Süddeutsche Zeitung

Zweckentfremdung:Kampf um jede Wohnung

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Das Sozialreferat geht energisch gegen die illegale Vermietung an Feriengäste und Medizintouristen vor. Rund 350 Wohnungen konnten so im vergangenen Jahr zurückgewonnen werden.

Von Sven Loerzer

Die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen an Feriengäste oder sogenannte Medizintouristen ist lukrativ, aber angesichts des Wohnraummangels in München verboten. Im Interesse der Menschen, die dringend dauerhaft eine Wohnung suchen, geht die Stadt konsequent gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum vor: Insgesamt 350 Wohnungen, die an Feriengäste oder Medizintouristen vermietet oder gewerblich genutzt wurden oder länger als drei Monate leer standen, konnte das Wohnungsamt im vergangenen Jahr für die Münchner zurückgewinnen.

Um 350 Sozialwohnungen herstellen zu lassen, hätte die Stadt rund 132 Millionen Euro ausgeben müssen. "Der Ausbau der Abteilung, die gegen Zweckentfremdung von Wohnungen vorgeht, hat sich gelohnt", freut sich SPD-Fraktionschefin Anne Hübner. "Die Abteilung holt im spürbaren Umfang Wohnraum für die richtige Nutzung zurück."

Die Beendigung der Zweckentfremdung, die das Sozialreferat in den vergangenen Jahren energisch vorangetrieben hat, um ein Zeichen zu setzen, ist ein mühseliges Unterfangen: Dazu haben die Außendienstmitarbeiter der Behörde allein 2019 mehr als 13 000 Wohnungen überprüft. "Insgesamt konnten in den letzten zehn Jahren 2302 Wohneinheiten gerettet werden", betont Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) in ihrem Bericht für den Sozialausschuss am Donnerstag. "Dies entspricht in etwa den Neubauplanungen im Prinz-Eugen-Park."

Die Aussichten, sich erfolgreich vor Gericht gegen das Vorgehen der Behörde wehren zu können, sind verschwindend gering: 103 von 105 Gerichtsverfahren wegen illegaler Wohnraumzweckentfremdung hat das Wohnungsamt gewonnen. Insgesamt nahm die Stadt fast eine halbe Million Euro an Zwangsgeldern ein. 2019 ergingen zudem 42 Bußgeldbescheide (2014: 19) über insgesamt fast 1,1 Millionen Euro (2014: knapp 100 000 Euro).

Ungebrochen sei jedoch der Trend zur Kurzzeitvermietung als Ferienwohnung oder an "Medizintouristen", die sich zur ärztlichen Behandlung in München aufhalten. Insgesamt verfügt das Wohnungsamt jetzt über elf Vollzeitstellen, um die in diesem Bereich sehr aufwendigen Ermittlungen zu führen und die Vermietungen zu unterbinden. Die illegale hotelähnliche Nutzung konnte bei 107 Wohnungen beendet werden. In 247 Fällen, bei denen der Verdacht einer illegalen Nutzung als Ferienwohnung bestand, mussten die Verfahren eingestellt werden. In diesen Fällen konnte eine längere Vermietungsdauer als acht Wochen nicht nachgewiesen werden.

Allerdings will die Behörde diese Wohnungen auch in diesem Jahr besonders im Blick behalten. Aufgrund der Corona-Pandemie und der Reisebeschränkungen sei allerdings aktuell ein starker Rückgang der Ferienwohnungsnutzung zu verzeichnen. Damit, so macht Schiwy deutlich, stünden die Wohnungen aber auch noch nicht für dauerhaftes Wohnen zur Verfügung: "Sie werden möbliert kurzzeitvermietet oder stehen leer." Das Amt gibt daher erst dann Ruhe, wenn eine dauerhafte Nutzung auch tatsächlich nachgewiesen worden ist.

Die Anfang 2018 eingeführte Online-Meldeplattform für vermutete Zweckentfremdungen erweist sich nach Schiwys Darstellung weiterhin als ein "voller Erfolg". Rund 100 Hinweise pro Monat gehen darüber ein. Gerichtlich geklärt ist inzwischen auch, dass das Amt keine Angaben über die Informanten herausgeben muss. Fast 60 Prozent der Meldungen erfolgen ohnehin anonym. Von den knapp 2400 Meldungen, die seit Inbetriebnahme bis März 2020 eingingen, bezogen sich mehr als 900 auf Leerstand, fast 800 auf Ferienwohnungen. Gut 600 Hinweisgeber nannten gewerbliche Nutzungen, knapp 80 Medizintourismus als vermutete Zweckentfremdung.

Den verschärften Vollzug der Zweckentfremdungsverordnung hätten inzwischen auch die Gerichte weitestgehend bestätigt, betont Schiwy. Um Wohnungen, die etwa durch Medizintouristen belegt sind, in letzter Konsequenz auch räumen zu dürfen, fehle aber eine rechtliche Grundlage, die der Freistaat schaffen müsste. Leider blieben auch hohe Zwangsgeldandrohungen in Einzelfällen ohne Wirkung. "Vor allem im Bereich des Medizintourismus konnte das üblicherweise angedrohte Zwangsgeld genauso wenig zu einer Aufgabe der illegalen Nutzung motivieren wie die Verhängung hoher Bußgelder", berichtet Schiwy. Deswegen habe man die Anordnung von Ersatzzwanghaft beantragt, wie sie auch bereits in drei Fällen vollstreckt worden sei.

Um schneller und wirksamer einschreiten zu können, fordert Schiwy außerdem, eine Registrierungs- und Genehmigungspflicht für Ferienwohnungen und eine Auskunftspflicht für Vermittlungsportale wie Airbnb einzuführen. Weil die Stadt im Umgang mit Airbnb nach wie vor keinen rechtlichen Hebel habe, müsse "der Freistaat dazu unbedingt das Gesetz anpassen, damit wir entsprechende Auskunftsrechte bekommen", verlangt SPD-Fraktionschefin Anne Hübner.

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SZ vom 07.07.2020
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