Münchens Archive:Schutz für die Schätze

Lesezeit: 5 min

Es drohen Wasser, Feuer, Säurefraß: Aber selbst im schlimmsten Fall wären die wichtigsten Dokumente in Münchens Archiven wenigstens digital gespeichert.

W. Görl und M. Maier-Albang

In Köln sind beim Einsturz des Stadtarchivs unersetzbare Kulturgüter zerstört worden. Von einer "Katastrophe für die europäische Geschichtswissenschaft" spricht der Frankfurter Historiker Johannes Fried. Und der Kulturstaatssekretär des Landes Nordrhein-Westfalen, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, hält den Schaden gar für "unermesslich". Die SZ wollte aus diesem Anlass wissen: Wie versuchen Münchner Archive, ihre Schätze zu sichern? Und was kann den Archivalien überhaupt alles gefährlich werden?

Rauchabzüge eingebaut sowie Stahltüren, die sich bei Ausbruch eines Feuers von selbst schließen: Die Bayerische Staatsbibliothek. (Foto: Foto: dpa)

Deutsches Museum

Manchmal hat es Vorteile, wenn man auf einer Insel wohnt: "Bei uns bauen sie sicher keine U-Bahn unten durch wie in Köln", sagt Bernhard Weidemann, Sprecher des Deutschen Museums. Das Deutsche Museum hat, was sogar viele Münchner nicht wissen, neben den Ausstellungsräumen auch ein großes Archiv und eine Bibliothek. Im Archiv lagern viereinhalb Regalkilometer Papier und Bildmaterial: Filme, Videos, Tonbänder - und eine Million Fotos, darunter die ersten, die in Deutschland entstanden sind. Sie zeigen den Stachus und die Türme der Frauenkirche um das Jahr 1839. Das Archiv birgt außerdem den Nachlass des Computer-Erfinders Konrad Zuse ebenso wie wertvolle Pläne und technische Orgininalzeichnungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, etwa eine Zeichnung des "Normal-Segelapparates" von Otto Lilienthal aus dem Jahr 1894 oder das Laborbuch von Otto Hahn, dem Mitentdecker der Kernspaltung.

Das Gebäude, in dem das Archiv untergebracht ist, wurde nach den Plänen von Oskar von Miller erbaut und 1932 fertiggestellt. Damit die Insel das Museum trägt, ließ Miller eine Vielzahl von Betonpfeilern in den Kiesboden rammen. Und die Stahlbetonwände sind so massiv, dass die Mitarbeiter häufig keinen Handyempfang haben. Erdbeben fürchtet man hier also nicht. Problematischer wäre ein starkes Hochwasser - allerdings nur für Exponate, die im Keller liegen. Die Archivbestände sind nicht gefährdet, da sie in den oberen Stockwerken des Bibliotheksbaus untergebracht sind.

Allein die Gefahr eines Feuers lasse sich - allen Brandmeldern zum Trotz - nie ganz bannen, sagt Weidemann. Um mögliche Schäden durch Löschwasser so gering wie möglich zu halten, hat das Deutsche Museum eine Absprache mit der Großmarkthalle getroffen: Durchnässte Kartons mit Archivalien würden sofort in ein Kühlhaus wandern und eingefroren werden, um Schimmelbildung zu verhindern. Die Restauratoren könnten die wertvollen Originale so Stück für Stück auftauen und versuchen zu retten, was zu retten ist.

Bayerische Staatsbibliothek

In dem Prachtbau in der Ludwigsstraße, errichtet zwischen 1832 und 1843 von Friedrich von Gärtner, lagern circa 9,4 Millionen Bände. Zu den wertvollsten Schätzen zählen der Codex aureus von St. Emmeran aus dem Jahr 870, ein Evangeliar OttosIII. (um 1000), ein Evangeliar aus dem Bamberger Dom vom Anfang des 11. Jahrhunderts sowie ein Exemplar der Gutenberg-Bibel.

Diese und andere Preziosen lagern in einem Handschriftenmagazin im Keller, einem Raum, der früher der Bunker der Bibliothek war. Nach Auskunft von Pressesprecher Peter Schnitzlein hat man bei der Generalsanierung von 1994 bis 2004 den Brandschutz modernisiert. Dabei wurden Rauchabzüge eingebaut sowie Stahltüren, die sich bei Ausbruch eines Feuers von selbst schließen.

Eine Bedrohung ganz anderer Art ist der sogenannte Säurefraß. Betroffen sind davon Bücher, die von den 1840er Jahren an hergestellt worden sind. In dieser Zeit begann man, Holz als Rohstoff für die Papierherstellung zu nutzen. Diese Papiere enthalten Säure, die unter dem Einfluss von Licht und Wärme zersetzend wirkt.

Davon bedroht sind circa 3,8 Millionen Bände der Staatsbibliothek. Wenn es sich nicht um besonders wertvolle Einzelstücke handelt, werden die Bücher maschinell entsäuert. Unikate werden von Fachleuten einzeln behandelt und gegebenenfalls restauriert. Darüber hinaus ist ein Teil der Bestände auf Film verewigt. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, die Bücher zu digitalisieren. Bei rund 35000 Titeln ist das bereits geschehen, bis 2013 strebt die Staatsbibliothek die Digitalisierung von einer Million Bänden an.

Archiv des Münchner Erzbistums

Von der Digitalisierung hält man im Archiv des Erzbistums München und Freising noch wenig. Denn bislang sei nicht absehbar, wie lange diese Dateien halten, sagt Archivar Volker Laube. Das Kirchenarchiv setzt vielmehr auf eine altbewährte Technik: Man bannt die Tauf- und Sterbeurkunden oder die Nachlässe berühmter Münchner Erzbischöfe wie Michael von Faulhaber oder Julius Döpfner auf Mikrofiche.

