München:Woran man gutes Olivenöl erkennt

München: Die Bitterstoffe dieses Olivenöls erinnern Nadia Tappen an Rucola und Zichorie - und es kratzt im Abgang kräftig im Hals.

Die Bitterstoffe dieses Olivenöls erinnern Nadia Tappen an Rucola und Zichorie - und es kratzt im Abgang kräftig im Hals.

(Foto: Stephan Rumpf)

Sommelière Nadia Tappen ist eine reisende Feinschmeckerin. Sie verkostet Olivenöl - und verrät, warum es auch mal kratzen darf im Hals.

Von Ingrid Brunner

So riecht ranziges Olivenöl? Die Teilnehmer - an diesem Abend sind es acht - blicken ungläubig und ein wenig erschrocken drein. Sind das nicht doch Noten von frisch geschnittenem Gras und Kräutern? Doch Nadia Christina Tappen schüttelt bedauernd den Kopf: "Eindeutig ranzig." Sie kennt die Reaktion. "Viele Verbraucher assoziieren exakt diesen Duft mit gutem Olivenöl - leider", erklärt sie, weil eben viele minderwertige Öle im Handel seien.

Seit vier Jahren ist die 36-Jährige Olivenöl-Sommelière. Im Sommer arbeitet sie in Kalabrien, in den Wintermonaten lebt sie in München und veranstaltet im privaten Kreis Degustationen, vorwiegend in München, aber auch in Berlin, Frankfurt und Stuttgart. Oder auch mal in der Kochschule im Eataly in der Schrannenhalle. Aber der private Rahmen, die kleinen Gruppen gefallen ihr am besten. "Die Gastgeber laden Freunde ein, die sich ebenfalls für italienische Küche und Lebensart interessieren. Und daraus entsteht meist die nächste Verkostung." Das mache Spaß.

Wie erkennt man schlechtes Olivenöl?

München wird ja oft als nördlichste Stadt Italiens bezeichnet, umso größer ist hier das Interesse, woran man hochwertiges Olivenöl erkennt. Oder schlechtes. Außer ranzig könne es auch brandig - zu viel Hitze bei der Pressung -, essigartig, stichig und modrig schmecken und riechen; all diese Gerüche verweisen auf Fehler in der Lagerung und Verarbeitung.

Ihre Ausbildung zur Olivenölsommelière hat Tappen in Neapel begonnen und später im kalabrischen Catanzaro abgeschlossen - mit einer staatlichen Prüfung. "Solche Schulen gibt es überall in Italien, wo Olivenöl erzeugt wird", sagt sie. Häufig sei eine solche "Scuola" an ein Prüflabor angeschlossen, das die Zusammensetzung der lokalen Öle analysiert und die Qualität kontrolliert. Um zur Ausbildung zugelassen zu werden, muss man zunächst eine geschmackssensorische Aufnahmeprüfung bestehen. Wer da ranzig für frisch und grün hält, hat schon verloren. Von 50 Bewerbern waren am Ende noch 15 übrig, und Tappen war dabei.

Die Öle der Welt verkosten

Ziel der Ausbildung sei es, so viele Öle aus aller Welt wie möglich zu verkosten, deren Aromen, Inhaltsstoffe, Qualität und Geschmack unterscheiden zu lernen. Kein leichtes Unterfangen, denn weltweit gibt es an die 1500 verschiedene Olivensorten, 750 sind es in Italien, in Spanien circa 300 und in Griechenland 28. Allein die Sorten zu erkennen, erfordert eine lange olfaktorische Sensibilisierung - und ähnlich wie bei Wein, erklärt Tappen, gebe es auch beim Olivenöl Cuvées, sortenreine Öle seien eher die Ausnahme.

