Aktiv gegen Armut:Zwei Welten

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In manchen Vierteln lebt Arm und Reich eng beieinander, sagt Regsam-Geschäftsführerin Martina Hartmann. Ein Gespräch über das verbreitete Gefühl der Isolation - und wie quartiersbezogene Strategien helfen können

Interview von Thomas Kronewiter

Aktiv gegen Armut" wird an diesem Samstag Regsam, das Regionale Netzwerk für soziale Arbeit. Neun Tage lang beteiligen sich die Sozialarbeiter in 13 der 25 Münchner Stadtbezirke und die Regsam-Netzwerker an einer stadtweiten Veranstaltungsreihe. Martina Hartmann, die Regsam-Geschäftsführerin, erläutert, worum es geht.

SZ: München gilt als Wachstumslokomotive für ganz Deutschland, seine Probleme haben vor allem mit dem steten Wachstum zu tun - dennoch sehen die Netzwerker von Regsam die Notwendigkeit, aktiv werden zu müssen gegen die Armut. Warum?

Martina Hartmann: Wir und das Regsam-Kuratorium, also die Vertreter aller Stadtteile und Regionen, haben festgestellt, dass die Armut in München zunimmt. Die Einschätzung entspricht den Zahlen des Münchner Armutsberichts, der 2017 erschienen ist. 2011 galten noch 200 000 Personen als arm, im Bezugsjahr 2016 waren es 269 000.

Steht im Vordergrund das Aufrütteln von Politik und Gesellschaft, oder geht es eher darum, konkrete Hilfsangebote anzubieten?

Die Reihe ist einerseits so angelegt, dass von Armut Betroffene die Chance haben, Angebote wahrzunehmen. Aber auch die gesamte Bevölkerung soll sensibilisiert werden. An vielen Stellen glitzert die Stadt, vielfach müssen die Menschen aber auch mit wenig Geld auskommen. Wir hoffen, dass es zu Begegnungen kommt zwischen Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten.

Armut wird in München sichtbar durch Bettler in der Fußgängerzone oder Obdachlose unter den Isarbrücken. In der subjektiven Wahrnehmung sind das aber nur wenige - da hat man Mühe, die Zahl von 269 000 Menschen zu verstehen. Wo versteckt sich die Armut?

Dem Alter nach ist die größte Gruppe der von Armut Betroffenen die der jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren. Sie machen 43 Prozent aus. Da sind Schüler und Studenten dabei, aber auch viele junge Erwachsene, die in Familien mit wenig Geld aufwachsen. Der zweitgrößte Teil sind alte Menschen über 65 Jahren. Schaut man nicht bloß nach dem Alter, haben den größten Anteil unter den armen Haushalten und der sogenannten unteren Mitte die Alleinerziehenden.

Martina Hartmann leitet beim Regionalen Netzwerk für soziale Arbeit in München ein Team von acht Moderatoren, das sich zusammen mit einer Projektkoordinatorin und zwei Verwaltungskräften um 16 Sozialregionen kümmert. (Foto: privat)

Isolieren die sich?

Das ist sehr unterschiedlich. Armut isoliert natürlich. Alte Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben und mit einer kleinen Rente auskommen müssen, stellen zum Teil nicht einmal Anträge, um die Möglichkeiten der Unterstützung zu ergreifen, die es tatsächlich gibt. Viele Menschen sind auch mit ihren Häusern alt geworden. Die sind teilweise nicht barrierefrei. Ohne Hilfe haben sie keine Chance, zum Begegnungszentrum oder zum Einkaufen zu kommen. Und bevor Alleinerziehende die Kraft und das Selbstbewusstsein aufbringen, wieder arbeiten zu gehen, braucht es eine gute Beratung, bezahlbaren Wohnraum, eine Kinderbetreuung, die sie sich auch leisten können. Die Stadt München ist da gerade auf einem sehr guten Weg.

Sie sagen, die Armut zeige sich in jedem Münchner Stadtteil auf andere Art und Weise. Wie ist das zu verstehen?

Es gibt Viertel, da sind Arm und Reich sehr nahe beieinander und trotzdem getrennt. Neuhausen ist so ein Beispiel, oder auch andere Viertel im Münchner Westen. Da gibt es auf der einen Seite Einfamilienhäuser und ein paar Straßen weiter geförderten Wohnungsbau oder Unterkünfte für Wohnungslose. Das sind zwei Welten nebeneinander. Deswegen freue ich mich, dass Neuhausen an unserer Reihe beteiligt ist - denn da hat man nicht das Bild, es lebten dort besonders viele arme Menschen. Und es gibt Viertel, in denen es sehr viele arme Menschen gibt. Dort fühlen sich viele abgehängt.

Ist das bei den Betroffenen nur eine gefühlte Realität?

Ich denke, es gibt Stadtteile in München, die sehr viele Herausforderungen haben. Alte Klischees wie das vom reichen Süden und dem armen Norden stimmen so trotzdem nicht mehr. Aber es lässt sich feststellen, das sich Armut eher am Stadtrand verteilt als in der Stadtmitte. Die Stadt versucht mit ihrer Münchner Mischung, in Neubaugebieten dagegenzuhalten. Es gibt viele Angebote, aber manchmal auch die Frage, wie Bedürftige an diese Angebote herankommen. Oft muss man sie an die Hand nehmen. Der Verein Kulturraum etwa vermittelt Theater- oder Kleinkunstabende an Menschen, die sich das nicht selbst leisten könnten. Allein die Erfahrung, unterwegs zu sein wie alle anderen eben auch, ist viel wert. Andere Initiativen helfen beim Ausfüllen von Formularen. Der Hartz-IV-Antrag ist sehr dick und schwer auszufüllen.

Zu den Angeboten der Veranstaltungswoche zählt etwa "Ramersdorf sucht Ideen gegen Armut". Ist es sinnvoll, auf Stadtviertelebene anzupacken?

So wie ich die Ramersdorfer kenne, ist das sinnvoll. Die Idee dahinter ist es, tatsächlich im Stadtteil konkret Ideen zu entwickeln, wie man sich gegenseitig stärken kann.

Welche Möglichkeiten hat Regsam, etwa durch Definition seiner Schwerpunktgebiete?

Im Alltag beackern wir das Thema auf unterschiedliche Weise. In den aktuellen Schwerpunktgebieten wie der Mitterfeldstraße geht es um Altersarmut und Isolation. In der Gilchinger Straße im westlichsten Aubing, die räumlich abgehängt ist, geht es darum, wie man Kontakt zu den Menschen außerhalb des Viertels bekommt, wie man das Quartier verschönern kann. Auch in früheren Schwerpunktgebieten leben viele Menschen, die arm sind, und viele Menschen mit Migrationshintergrund. Durch die geschaffenen Angebote werden Begegnungen ermöglicht und die Erfahrung, dass man dazu gehört, auch mit wenig Geld.

Sie starten die neuntägige Veranstaltungsreihe einen Tag vor der bayerischen Landtagswahl. Verstehen Sie das als politisches Statement?

Nein. Die Veranstaltungswoche rankt sich um den Internationalen Tag zur Bekämpfung von Armut am 17. Oktober.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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