München:Zweisam statt einsam

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Zwei, die sich verstehen: Maria Hof (hinten) besucht einmal in der Woche Josefa Hufschmied, um gemeinsam mit ihr etwas zu unternehmen. (Foto: Catherina Hess)

"Freunde alter Menschen" nennt sich der Verein, der Besuchspatenschaften zwischen jungen Freiwilligen und älteren Menschen vermitteln will. Hannah Kietzerow ist die treibende Kraft dahinter

Von Lea Hruschka, München

"Ja, das ist schon eine Freundschaft", meint Josefa Hufschmied und blickt zu Maria Hof. 63 Jahre trennt die beiden Frauen, die zusammen auf dem kleinen Sofa in Hufschmieds Wohnzimmer sitzen und sich zulächeln. "Eigentlich treffen wir uns immer in der Küche", meint die 88-jährige Hufschmied. Dann spazieren sie im Pasinger Stadtpark, besuchen die Eisdiele gegenüber oder kaufen beim Tengelmann die Straße hinauf gemeinsam ein. Was sie unternehmen, "kommt auf Wetter und Laune an", erklärt Hof. An diesem Nachmittag bleiben sie im Wohnzimmer und unterhalten sich lange über ihre liebsten Reisen, Hufschmieds kleines Gartenhäuschen und das Walnussbrot, das die Seniorin so gerne mag.

Die ungewöhnliche Freundschaft hat ihren Ursprung im Verein "Freunde alter Menschen", den es seit 30 Jahren in Deutschland, aber erst seit Februar dieses Jahres in München gibt. Hannah Kietzerow hat ihn beim Umzug von Berlin nach München mit in ihre neue Heimat genommen. Seitdem vermittelt sie Besuchspartnerschaften zwischen jungen und älteren Menschen. "Das Ziel ist, Einsamkeit zu lindern", erklärt die Sozialarbeiterin. Einen neuen Vereinsstandort inmitten von Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln zu eröffnen, sähen viele als Nachteil. "Tatsächlich hat die Pandemie die Anfangszeit positiv geprägt", meint jedoch Kietzerow, "denn das Bewusstsein für Einsamkeit ist in der Gesellschaft gestiegen." So hat sie inzwischen 16 "alte Freunde" und 24 Freiwillige um sich. "Es wird nie eins zu eins aufgehen", erklärt sie und zeigt sich mit ihrem Verhältnis zufrieden. Manche der Freiwilligen treffen sich auch mit mehr als einer älteren Person. "Grundsätzlich gilt: Jeder hat so viel Kontakt, wie er möchte."

Maria Hof kommt einmal pro Woche zu ihrer älteren Freundin. Die 25-Jährige wollte etwas Soziales machen und informierte sich zuerst bei der Arbeiterwohlfahrt sowie beim Roten Kreuz, doch nichts sagte ihr zu. "Ich will nicht jedes Wochenende verplant haben", erklärt sie. Die wöchentlichen Treffen mit Hufschmied seien flexibel genug. "Dienstags oder donnerstags, da sind wir relativ spontan."

Bevor sich Hof und Hufschmied jedoch kennenlernen durften, hatten sie eine Art Bewerbungsverfahren durchlaufen. Hof ist online auf den Verein aufmerksam geworden, Hufschmied hat dagegen durch eine Pflegerin des Alten- und Service-Zentrums von den Besuchspartnerschaften erfahren. Hannah Kietzerow hat sich mit der Seniorin dann in deren Wohnung getroffen. Bei diesen Hausbesuchen will sie herausfinden: "Kann ich die Freiwilligen da guten Gewissens hinschicken?" Dann erstellt Kietzerow in Absprache mit der älteren Person einen Steckbrief, in dem sie anonym wichtige Details schildert, wie den ungefähren Wohnort, den Charakter und das Alter des älteren Menschen. Letzteres sollte mehr als 75 Jahre betragen. Auch Alleinstehende gehören besonders zur Zielgruppe des Vereins. "Die Gestaltungsmacht liegt bei den älteren Menschen", betont Kietzerow. Sie müssten beim Steckbrief nur so viel preisgeben, dass die Koordinatorin sicher sein könne, dass die Freiwilligen dort sicher sind.

