Nach dem Weihnachtsfrieden bahnen sich in der ohnehin fragilen Münchner Rathaus-Koalition offensichtlich erneut Unstimmigkeiten an. Das lässt jedenfalls die Reaktion der Mehrheits-Fraktion von Grünen/Rosa Liste auf einen Antrag des Regierungspartners SPD/Volt vermuten. Darin wird gefordert, die „Vergabepraxis für städtische Wohnungen gerechter und sozial ausgewogener zu gestalten“. Insbesondere „arbeitende Menschen, Rentner und Haushalte mit mittleren Einkommen“ sollten stärker berücksichtigt werden, wenn das Amt für Wohnen und Migration die wenigen Räumlichkeiten verteilt, die ihm zur Verfügung stehen.
Aktuell gingen etwa die Hälfte der jährlich knapp 4000 von der Stadt vergebenen Wohnungen an wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Haushalte, heißt es in der Mitteilung der SPD/Volt-Fraktion. Da gebe es Nachbesserungsbedarf zugunsten der arbeitenden Bevölkerung, die Mühe habe, auf dem freien Markt bezahlbare Wohnungen zu finden.
Dieser Vorschlag stößt jedoch auf Kritik, und zwar vom Koalitionspartner der SPD im Rathaus. Aus Sicht der sozialpolitischen Sprecherin der Grünen, Clara Nitsche, ist die Idee diskriminierend und schüre „Spaltung und Neid“. Der SPD-Vorschlag wirke populistisch und schließe Menschen aus: „Alleinerziehende oder diejenigen, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht, oder zumindest vorübergehend nur wenig arbeiten können, würden dann keine Wohnung mehr bekommen.“ Gerade in „politisch aufgeheizten Zeiten“ müsste man darauf achten, dass verschiedene Gruppen, die es auf dem Mietmarkt schwer haben, nicht gegeneinander ausgespielt werden.
In diese Richtung zielt auch die Kritik der Linken im Stadtrat. Sie sehen in dem Antrag ebenfalls einen Versuch, Wohnungslose und Arbeitende gegeneinander auszuspielen. „Jetzt auf Erwerbslose und Wohnungslose runterzutreten, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten“, so der Fraktionsvorsitzende Stefan Jagel. Der Vorschlag zeige, dass die Sozialdemokraten „die ärmere Bevölkerung endgültig aus dem Blick verloren“ haben.
Den Vorwurf, man würde Bedürftige gegeneinander ausspielen, findet die SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner „unmöglich“. In dem Antrag stehe ganz klar, dass etwa wohnungslose Familien sogar eine „intensivierte Begleitung“ bekommen sollen, um ihre Vermittlungschancen auf dem sozialen Wohnungsmarkt zu erhöhen. So sollen Sozialarbeiter die Betroffenen speziell beim Bewerbungsprozess um die begehrten Sozialwohnungen begleiten. Zudem gäbe es auch wohnungslose Menschen, die arbeiteten und mithilfe des SPD-Vorhabens ihre Chancen auf eine Wohnung erhöhen könnten.
„Wir sind sicher nicht die Fraktion, die Wohnungsbau verhindert“
Grundsätzlich sollen aber aus Sicht der SPD künftig diejenigen, die nicht wohnungslos sind und mit ihrem Lohn in der teuren Stadt trotzdem kaum über die Runden kommen, höhere Chance auf eine Sozialwohnung bekommen. Dass sich dadurch die Konkurrenz auf ein ohnehin sehr knappes Gut erhöhen würde, sieht Hübner zwar ein. Da das System aber eine „Mangelverwaltung“ und quasi „eine Lotterie“ sei, in der nur jeder Zehnte überhaupt zum Zug komme, möchte man die Vergabekriterien eben einfach verschieben. „Es wird fairer so“, sagt Hübner.
Um die Not für alle Gruppen deutlich zu lindern, muss aus ihrer Sicht mehr bezahlbarer Wohnraum in München entstehen. Es ärgere sie, dass dem grünen Koalitionspartner der Erhalt der Grünflächen wichtiger sei als der Wohnungsbau. Clara Nitsche hält dagegen: „Wir sind sicher nicht die Fraktion, die Wohnungsbau verhindert.“
Die SPD möchte mit ihrem Antrag „eine stärkere soziale Durchmischung“ in den Häusern und Quartieren erreichen. Die Verwaltung habe diesbezüglich bereits Handlungsbedarf signalisiert, sagt Anne Hübner. Sie erhofft sich von einer Priorisierung von Erwerbstätigen, dass dadurch einige Hausgemeinschaften „stabilisiert“ würden.
Grundsätzliche Unterstützung der SPD-Absichten signalisierte ausgerechnet die größte Oppositionsfraktion im Rathaus, die CSU. Das kann man als (Wieder-)Annäherung der Sozialdemokraten an den früheren Regierungspartner im Rathaus werten – muss es aber nicht zwingend. Manuel Pretzl, der Fraktionssprecher von CSU und Freien Wählern, verwies in diesem Zusammenhang auf eine Anfrage und ein Antragspaket seiner Partei aus dem Februar 2024. Im Zentrum stand dabei, die Vergaberegeln für Sozialwohnungen in München zu ändern und dabei stärker auf eine sozial ausgewogene Bewohnerstruktur zu achten. „Offenbar sinkt bei der SPD angesichts der nahenden Bundestagswahl die Hemmschwelle, gute Ideen einfach zu kopieren“, so Pretzl. Seine Fraktion habe nach fast einem Jahr noch keine Antworten von der Stadtverwaltung erhalten: „Ich bin gespannt, ob es bei der SPD jetzt schneller geht.“
Das Grundübel beseitige der SPD-Antrag freilich nicht, darin sind sich CSU und Grüne ausnahmsweise einmal einig. „Es gibt einfach zu wenige Sozialwohnungen“, stellt Manuel Pretzl fest. Clara Nitsche sagt: „Durch den SPD-Vorschlag entsteht keine einzige Wohnung.“
Nach Angaben der Linken habe sich die Zahl der Wohnungslosen in München zwischen 2014 und 2024 mehr als verdoppelt – von 4848 auf 10 458 Menschen. Stadtrat Stefan Jagel interpretiert das so, „dass die SPD jahrzehntelang in der Wohnungsfrage versagt hat“. Anne Hübner hält dagegen: In den vergangenen zehn Jahren seien viele Geflüchtete nach München gekommen. Diejenigen, die einen anerkannten Asylstatus haben, aber weiterhin in Flüchtlingsheimen wohnen, weil auch sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden, zählen ebenfalls als wohnungslos. Laut einer Statistik des Sozialreferats machten Geflüchtete, inklusive Ukrainer, im vorigen Jahr grob die Hälfte der Wohnungslosen aus.