München:Es ist was faul am Horizont

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Noch alle Gipfel da? Besser mal genauer hinschauen. (Foto: Leonhard Simon /imago images)

Die Zugspitze, der höchste Berg Deutschlands, ist geschrumpft? Ganze sechs Zentimeter sollen das Opfer von Geiselnehmern geworden sein.

Glosse von Christiane Lutz

Es gibt wenig, was Münchnerinnen und Münchner so beruhigt wie der Blick gen Süden, Richtung Alpen. Bei jeder Gelegenheit wird da hin gestarrt, vom Alten Peter aus, oder vom Dach des Café Vorhoelzer, vom Olympiaberg sowieso, alle suchen Gipfel und freuen sich wie Otto, wenn sie einen erkennen. Mit genialen Bildbearbeitungs-Skills verdienen Postkartendesigner seit Jahrzehnten Geld damit, die Skyline der Stadt unverschämt nahe an den Alpenrand ran zu schieben, oder umgekehrt, je nachdem. Im Ergebnis entsteht der hartnäckige Eindruck, München liege am Fuße der Alpen.

Die Münchner lieben und pflegen dieses Image, denn Alpen bedeuten Freizeit, Weite, Erholung und die Möglichkeit, jede Sekunde aus dem Bürostuhl aufstehen und dort hinfahren zu können. Alpen bedeuten immer auch, Italien nah zu sein - und das findet man hier ganz besonders großartig. Der Alpenrand ist unverzichtbares Ornament im Münchner Selbstverständnis.

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Wer aber in jüngster Zeit Richtung Alpen geschaut hat, dem wird kaum entgangen sein: Es ist was faul am Horizont. Und zwar genau dort, wo sich das Auge an der endlosen Gipfelkette normalerweise so zuverlässig festhalten kann, an dem stark abfallenden Buckel der Zugspitze nämlich. Die Zugspitze ist geschrumpft. Um ganze sechs Zentimeter, behauptete diese Woche ein Berliner Künstlerkollektiv. Die sechs Zentimeter will es heimlich weggenommen haben vom Gipfel, abgetragen mit Hammer und Meißel. Von den 2962,06 Metern sind jetzt nur noch popelige 2962 Meter übrig.

Das Ganze sei eine Geiselnahme, sagen die Künstler, der Versuch einer post-kolonialistischen Restitutions-Aktion. Sie hätten die Zugspitz-Spitze gekidnappt, würden sie aber wieder rausrücken, wenn Deutschland im Gegenzug die Kilimandscharo-Spitze zurück gibt. Den Kilimandscharo nämlich hatte 1889 ein Leipziger Kolonialgeograf namens Hans Meyer bestiegen und die Spitze einfach mal mitgenommen. In seiner Familie wurde diese, das muss man sich mal vorstellen, als Briefbeschwerer weiter vererbt.

Nun muss man nicht gleich von Erpressungsversuchen sprechen und wütend werden. Vielleicht ließe sich auch so etwas wie ein friedlicher, temporärer Gipfelaustausch organisieren. Also: Kilimandscharo-Briefbeschwerer auf der Zugspitze und Zugspitz-Spitz auf dem Kilimandscharo, Mont-Blanc-Gipfel auf der Oberammergauer Kofelspitze und so weiter, im jährlichen Wechsel.

Gäbe optisch einiges her, im Sinne des Klimawandels könnte auf Reisen in ferne Länder verzichtet werden, wenn die Spitzen zu Besuch sind. Und so ließe sich die Zugspitze auch gleich noch um ein paar Zentimeter höher schummeln. Denn hohe Dinge, die mögen die Münchner ja auch. Solange es bloß nicht die Gebäude in der eigenen Stadt sind.

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