Die zweite S-Bahn-Stammstrecke wird massiv teurer und weit später fertig als geplant. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung rechnet man in München damit, dass die Kosten von 3,8 auf fünf Milliarden Euro steigen werden. Die ersten Züge sollen nicht wie geplant 2028 fahren, sondern frühestens 2033. Für diesen Donnerstag wurde zunächst Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu einem Krisengespräch erwartet. Er sollte in der Staatskanzlei Ministerpräsident Markus Söder (CSU), den bayerischen Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und die Münchner Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) treffen. Wissing habe seine Teilnahme am Mittwochabend ohne Angabe von Gründen abgesagt und auch keinen Alternativtermin in Aussicht gestellt, berichtet der Münchner Merkur. Die Absage des Termins wurde der dpa bestätigt.
München droht damit bis weit in die 2030er-Jahre hinein eine Dauerbaustelle. Am deutlichsten sichtbar im Zentrum sind die Arbeiten am Marienhof direkt hinter dem Rathaus, aber auch in Laim wird bereits kräftig gewerkelt. Am anderen Ende des geplanten Tunnels am Ostbahnhof hingegen verfügt die Bahn noch immer nicht über gültiges Baurecht, das nötige Planfeststellungsverfahren läuft noch. Dort hatte sie im laufenden Prozess den unterirdischen Bahnhof der zweiten Stammstrecke vom Orleansplatz auf die andere Seite der Bahngleise in die Friedenstraße verlegt.
Im Münchner Rathaus ist man tief besorgt über die Neuigkeiten. Zweite Bürgermeisterin Habenschaden will nun vor allem wissen, wie es zu solchen Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen kommen konnte. "Umplanungen gab es ja immer wieder. Aber warum ist es diesmal so massiv?", fragt sich nicht nur Habenschaden im Rathaus. Und zwei der drängendsten Fragen schiebt sie hinterher. "Wird die Stammstrecke überhaupt weitergebaut? Wer übernimmt die zusätzlichen Kosten?" 1,2 Milliarden liegen zwischen der letzten offiziellen Aussage der Deutschen Bahn und den jetzt erwarteten fünf Milliarden.
Es gab eine Serie von Pannen und Umplanungen
Beim Spatenstich der zweiten Stammstrecke vor fünf Jahren erklärte die Bahn, dass 2026 die ersten Züge fahren sollen. Seither gab es eine Serie von Pannen und Umplanungen. Am Hauptbahnhof wurde der Halt nachträglich um 80 Meter verlegt. Aus den ursprünglich vier vorgesehenen Baugruben am Marienhof wurde letztlich nur eine, um schneller und kostengünstiger voranzukommen. Mit die größten Umstellungen brachte die Verlegung der Station am Ostbahnhof mit sich. Die Bahn stellte in der Folge ihr Rettungskonzept für die zweite Stammstrecke um und entschloss sich, statt punktuellen Notausstiegen eine dritte Röhre anzulegen.
Doch nicht nur die Zukunft der zweiten Stammstrecke macht Bürgermeisterin Habenschaden besorgt, sondern auch mögliche weitere Folgen für München. Sie fürchtet, dass Fördermittel des Bundes für den öffentlichen Nahverkehr bis Mitte der 2030er-Jahre ausschließlich in das S-Bahnprojekt laufen könnten. Das hieße im Umkehrschluss, dass für alle anderen Vorhaben kein Geld aus Berlin mehr übrig bleiben würde. "Und das wegen einer Entwicklung, für die die Stadt nichts kann", ärgert sich die Bürgermeisterin.
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Für die Stadt könnte nun schnell eine Entscheidung anstehen, bei der es auch für sie selbst um etwa eine halbe Milliarde Euro geht. Denn während der laufenden Arbeiten für die zweite Stammstrecke am Hauptbahnhof müsste dort zwingend die Basis für einen neuen U-Bahnhof angelegt werden, den München für die geplante U9 brauchen würde. Diese zusätzliche Nord-Süd-Achse soll die bestehenden Linien U3 und U6 entlasten und wird von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) als "Herzstück der dringend nötigen Verkehrswende" bezeichnet. Der Halt am Hauptbahnhof muss aus technischen Gründen im Rahmen des Baus der Zweiten Stammstrecke in wesentlichen Teilen schon realisiert werden. Die Stadt müsste den künftigen U-Bahnhof aber vorfinanzieren. Dafür müssten zumindest im Nachhinein Fördermittel des Bundes fließen. "Wir können das Vorhaltebauwerk nicht alleine finanzieren", sagte Habenschaden.
Die geplante Verlängerung der U5 vom Laimer Platz nach Pasing ist von möglicherweise ausbleibenden Zuschüssen vom Bund nicht betroffen. Die Stadt zahlt die angesetzte Milliarde für die mehr als drei Kilometer lange Strecke selbst. Doch im Zug der von der grün-roten Rathauskoalition angestrebten Verkehrswende ist darüber hinaus ein massiver Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs geplant, zum Beispiel eine deutliche Verlängerung des Trambahnnetzes. Wollte die Stadt die vom Bund ausgerufenen Klimaziele erreichen, müssten bis 2040 im Großraum 40 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs fließen, sagte MVG-Chef Ingo Wortmann Ende April bei der Feier des 50. Geburtstags der Münchner S-Bahn.