Am Arnulfpark in der Nähe des Hauptbahnhofs tut sich ein Schlund auf. Dort hinein gelangt man nur durch eine Druckkammer, die aussieht wie das Innere eines U-Boots. Dann führt ein Aufzug nach unten zu einem Stollen in 20 Metern Tiefe.
Hier, neben Wohn- und Bürogebäuden und Bahngleisen, entsteht seit April 2024 der Rettungsschacht 3 für die zweite S-Bahn-Stammstrecke. Die Druckkammer ist deshalb notwendig, weil in der Tiefe normalerweise ein künstlicher Luftdruck von 0,5 bis 0,6 Bar herrscht, um das Grundwasser abzuhalten. Das entspricht etwa einem Tauchgang in fünf bis sechs Metern Tiefe. Arbeiter halten es hier bis zu acht Stunden aus.
Der Schacht trägt den Projektnamen RS3 und ist einer von künftig fünf Rettungsschächten. Der RS3 und ein weiterer Schacht werden in bergmännischer Bauweise hergestellt, zwei andere in offener Bauweise und ein weiterer als Baugrube. Der neue zweite Stammstreckentunnel wird sieben Kilometer lang und besteht insgesamt aus drei Röhren: Durch zwei sollen von den späten 2030er-Jahren an die S-Bahnen rollen, dazwischen entsteht ein Rettungstunnel, zu dem 16 Notausgänge führen werden. Außerdem baut die Bahn einen Verbindungsstollen zu den U-Bahn-Stationen am Marienhof.

Die zweite Stammstrecke wird unter dem Arnulfpark in 34 Metern Tiefe verlaufen, das entspricht in etwa einem zehnstöckigen Wohnhaus. Sollte es unten einmal brennen, müssen die Fahrgäste zunächst über ein Treppenhaus 13 Meter nach oben zum 55 Meter langen Verbindungsstollen, der elf Bahngleise unterquert. Der Rettungsweg führt zum oberen Schacht, über den die zu Rettenden wieder Treppen steigen müssen, um 20 Meter weiter oben ins Freie zu gelangen.
Der bergmännische Vortrieb für den Verbindungsstollen unter dem Gleisbett ist bereits abgeschlossen. Von Januar bis März 2025 graben die Arbeiter dann das letzte Stück bis hinunter zur künftigen Gleisebene. Den Aushub erledigt ein elektrisch betriebener Hydraulikbagger. Gesichert wird der Tunnel unter anderem mit Stahlbögen, Betonstahlmatten und einer Spritzbetonschale.
Derzeit ist der Luftdruck abgestellt, weshalb am Boden wieder etwas Wasser durchsickert, obwohl das Grundwasser mit 14 Brunnen temporär abgesenkt wurde. Mit der Wärme und Luftfeuchtigkeit erinnert die Baugrube ein wenig an eine Tropfsteinhöhle. Nur dass statt Stalaktiten Lampen, Rohre und Leitungen an Decken und Wänden hängen. „Normalerweise ist es hier trocken“, sagt Albert Wimmer, der Teamleiter für den Westabschnitt des Stammstreckentunnels.
Weil der Rettungsschacht unter dem Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs und zwei Gleisen der ersten Stammstrecke verläuft, müssen auch diese gesichert werden. Dazu hat die Deutsche Bahn rund 2000 Messpunkte eingerichtet, die auch die geringste Senkung der Gleise erfassen. Dass sich Gleise unter der Belastung eines Zuges leicht senken, sei normal, sagt Wimmer. Die Experten erkennen aber anhand der Systeme, wann es ein Problem gibt.
Das Team, bestehend aus 120 Spezialisten aus ganz Europa, arbeitet in Schichten rund um die Uhr. Nur über Weihnachten ruht die Baustelle. Im neuen Jahr geht es dann weiter, auch andernorts. Mitte Januar sollen am Marienhof die Arbeiten für den Verbindungsstollen zur U-Bahn starten. Voraussichtlich 2026 beginnt dann von Westen her der Vortrieb für die Verkehrstunnel – wenn es beim aktuellen Zeitplan bleibt.