Diese überdauern, so Laube, "bei guter Lagerung" 300 Jahre. Seine wertvollen Bestände gibt das Archiv, das seit 1958 im eigens umgebauten Chorbereich der ehemaligen Karmeliterkirche untergebracht ist, regelmäßig an das Bayerische Staatsarchiv. Dort werden die Originale abgefilmt. Von den Mikrofilmen erstellt dann eine Spezialfirma, die auch für den Vatikan arbeitet, zwei Arten von Microfiches: einen "Arbeitsfiche" für die Benutzer, die im Archiv ihre Familiengeschichte erforschen wollen. Und einen sogenannten "Masterfiche", zu dem nur die Archivare Zugang haben. Diese Sicherungskopien lagern im Depot des Erzbistums am Freisinger Domberg. Nach dem Motto: Dreifach gesichert hält besser.

Natürlich wären die Kopien im Ernstfall kein Ersatz fürs Original. Hauptfeind der Dokumente isti, sagt Laube, im Zweifelsfall keine Naturgewalt - sondern schlicht "der Archivar, der nicht mehr ehrfürchtig mit dem Material umgeht". Um die Originale bestmöglich vor Staub, Schimmelsporen oder eben unachtsamen Händen zu schützen, hat man im Kirchenarchiv Spezialkartons anfertigen lassen: säurefrei, lichtundurchlässig und der Größe des jeweiligen Matrikelbuchs angepasst.

Denn jedes der 9500 Matrikel-Bände ist ein Unikat. Die Pfarrmatrikel enthalten bis hinein ins späte 16. Jahrhundert die Tauf-, Hochzeits- und Sterbedaten aller Katholiken, die im damaligen Freisinger Bistum gelebt haben; dieses erstreckte sich bis ins heutige Salzburger Land. Aus Oberammergau indes hat ein besonderes Matrikelbuch überdauert: Es stammt aus dem Jahr 1633 und enthält die Namen der Pestopfer, zu deren Erinnerung die Oberammergauer die Festspiele stifteten - die "Gründungsurkunde" des Passionsspiels.

Münchner Stadtarchiv

Würde man all die Akten, Dokumente und Urkunden, die im Besitz des Stadtarchivs sind, aneinander reihen, so ergäbe das eine Strecke von 25 Kilometern. Selbstverständlich verfügt auch dieses Archiv über einige ganz außerordentliche Schätze. Die älteste Urkunde ist ein Steuerprivileg, ausgestellt von Herzog LudwigII. im Jahr 1265.

Gleichfalls zu den herausragenden Stücken gehört das sogenannte Rudolfinum aus dem Jahr 1294, das als die erste Münchner Stadtverfassung gilt, sowie die mit einer Goldbulle versehene Urkunde Kaiser Ludwigs des Bayern (Magna Carta), in der München im Jahr 1332 das Salzhandelsmonopol zugesprochen wurde. Das älteste Ratsprotokoll, erstellt 1459, ziert ebenso die Sammlung des Stadtarchivs. Die wertvollsten Bestände, insgesamt 175 Stücke, lagern in einem speziell gesicherten Magazin, andere Dokumente in feuerfesten Metallschränken.

Der Magazintrakt an der Schleißheimer Straße wurde 1989 vollendet, Vorbild war das nunmehr zerstörte Kölner Stadtarchiv. Ein Vorzug des Münchner Gebäudes ist die natürliche Klimatisierung, die eine bessere Konservierung der empfindlichen Bestände bewirkt. Und im Brandfall, sagt Michael Stephan, der Direktor des Stadtarchivs., "gibt es einen Bergungsplan für die Feuerwehr, auf dem die wertvollsten Teile der Sammlung ganz oben stehen". Zudem ist das Gebäude in feuerdichte Brandabschnitte eingeteilt.

Sollte es doch zu einer Katastrophe kommen, dann wären, wenn schon nicht die Originale, so doch zumindest die in ihnen enthaltenen Informationen gesichert: Wie andere Archive auch hat das Stadtarchiv die wichtigsten Bestände auf Mikrofilm verewigt. Dies läuft im Rahmen eines Bundesprogramms, die Sicherungsfilme lagern in einem Stollen im Schwarzwald.

Bayerisches Hauptstaatsarchiv

In dem Gebäudekomplex in der Schönfeldstraße lagern historische Dokumente aus den Zeiten der bayerischen Herzöge, Kurfürsten, Könige sowie die Verwaltungsunterlagen des Freistaats bis heute und vieles mehr. Für München besonders bedeutsam ist der "Augsburger Schied", in dem Kaiser Friedrich Barbarossa die Verlegung des Markts von Föhring nach München bestätigt - faktisch die Gründnungsurkunde der Stadt. Darüber hinaus besitzt das Hauptstaatsarchiv eine Urkunde Ludwigs des Frommen aus dem Jahr 815 sowie ein Exemplar der Goldenen Bulle von 1356.

Die größten Schätze sind im "sogenannten Bunker" (Direktor Gerhard Hetzer) aufbewahrt. Das Magazingebäude wurde 1977 errichtet und mit Rauchmeldern und feuerfesten Türen ausgestattet. Die Alarmanlage, sagt Hetzer, werde laufend überprüft. Auch hat man die wichtigsten Bestände vorsorglich auf Film gebannt, auch hier mit Hilfe des Bundes. Eines muss Archivdirektor Hetzer nicht mehr fürchten: "Den U-Bahn-Bau haben wir gottseidank hinter uns."

© SZ vom 06.03.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: