Süddeutsche Zeitung

Milliarden-Desaster:S-Bahn-Krisentreffen ohne OB Reiter

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Die Deutsche Bahn nennt am Donnerstag endlich offizielle Zahlen zur längeren Bauzeit und zu gestiegenen Kosten der zweiten Stammstrecke. Ausgerechnet der Oberbürgermeister will an dem Gespräch in der Staatskanzlei nicht teilnehmen.

Von Heiner Effern und Klaus Ott

Ein neues Krisentreffen zur zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn an diesem Donnerstag, und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist nicht dabei? Schwer vorstellbar, aber so ist es wohl. Reiter soll schwer verstimmt sein über die Art und Weise, wie die Deutsche Bahn (DB) als Bauherr nach jahrelangem Warten auf offizielle Zahlen mit der Stadt umgeht. Die Zahlen, die vor zwei Wochen durch einen SZ-Bericht öffentlich bekannt wurden, gibt es für die Stadt und den Freistaat angeblich erst bei dem Termin am Donnerstag in der Staatskanzlei.

Ministerpräsident Markus Söder empfängt dort den Vorstandschef der Bahn, Richard Lutz. Und der will dann endlich sagen, was die Bahn herausgefunden hat. Die neue Verbindung quer durch die Stadt wird erst zwischen 2035 und 2037 fertig sein und sieben Milliarden Euro oder noch mehr kosten. Viel später und viel teurer als geplant. Das soll auch daran liegen, dass "Abstimmungen mit der Landeshauptstadt" bei den nötigen Genehmigungsverfahren "sehr zeitaufwendig waren".

So steht es in einem Papier, das der Aufsichtsrat der Bahn vor zwei Wochen bekam und über das die SZ berichtete. Reiter hatte daraufhin einen harschen Brief an Lutz geschrieben. Das sei völlig inakzeptabel. "Das weise ich mit allem Nachdruck zurück und fordere Sie zu einer Richtigstellung auf." Wie Lutz darauf reagiert hat, ist nicht bekannt. Reiter will sich jetzt aber nicht darauf einlassen, über Zahlen und Daten zu reden, die er von der Bahn erst bei dem Treffen bekommen soll.

Es ergebe keinen Sinn, sagt Reiter, "ohne fachliche Grundlage an der Besprechung am Donnerstag teilzunehmen". Sobald die aktuellen Pläne vorlägen, werde die Stadt diese bewerten. "Für mich geht es in erster Linie darum, den Menschen in München sagen zu können, was auf sie zukommt." Er stehe aber weiter zu der zweiten Stammstrecke, bekräftigt Reiter.

Dicke Rechnung für Söder

Bahnchef Lutz wiederum wollte noch abwarten, bis der Aufsichtsrat des Staatsunternehmens die Zahlen abgesegnet hat. Das war erst an diesem Mittwoch in Berlin der Fall. Am Donnerstag kommt dann die dicke Rechnung für Söder. Der Freistaat soll bis zu 4,5 Milliarden Euro zahlen. Das besagt eine "Hochrechnung" in den Unterlagen der Bahn. 4,5 Milliarden Euro, das ist auch für den im Vergleich zu anderen Bundesländern ziemlich reichen Freistaat viel Geld.

Söder und Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter haben längst gefordert, dass die Bundesregierung möglichst viel zahlen soll. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat im Sommer in einem SZ-Interview versichert, dass er zu dem Projekt stehe. Es werde weiter Zuschüsse vom Bund geben. Aber nur dann, wenn sichergestellt sei, "dass da am Ende keine Bauruine steht".

Wissing erklärte, der Freistaat sei der Bauherr, der die Bahn beauftragt habe, die zweite Stammstrecke zu errichten. Und der Bauherr müsse alle Finanzlücken schließen, die über den Zuschuss aus Berlin hinaus entstehen könnten. So steht das auch in den Unterlagen der Bahn, die der Aufsichtsrat jetzt besprochen hat. Dort heißt es, die Finanzierungsverantwortung liege "grundsätzlich" beim Land Bayern. "Auch für etwaige Mehrkosten."

Eine ziemliche Feilscherei zwischen dem Bund, dem das Staatsunternehmen DB gehört, und dem Freistaat dürfte nun losgehen. Söder und Bernreiter werden bestimmt nicht so ohne weiteres hinnehmen, dass der Bund nach der Hochrechnung der Bahn nur 2,3 Milliarden Euro zahlen soll. Die Bahn selbst und die Stadt München bringen einige hundert Millionen Euro auf.

Wie viele Zuschüsse der Bund gibt beziehungsweise geben darf, hängt vom sogenannten Kosten-Nutzen-Faktor der zweiten Stammstrecke ab. Je höher der Nutzen für die Menschen in der Region München und für die Umwelt, desto leichter tut sich Wissing mit Zuschüssen. Je geringer der Nutzen im Vergleich zu den exorbitant gestiegenen Kosten ist, desto weniger Geld könnte aus Berlin kommen. Zuletzt war die Stammstrecke mit 3,8 Milliarden Euro geplant gewesen, nun verdoppeln sich die Kosten nahezu.

Grüne, SPD und FDP befürchten, für andere Bahnprojekte werde das Geld fehlen

Die Ampelopposition aus Grünen, SPD und FDP im Landtag befürchtet längst, dass wegen des Münchner Desasters für viele andere Bahnprojekte in Bayern das Geld fehlen wird. Der FDP-Abgeordnete und Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Landtag, Sebastian Körber, glaubt nicht an "frisches Geld" der Staatsregierung für die zweite Stammstrecke. Körber sorgte sich im Sommer im Verkehrsausschuss, dass Schienenprojekte in Franken, der Oberpfalz, Niederbayern und Schwaben das Nachsehen haben.

Verkehrsminister Bernreiter versuchte umgehend, diese Bedenken zu zerstreuen. Bislang habe Bayern eine Milliarde Euro in Planung und Bau der zweiten Stammstrecke investiert. Sollte das Projekt wirklich erst 2037 fertig werden, könne der Freistaat "jährlich bis zu 200 Millionen extra für die Stammstrecke ausgeben", sagte Bernreiter laut Sitzungsprotokoll. Das ergibt drei Milliarden Euro binnen 15 Jahren. Und eine Milliarde Euro hat der Freistaats bereits ausgegeben. Dann würde also gar nicht mehr exorbitant so viel fehlen zu den 4,5 Milliarden Euro, auf die sich Söder laut Hochrechnung der Bahn gefasst machen muss.

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