Für Freiwillige wie Maria Hof ist der erste Schritt ein Gespräch mit Kietzerow. Sie brauchen ein polizeiliches Führungszeugnis, müssen eine Engagementsvereinbarung unterschreiben und versichern, dass sie keine Geschenke oder Erbschaften annehmen. Sind sie registriert, erhalten sie per App Zugriff auf die Steckbriefe der älteren Menschen. Beim ersten Treffen zwischen den potenziellen neuen Freunden ist Hannah Kietzerow ebenfalls anwesend. Es sei "ein bisschen wie ein Vorstellungsgespräch", erinnert sich Hof. Wenn die Chemie stimmt, werden Telefonnummern ausgetauscht.

So kann Hof vor jedem Treffen eine SMS an Hufschmied schicken. Antworten könne sie nicht, lacht die Seniorin, dafür seien die Tasten zu klein. Hof erklärt, dass Hufschmied dadurch wisse: "Wenn's klingelt, bin's ich." Das seien die schönsten Momente, erzählt Kietzerow. "Wenn die älteren Menschen nicht besucht werden, weil es eine ehrenamtliche Aufgabe ist, sondern weil sich die Beziehung wirklich in diese Freundschaftsrichtung bewegt."

Ein weiteres Highlight ihrer Arbeit seien "die Augenblicke, in denen das Leid vergessen wird". Zwei Freiwillige, Mutter und Tochter, organisierten vor Kurzem ein Gartenkonzert und musizierten auf der Harfe. Eine weitere Freiwillige hatte einen Kuchen gebacken, der die Form eines Männertorsos hatte. Kietzerow erinnert sich: "Zuerst hatte ich die Sorge: Ist das angemessen?" Aber die älteren Damen hätten gekichert: "Ich will noch ein Stück vom Arm!" und "Ich will was von der Brust!" Der Humor baue viele Hemmschwellen ab, meint die Sozialarbeiterin. "Wir sind alle Menschen, unabhängig vom Alter."

Sie wünscht sich deshalb, dass alle "durch die Welt gehen und ein bisschen aufeinander achten". Denn Prävention sei das Wichtigste: "Wir setzen da an, wo der Mensch schon traurig und einsam ist." Das Alleinsein beginne oft beim Renteneintritt, wenn die Senioren ihre Aufgabe in der Gesellschaft verlieren. Im hohen Alter erschwere sich die Situation zusätzlich, wenn nach und nach Familie und Freunde wegziehen oder gar versterben. "Die Reihen dünnen sich aus."

Doch selbst mit einer intakten Familie in der Nähe kann sich das Gefühl der Leere breitmachen. Zwar hat Hufschmied vor elf Jahren ihren Ehemann verloren, ihr Sohn und ihre vier Enkel leben jedoch alle in München. Sogar Uroma ist die Seniorin bereits. "Nein, Uromi", verbessert sie stolz. Vor drei Wochen war sie noch auf der Hochzeit ihres Enkels. "Du bist mein schönstes Geschenk", habe er zu ihr gesagt, erzählt sie mit einem Lachen. Die Familie, der Pflegedienst, eine "Zugehdame" und drei Freundinnen, mit denen sie Canasta spielt, kommen regelmäßig vorbei. Aber trotzdem sagt die Seniorin: "Ich fühle mich sehr einsam, vor allem am Nachmittag." Schließlich rede sie sehr gerne, meint die ehemalige Verkäuferin. "Mit ist immer langweilig."

Hufschmieds Gefühl unterstreicht, was Kietzerow immer wieder betont: "Einsamkeit ist subjektiv." Auch ein Mensch mit vielen Freunden könne sich alleingelassen fühlen. Das Traurigste für sie sei, wenn sich die Menschen bereits so weit zurückgezogen hätten, dass sie eine Besuchspartnerschaft nicht einmal in Erwägung zögen. "Wenn man es versucht, kann etwas Wundervolles entstehen", betont die Vermittlerin. "Es ist eine Abwechslung", bestätigt Josefa Hufschmied und fügt hinzu: "Man ist nicht vergessen." Maria Hof wirft ein: "Nein, ich vergess' dich nicht."

Wer eine junge oder ältere Person in seinem Freundeskreis aufnehmen möchte, kann unter der Telefonnummer 32 63 75 00 oder per E-Mail an hkietzerow@famev.de mit Hannah Kietzerow Kontakt aufnehmen.

© SZ vom 21.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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