München:Zukunft im Kollektiv

Ende April 2019 will BMW den Rohbau für die erste Norderweiterung des Forschungs- und Innovationszentrums in Milbertshofen-Am Hart fertig haben. Entwickler, Techniker und Designer sollen in dem Ensemble durch eine ausgefeilte Architektur eng zusammenarbeiten können

Von Thomas Kronewiter, Milbertshofen/Am Hart

Auch wenn sich auf der derzeit wohl spannendsten Baustelle von BMW am Stammsitz in München in den ersten Tagen des Jahres 2019 nur kahle Betonfassaden in die Höhe recken, kommt hier niemand ohne Personenkontrolle aufs Gelände. Zu unübersichtlich ist das Areal, zu viele Firmen tummeln sich täglich zwischen Knorr- und Schleißheimer Straße, zu viele Mitarbeiter schleppen Rohre, fahren Hubsteiger, bohren, hämmern, schrauben. 400 sind es gegenwärtig trotz des widrigen Wetters an einem typischen Baustellen-Tag, denn der Bauherr BMW hat den Bauabschnitt 1 beim Nordausbau seines Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) rechtzeitig winterfest gemacht.

München: Es geht voran: 400 Millionen Euro investiert BMW in das Projekt "FIZ Future" zwischen Knorr- und Schleißheimer Straße.

Es geht voran: 400 Millionen Euro investiert BMW in das Projekt "FIZ Future" zwischen Knorr- und Schleißheimer Straße.

(Foto: Robert Haas)

Dass dies nötig sein könnte, habe man sich im vergangenen Sommer, dessen stabile Wetterlage letztlich fast bis in den Dezember reichte, nur schwer vorstellen können. Nun aber sind Klaus Kapp, der Chef des Zukunftsprojekts "FIZ Future" und sein Bauleiter Martin Hahm froh über die Heizung, die großen Vorhänge, die provisorischen Gipskartonwände, die in dem Rohbau nicht bloß eine Restwärme speichern, sondern auch den Durchzug verhindern. Rund 400 Millionen Euro investiert der Autobauer allein in dieses Projekt, das auf einer Fläche von 22 Fußballfeldern speziell der Antriebsentwicklung und der Entwicklung des gesamten Fahrzeugs - von der Idee bis zum fertigen Produkt - ein neuen Arbeitsprozessen gerechtes Entwicklungsumfeld bieten soll.

München: Der Bauherr BMW hat den Bauabschnitt 1 beim Nordausbau seines Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) rechtzeitig winterfest gemacht.

Der Bauherr BMW hat den Bauabschnitt 1 beim Nordausbau seines Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) rechtzeitig winterfest gemacht.

(Foto: Robert Haas)

Zeitplan und architektonisches Konzept sind ambitioniert: Bis Ende April soll der Rohbau stehen, Ende 2019 werden die Umzüge starten. 4000 Mitarbeiter zieht BMW bis zum Ende des ersten Quartals 2020 auf einer Bruttogeschossfläche von 157 000 Quadratmetern am bisher nördlichsten Punkt seines FIZ zusammen, dafür wird der Standort Hufelandstraße Süd komplett geräumt. Auch dort könnten letztlich aber wieder Entwickler einziehen, dann aber wohl von Fremdfirmen, denn der Bedarf des Unternehmens mit seinen 26 000 Entwicklern im eigenen Haus und in Zulieferfirmen am Standort München ist ungebrochen.

22 Fußballfelder

groß ist das Gelände von Abschnitt 1 beim Ausbau des Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) des BMW-Konzerns in Richtung Norden. Dem Vorhaben FIZ-Nord soll mittelfristig ein weiteres Projekt folgen. Im Unternehmen spricht man vom FIZ Nord-Nord. Dafür gibt es noch keine konkreten Pläne.

Worum es den Ingenieuren und dem "FIZ-Future-Team" geht, fasst das Stichwort vom "agilen Arbeiten" zusammen. Immer schneller, immer flexibler müsse man agieren können, sagt Kapp. Immer besser abgestimmt sollen Technik, Design, Büro und Werkstatt sein. Nicht von ungefähr schmiegen sich das künftig neue Projekthaus Nord und die Werkstattbereiche so an- und ineinander, dass etwa Ingenieure, die regelmäßig in die Werkstatt müssen, direkt nebenan und mit Sichtkontakt auf die Prüfstände ihre Büros haben werden. Und nicht von ungefähr ist das Herzstück des von Henn Architekten entworfenen Komplexes unter einem großen Glaskubus eine verschränkte Treppenanlage, die künftig stockwerkübergreifend Kommunikation und im zentralen Atrium wechselseitige Ein- und Ausblicke erlaubt. Entwickler und Techniker, Designer und andere Experten sollen ständig und ohne großen Aufwand miteinander ins Gespräch kommen können, um Probleme sofort in Angriff zu nehmen. "Der informelle Austausch ist extrem wichtig", sagt Kapp. Bauleiter Martin Hahm spricht von "frei verfügbaren Flächen für cross-funktionale Teams". Die sollten sich leicht verändern und anpassen lassen. Und die neue Gastronomie, die 1400 Plätze haben soll, wird auch außerhalb der Essenszeiten als Treffpunkt zur Verfügung stehen. Experten, die mehr Ruhe brauchen, bekommen andererseits ihre Arbeitsplätze an den Außenseiten des Gebäudes - Rückzugsorte mit Distanz zu den zentralen Kommunikationsebenen.

