Kritik:Wände, die immer ein Ende bedeuten

Lesezeit: 1 min

Dagny Dewath ist die Smilla im Zentraltheater, Thomas Birnstiel übernimmt alle anderen Rollen, die in der Inszenierung auftauchen. (Foto: Lea Mahler)

Im Zentraltheater inszeniert Katrin Lindner "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" - verdichtet zu einer Geschichte über ein verlorenes Ich.

Von Yvonne Poppek

Die Wände sind ein Problem. Dagny Dewath arbeitet sich an ihnen ab, betastet sie, stemmt sich dagegen, versucht, an ihnen emporzukommen. Doch dieses Schwarz, das sie umgibt, ist unnachgiebig, sperrt sie in ein Inneres, in dem sie nicht sein möchte: in ihr eigenes Ich. Diese verzweifelten Versuche einer Flucht vor sich selbst hat Katrin Lindner im Zentraltheater inszeniert. Dafür hat sie den Film "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" als Folie genommen, komprimiert auf nur eine Stunde. Ein Exzerpt, das auf der Bühne erstaunlich gut funktioniert.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

1992 veröffentlichte der dänische Schriftsteller Peter Høeg den Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee", einen Bestseller, der in 18 Sprachen übersetzt wurde. 1996 machte Regisseurin Bille August mit Julia Ormond in der Titelrolle einen Film daraus, auf dem der Abend im Zentraltheater fußt. Roman und Buch kennen drei Spielorte: Kopenhagen, das Schiff einer Polarexpedition und Grönland. An allen drei Orten recherchiert Smilla den Tod des Nachbarsjungen Jesaja. Angeblich fiel dieser beim Spielen vom Dach, Smilla glaubt jedoch, er wurde verfolgt. Ihre Ermittlungen bringen sie in Gefahr, zugleich entspinnt sich eine Liebesgeschichte mit einem Mechaniker. Smilla wuchs bei den Inuit auf, musste jedoch nach dem Tod der Mutter zum Vater nach Dänemark, wo sie sich eingesperrt fühlt - für sie ein Trauma.

Im Zentraltheater reichen für diese Geschichte der leere Raum, wenige Requisiten, Dagny Dewath und Thomas Birnstiel. Dewath spielt die Smilla mit unnahbarer Melancholie. Birnstiel übernimmt alle anderen Rollen, die er klar durch kleine, lustige, Überzeichnungen trennt. Die Recherchen, die sich zum Ende fast unkenntlich beschleunigen, geben der Inszenierung die Spannung. Der innere Halt ist die Verzweiflung. Jegliche Strecke sei "nichts gegen die Kilometer, die Kinder zurücklegen, auf ihrer Suche nach einem ordentlichen Leben", sagt Smilla einmal. Was sie selbst nicht geschafft hat, hat sie sich für Jesaja gewünscht. Vergeblich.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMusical
:Glitzern am Abgrund

Calixto Bieito inszeniert das Musical "Cabaret" am Schauspiel Stuttgart: rasant, zeitlos, großartig.

Von Egbert Tholl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: