Münchens Archive:Literatur mit persönlicher Note

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Hesse, Thoma und die Familie Mann: Die Monacensia im Hildebrandhaus verwahrt handschriftlich geschriebene Werke großer Dichter.

Christina Warta

Vorsichtig klappt Frank Schmitter eine grüne Archivschachtel auf. Ein offizielles Dokument kommt zum Vorschein, geschützt von einer Klarsichthülle: die US-Einbürgerungsurkunde für "Klaus Henry Mann" aus dem Jahr 1943. Darunter zwei schmale Hefte, eines braun, eines schwarz eingebunden - voll bekannter Namen: Aldous Huxley, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Wystan H. Auden. Die Adressen sind mit blauer Tinte in energischer Schrift zu Papier gebracht worden.

Frank Schmitter arbeitet niemals ohne weiße Handschuhe im Literaturarchiv der Stadt. (Foto: Foto: Robert Haas)

Diese Adressbücher von Klaus Mann sind etwas Besonderes. Sich vorzustellen, wie der Schriftsteller im Exil vielleicht auf dem Balkon eines Hotelzimmers an der Côte d'Azur in einem dieser Hefte nach einer Adresse suchte, ist berührend und faszinierend zugleich. Einmalige Stücke wie diese gibt es viele im Literaturarchiv der Monacensia: Briefe oder Manuskripte von Ingeborg Bachmann, Lena Christ, Hermann Hesse, Leo von Klenze, Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Carl Orff, Ludwig Thoma, Richard Strauss und Max Liebermann, außerdem die Nachlässe von Klaus, Erika, Michael und Elisabeth Mann, von Ludwig Ganghofer, Frank Wedekind und Franziska zu Reventlow.

Hans-Ludwig Held hat die Handschriftenabteilung 1924 gegründet. Um den Bestand zu mehren, schrieb Held an viele Autoren einen identischen Brief: "Bei der Durchsicht des Kataloges unserer Münchner Dichter-Handschriften empfinde ich es als eine peinliche Lücke, dass Sie mit der handschriftlichen Fassung eines Ihrer Werke fehlen."

Dokumente der Manns als Herzstück

Er bat darum, ihm ein Manuskript oder einen Brief zu überlassen - mit dem Hintergedanken, dass selbst ein ablehnender Brief immer noch ein Stück für die Sammlung sei. Bis zum Kriegsbeginn 1933 hortete Held 6700 Manuskripte und Briefe. Viele Autoren wurden jedoch vom Naziregime verfolgt, im Dritten Reich wurde das Archiv in Pfarrhäusern im Umland versteckt.

Heute sind die Schätze im Keller des Hildebrandhauses verstaut, einer Künstlervilla beim Friedensengel. Die Kellerräume bieten jedoch längst nicht mehr genug Platz für die rund 400000 Autographen - so nennt man Niederschriften aller Art von berühmten Autoren, die meist mit der Hand oder einer Schreibmaschine gefertigt wurden. "Hier lagert nur ein Zehntel unserer Bestände", erklärt Archivleiter Schmitter, alles andere wird in Außendepots aufbewahrt.

Die Sammlung der Münchner Schriftsteller-Familie Mann gilt als Herzstück des literarischen Archivs. Allein von Klaus Mann beispielsweise verwahrt die Monacensia 92 biographische Dokumente, mehr als 2000 Briefe, rund 300 Bilder und mehr als 800 Manuskripte. Die Originale können von Forschern, Studenten oder Publizisten genutzt werden.

Archivar auf Schatzsuche

Und es wird ständig Neues archiviert: "Manchmal klingelt das Telefon und jemand sagt, dass sein Nachbar, ein Schriftsteller, gestorben sei und da noch sehr viel Papier vorhanden sei, das keiner wolle", erzählt Frank Schmitter. Dann eilt der Archivar los: Manche Nachlässe hat er gerade noch vor der Entrümpelung gerettet, andere wurden in Waschkörben angeliefert.

Wieder andere sind wohlgeordnet, wenn sie in der Monacensia ankommen. Der von Herbert Rosendorfer etwa, der genau genommen ein Vorlass ist: Der Schriftsteller hat seine Schriftstücke inklusive Richterrobe dem Archiv zu Lebzeiten vermacht.

Und es finden sich auch Nachlässe von Autoren, die eigentlich gar nicht ins Literaturarchiv aufgenommen werden wollten. Zum Beispiel der von Oskar Maria Graf, dem polternden Bäckerssohn vom Starnberger See: "Ich lege absolut keinen Wert darauf, beim offiziellen München bekannt zu sein", schrieb er dem Archivchef. Doch es kam anders: Neben diesem Brief und vielen anderen Manuskripten bewahren sie in der Monacensia auch Grafs New Yorker Schreibtisch, seinen Pass und sogar seine Taschenuhr auf.

"Unser bestes Stück"

Er hat auf glattem Karopapier geschrieben. Eng drängen sich die Buchstaben aneinander, der Text ist schwer zu entziffern. Das handschriftliche Manuskript von Thomas Manns einzigem Drama "Fiorenza" ist das Prachtstück der Monacensia: 1907 wurde es uraufgeführt - und fiel beim Publikum und bei den Kritikern erbarmungslos durch. "Man kann schon sehen, warum das Drama keinen Erfolg hatte", sagt Archivchef Frank Schmitter und schlägt eine Seite in der Mitte auf: Es wird geredet und geredet, die Monologe der einzelnen Figuren sind endlos.

In einer zartblauen Stoffkladde mit marmorierten Einschlägen sind die Blätter zusammengefasst: ein vielleicht drei Zentimeter hoher Stapel loser Seiten. Thomas Mann war ein sorgfältiger Schreiber, nur manchmal sind Worte oder ganze Zeilen durchgestrichen und korrigiert. Er schrieb eng und platzsparend - wohl weil er wusste, dass zu dicke Manuskriptbündel bei Verlegern zu Abwehrreaktionen führen können.

1927, zwei Jahre bevor Thomas Mann den Literaturnobelpreis bekam, gelangte das "Fiorenza"-Manuskript in das Archiv. Hans Ludwig Held, damals Chef der Handschriftenabteilung, hatte mehrere Münchner Autoren um Autographen gebeten. Held und Mann kannten sich, gemeinsam hatten sie den "Schutzverband deutscher Schriftsteller" gegründet. Und so trennte sich Thomas Mann, zwanzig Jahre nachdem er es geschrieben hatte, vom Manuskript seines einzigen und erfolglosen Dramas.

Die Monacensia (Maria-Theresia-Straße 23, Tel. 41 94 720) hat täglich geöffnet. Nutzung des Archivs auf Anfrage.

© SZ vom 02.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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