

Der brave Verwaltungsfachmann Reiter hat ein Gespür dafür, was Menschen in Sendling, in Milbertshofen, in Untergiesing bewegt: Sie wollen bezahlbare Wohnungen, einen sicheren Job und einen Kindergartenplatz möglichst ums Eck. Sie suchen das Glück im Kleinen. Olympia empfinden sie nicht als Chance und Bereicherung, sondern als Risiko und Last. Ähnlich war die Stimmung im vergangenen Jahr, als die Münchner gegen die Erweiterung des Flughafens stimmten. Auch damals haben sie Wachstumsgedanken und Erfolgsmentalität eine Absage erteilt.

München ist eben nicht London; es sträubt sich mit aller Macht dagegen, mehr zu sein als eine Großgemeinde östlich von Germering. Bei den Spielen 2012 in der britischen Hauptstadt war die Mehrheit der Bewohner bereit, auch Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen: London war einen Sommer lang die Hauptstadt der Welt, und es wurden trotz der unheimlichen Allmacht des IOC heitere Spiele, die lange in Erinnerung bleiben werden.

München hätte im Winter 2022 eine ähnlich positive Erfahrung machen können, nur für ein paar Wochen, dann wäre der Zirkus wieder vorbei gewesen. Aber die Münchner haben ihre Berge und ihre Parks am liebsten für sich allein.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2013/wib
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