Sie sieht nicht wie ein kurzfristiges Provisorium aus, und wird auch nicht so schnell wieder verschwinden: die neue, weithin sichtbare Fußgängerbrücke am Ostbahnhof, die seit wenigen Wochen Gleis 13 und 14 mit der Friedenstraße und somit dem Werksviertel verbindet. Das Bauwerk aus Glas und Stahl wird den südlichen Ostbahnhof auf Jahre hinaus prägen. Denn die Brücke soll erst dann wieder abgebaut werden, wenn die unterirdische Station an der Friedenstraße und damit die zweite Stammstrecke in Betrieb gehen werden. Und das dürfte frühestens Mitte der Dreißigerjahre der Fall sein – womöglich sogar erst im Jahr 2037.
In den vergangenen Monaten hat der Bereich rund um die Friedenstraße sein Gesicht gewaltig verändert. Seit Juni ist direkt neben der neuen Fußgängerüberführung das neue Stellwerk der Deutschen Bahn in Betrieb, das sich dank der Verzierung mit Graffiti des Offenbacher Künstlers Marcus Dörr von einem grauen Kasten in einen Hingucker verwandelt hat. Und westlich der neuen Brücke prägen Bagger, Lastwagen, Container und Baustellenabsperrungen das Bild. Auf dem Areal rund um den gesperrten Zugang zum Ostbahnhof an der Friedenstraße haben die Vorarbeiten für den eigentlichen Bau der neuen Station begonnen.
Die Brücke selbst wird wenige Wochen nach ihrer Eröffnung von den Pendlerinnen und Pendlern bestens angenommen. Vor allem in den Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Abend strömen Hunderte in die Arbeit ins Werksviertel oder zu den S-Bahnen und Regional- und Fernverkehrszügen. Bei der Planung und Umsetzung hat die DB auch an die Barrierefreiheit gedacht. Wenngleich Menschen mit Einschränkungen drei Aufzüge nutzen müssen, um in die Friedenstraße oder die Unterführung ins Untergeschoss des Ostbahnhofs zu kommen. Von der Straße führt ein Lift auf die Brücke, ein zweiter auf den Bahnsteig und der dritte in die Unterführung. Radlern aber steht weiterhin die etwa 160 Meter lange Fahrradunterführung von der Friedenstraße bis zum Orleansplatz als Verbindung zwischen Haidhausen und Berg am Laim zur Verfügung, wie die Bahn betont.

Bis ins Jahr 2027 wird am Eingang der Friedenstraße zum Ostbahnhof die sogenannte Baufeldfreimachung für die neue unterirdische Station an der zweiten Stammstrecke dauern. Diese ist notwendig, ehe der eigentliche Tiefbau beginnen kann. Zu diesen Arbeiten gehören die Verlegung von Strom-, Wasser- und Kommunikationsleitungen. Zudem werden Bodenuntersuchungen und archäologische Prüfungen stattfinden – und es muss die entsprechende Baustellenlogistik mit Zufahrten und Lagerflächen eingerichtet werden. Während dieser Arbeiten kann es auf der Friedenstraße immer wieder zu Straßensperrungen oder Umleitungen kommen.
Diese Vorarbeiten sind bereits Bestandteil des sogenannten Bauabschnitts 3 der zweiten Stammstrecke, wie es von der Deutschen Bahn heißt. Dieser umfasst den östlichen Teil des Großprojekts von der Isar bis zum Leuchtenbergring. Insgesamt wird die neue Stammstrecke auf einer Länge von etwa elf Kilometern zwischen den Bahnhöfen Laim im Westen und Leuchtenbergring im Osten verlaufen.
An der Friedenstraße wird die neue Tiefstation etwa 16 Meter unter der Erde entstehen und parallel zu den bereits bestehenden Gleisen liegen. Gebaut wird in einer sogenannten Schlitzwand-Deckelbauweise. Der Bahnsteig der neuen Haltestelle soll eine Länge von etwa 210 Metern haben und damit auch lang genug für S-Bahnzüge mit einer Länge von etwa 200 Metern und einer Kapazität von bis zu 1000 Fahrgästen sein. Diese höhere Kapazität der neuen S-Bahnen, die von der Landeshauptstadt zur Modernisierung der Flotte seit einigen Jahren bestellt werden, wird durch mehr Türen für den schnelleren Ein- und Ausstieg sowie mehr Stehplätze und flexiblere Sitzbereiche erreicht.
Bis diese an der Friedenstraße halten, wird es allerdings noch Jahre dauern. Ursprünglich hätte die zweite Stammstrecke im Jahr 2028 in Betrieb gehen und etwa 3,8 Milliarden Euro kosten sollen. Planung und Bau der zweiten Röhre unter der Münchner Innenstadt sind im Laufe der Zeit aber vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Mittlerweile geht die Deutsche Bahn von einer Inbetriebnahme der Stammstrecke frühestens im Jahr 2035 aus, die Kosten für den Bau werden derzeit auf mehr als sieben Milliarden Euro geschätzt. Manche Prognosen gehen sogar von Investitionen von mehr als neun Milliarden Euro aus.
Bis dahin müssen Pendler also die Brücke an der Friedenstraße nutzen. Nach deren voraussichtlichem Rückbau Mitte der Dreißigerjahre wird der Zugang zur neuen Station und zum Ostbahnhof an der Friedenstraße wieder ermöglicht. Zudem wird die neue Station an der zweiten Stammstrecke mit einer Fußgängerunterführung direkt mit dem Orleansplatz verbunden.