Das Reisen und das Schmecken sind Leitmotive in ihrer Biografie. "Ich bin eine reisende Feinschmeckerin", sagt sie von sich. Irgendwie scheint es logisch zu sein, dass Tappen die richtige Nase für gutes Olivenöl hat. Die Deutsche mit argentinischen Wurzeln verbrachte als Kind viel Zeit bei ihrer Großmutter in der Provinz Entre Rios nahe der Grenze zu Uruguay. "Meine argentinische Oma konnte gut kochen, und sie hat mich oft mit in ihren Garten genommen", ihr verdanke sie die Liebe zur Natur, die Neugier, die Geheimnisse von Kräutern und Pflanzen zu erforschen.

Deshalb studiert sie zunächst Biologie an der Universität von Buenos Aires. Als die Familie 2003 nach Deutschland umzieht und sich die Anerkennung der Studienzeiten als schwierig erweist, sattelt sie auf Touristik um.

Ein Kratzen im Hals ist ein gutes Zeichen

"Mir war klar, ich will nicht im Massentourismus arbeiten." Ein Praktikum bei einem kleinen exklusiven Reiseveranstalter bringt sie nach Kalabrien. Die Philosophie dieses Landstrichs passt perfekt zu Nadias Idee von Individualtourismus. Seither verbringt sie dort ihre Sommermonate, entwickelt neue Reisen, sucht Restaurants, die Besonderes anbieten oder organisiert den Ablauf von Oldtimer-Rallyes.

Schnell merken ihre Kollegen, dass das kulinarische Programm ihr Spezialgebiet ist. Inzwischen spricht Tappen Italienisch wie die Einheimischen. Und die erzählen ihr von den beinahe schon verschwundenen schwarzen Kichererbsen aus der Basilikata oder dem wilden Meerrettich, und sie integriert diese Raritäten in die Menüs für ihre Gäste.

Nicht nur die Bauern staunen

Ihre sensorischen Fähigkeiten verfeinern sich immer weiter. Als ihr ein Bauer frischen Ricotta mit Olivenöl kredenzt, schmeckt sie neben den Zutaten Lakritze. Der Bauer staunt und bestätigt ihr, dass seine Tiere auf einem Feld fressen, auf dem nur der Lakritzstrauch wächst. "Es ist ein bisschen wie bei meiner Oma, das möchte ich weiter kultivieren."

Und wie soll nun gutes Olivenöl schmecken? "Gutes Olivenöl sollte mehr oder weniger bitter schmecken - je bitterer, um so höher ist der Anteil an gesundheitsfördernden Polyphenolen." Und es sollte im Abgang scharf sein, wie Meerrettich, Pfeffer oder Paprika, was sich häufig als Kratzen im Hals bemerkbar mache - auch dies ein Beleg für einen hohen Anteil an Polyphenolen, die vielen Wohlstandskrankheiten entgegenwirken sollen.

Die Farbe hat keinen Einfluss auf den Geschmack

Die Öle verkostet man in kleinen blauen Plastikbechern. "Die getönten Becher sollen verhindern, sich von der Farbe beeinflussen zu lassen." Denn, so erklärt Tappen, die Farbe des Öls sei irrelevant für dessen Bewertung, sie variiere je nach Olivensorte, nach Reifegrad, Art der Pressung und auch nach Herkunft des Öls. Nordafrikanisches Öl etwa habe eine deutlich andere Farbe und andere Bitterstoffe als europäisches. Zwischen den Probierrunden isst man Apfelschnitze zur Geschmacksneutralisierung. Klar, dass das beste Öl zum Schluss kommt.

Nadia Tappens Lieblingsöl stammt aus einer kleinen kalabrischen Ölmühle. Es ist ein Extravergine aus 100 Prozent sortenreinen Oliven "Leccio del Corno", das von Sachverständigen regelmäßig Spitzenbewertungen erhält. Es schmeckt, sagt Tappen, wie gutes Olivenöl schmecken soll: fruchtig, grasig, dieses habe noch einzelne Noten von Mandeln und Artischocke. Seine Bitterstoffe erinnern an Rucola und Zichorie - und es kratzt im Abgang kräftig im Hals.

"Eine Sache, die mir wichtig ist: Bei den Degustationen sollten sich die Teilnehmer auf ihre Intuition verlassen", sagt sie. Aber ein wenig Wissen schadet auch nicht.

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