München: Bauleiter Martin Hahm mit Projektchef Klaus Kapp (re.).

Bauleiter Martin Hahm mit Projektchef Klaus Kapp (re.).

(Foto: Robert Haas)

Das Bekenntnis von BMW zum Standort München drückt sich in mehreren parallel laufenden Baustellen aus: Neben dem FIZ Nord wird das benachbarte Parkhaus mit seinen 800 Plätzen um 300 Stellflächen erweitert; es wird ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk errichtet, die Sparte Elektroantrieb erhält an der Westseite der Schleißheimer Straße neuen Raum. Die Stern-Module der bestehenden FIZ-Architektur werden obendrein parallel bis 2027 saniert. Derzeit nur als Logistikfläche für die übrigen Baustellen nutzen die BMW-Architekten den nördlichsten Teil der ehemaligen Kronprinz-Rupprecht-Kaserne. Dort ist noch reichlich Erweiterungspotenzial, das der Masterplan für die weitere Entwicklung im Hinblick auf den Zeithorizont 2050 und die 15 000 neu entstehenden Arbeitsplätze als Reserve bereithält. Derzeit arbeiten Unternehmen und Stadtplanung am Bebauungsplan für "FIZ Nord-Nord", wie es im Jargon heißt. Bis zum Ende des Jahres will man auch dort Baurecht haben. Nutzen werde man es wohl erst von 2025 an, wie Klaus Kapp bestätigt. Und auch dafür ist eine bessere Infrastruktur des gesamten Münchner Nordens Voraussetzung. "Die Verkehrserschließung ist ein wesentlicher Punkt für die Bebauung des FIZ Nord-Nord", sagt Kapp ebenso deutlich wie diplomatisch. Wenn es nicht bessere Lösungen als jetzt gebe, "muss man sich das gut überlegen". Bessere Lösungen, das sind - in dieser Reihenfolge - der Ausbau des S-Bahn-Nordrings von einer reinen Güterstrecke zu einer Güter- und S-Bahn-Trasse. Auf der Straße setzt BMW auf eine Verlängerung der Schleißheimer Straße und Anbindung an den Autobahnring A 99 via einen neuen Tunnel. Noch zeitlich wesentlich weiter weg dürfte die Verbindung der U-Bahn-Linien U 2 und U 6 mit einer U 26 sein. Schnelle Lösungen erwartet Kapp deshalb vor allem von einem Expressbus-System.

München: Trotz des widrigen Wetters arbeiten derzeit 400 Arbeiter auf der Baustelle.

Trotz des widrigen Wetters arbeiten derzeit 400 Arbeiter auf der Baustelle.

(Foto: Robert Haas)

Ein Bus soll auch durch den geplanten Rathenau-Park fahren, der das FIZ Nord und das FIZ Nord-Nord trennen, die ganze Nachbarschaft aber auf Höhe der alten Panzerbrücke in Ost-West-Richtung endlich einmal barrierefrei verbinden wird. Von der ursprünglich dort geplanten Tram hat man im Hinblick auf die U 26 und einen Vorläuferbetrieb mit Hilfe von Expressbussen Abstand genommen. Die Tram hätte im Park viel Platz gebraucht, beim Einbiegen hätte es sowohl an der Knorr- als auch an der Schleißheimer Straße Probleme gegeben.

Dass der Park deutlich höher als das gegenwärtige Straßenniveau liegen wird, sieht man schon jetzt an den in Mannshöhe angeordneten Erdgeschosszonen des FIZ Nord. Der Rathenau-Park wird nicht zuletzt deshalb aufgeschüttet, weil dort zwei Tunnelröhren verbuddelt werden sollen, die das FIZ Nord und das FIZ Nord-Nord einst direkt verbinden. Denn die Kommunikation auf dem Weg vom Projekthaus im Süden, wo die großen Produktfamilien zu Hause sind, zum künftigen Projekthaus Nord und noch weiter nach Nord-Nord zählt zu den großen Themen für BMW und Henn Architekten, die unter anderem mit diesem Aspekt vor fünf Jahren den Wettbewerb um den Ausbau des Forschungszentrums gewonnen haben. Was konkret wie auf der großen Brachfläche angesiedelt werden soll, ist noch offen, denn, wie Klaus Kapp sagt: "Die Anforderungen in zehn oder 20 Jahren sind nicht vorherzusagen." Möglich wäre eine Reintegration des seit April 2018 in Unterschleißheim ansässigen Bereichs Autonomes Fahren, denkbar wären aber auch ein IT-Kompetenzzentrum oder ein "Future Mobility Lab". BMW hat dazu noch keine Entscheidungen getroffen. Auch bei den strategischen Weichenstellungen will man agil sein.

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