München:Wenn Glück sich in Unglück verkehrt

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Harald Gruber war einer, den alle einen Macher nannten. Doch durch einen rücksichtslosen Investor verlor er erst seine wirtschaftliche Existenz, dann seine Wohnung. Seitdem ist der 52-Jährige obdachlos.

Von Anna Hoben

Ganz großes Glück: So dachte er damals, als er den Laden in der Fraunhoferstraße fand. Harald Gruber hatte große Pläne, war voller Tatendrang. Noch einmal einen eigenen Laden aufmachen, mit amerikanischem Essen, Burger, Pulled Pork, Sandwiches. Wicked Flavor hieß das Restaurant, das er zusammen mit seiner Mutter betrieb und in das die beiden viel Geld steckten, erspartes und geerbtes: 40 000 Euro Ablöse an den vorherigen Pächter, 60 000 Euro für den Umbau, für Möbel und Geräte. Harald Gruber war einer, den alle einen Macher nannten. Im April 2014 war die Eröffnung. Gruber ahnte nicht, dass das große Glück sich in ein großes Unglück verkehren würde.

Harald Gruber sitzt auf einer ausziehbaren Schlafcouch in einer Einzimmerwohnung. Eine Küchenzeile, ein Tisch, ein paar Stühle. Im Flur der Kleiderschrank, in dem Gruber drei Fächer gehören. Es ist die Wohnung seiner Mutter, hier übernachtet er manchmal, seit er vor fast drei Jahren erst sein Restaurant und dann seine Wohnung verloren hat.

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Sie, 78 Jahre alt, schläft dann an der Wand. Der Sohn, 52, vorne, wo er leichter aufstehen kann. Er ist ein unruhiger Schläfer, wacht alle paar Stunden auf. Manchmal geht er dann eine Zigarette rauchen. Er versucht, seine Mutter nicht zu wecken. Ab und zu schläft er bei seiner Freundin. Er hat auch schon Nächte draußen verbracht. In einer U-Bahn-Station. An einer Tramhaltestelle. An der Isar.

Eigentlich war es gut gelaufen im Wicked Flavor. Harald Gruber zeigt am Laptop Fotos aus der Anfangszeit. Die neue Theke, die sie gebaut hatten, die Wände, die sie mintgrün strichen, die hellen Holzmöbel. Auf anderen Fotos aus der Zeit ist Harald Gruber mit Westbam zu sehen, dem DJ, oder mit Harry G., dem Comedian. Er zeigt Fotos von einem Catering, das sie gemacht haben, "das war ein Radi-Carpacchio mit Brezn-Pesto". Er und seine Köche waren mit Begeisterung bei der Sache, tagsüber boten sie einen Mittagstisch an, eine wichtige Säule fürs Geschäft. Ein Fernsehsender drehte damals in ihrem Laden eine Dokumentation über Foodtrends.

Wenige Monate nach der Eröffnung, im Sommer 2014, erfuhr Harald Gruber, dass das Haus verkauft worden war. Der neue Eigentümer kündigte eine Kernsanierung an. "Er versprach, dass wir nicht unter der Baustelle leiden würden." Natürlich kam es anders. Die Kundschaft blieb aus, der Umsatz schrumpfte. Statt Gäste zu bewirten, verzweifelte Gruber beinahe am Kampf gegen Staub, Dreck und Ratten. Irgendwann sei die Decke zum Imbiss durchgebrochen, woraufhin er den Laden einige Wochen schließen musste. Dann wurde auch noch in das Restaurant eingebrochen.

Zweimal verhängte die Stadt einen Baustopp, weil die tatsächlichen Arbeiten von der Baugenehmigung abwichen und das Planungsreferat um die Sicherheit der Bauarbeiter und späterer Nutzer fürchtete. Immerhin hatte der Eigentümer eingeräumt, dass Gruber bis zum Ende der Bauarbeiten keine Miete mehr bezahlen müsse. Doch davon wollte er einige Monate später nichts mehr wissen - und kündigte den Vertrag fristlos. Der Vermieter klagte auf Räumung, die Sache ging vor Gericht. Harald Gruber verlor den Prozess.

Er hat nicht nur ein Gerichtsverfahren verloren. Er hat sein Restaurant verloren, seine wirtschaftliche Existenz. Er hat daraufhin, im Herbst 2016, seine Wohnung verloren, weil er die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Er hat seine Freunde verloren. "Ich kann ja nicht mehr mithalten", sagt Harald Gruber. Er und seine Mutter haben viel Geld verloren. Seine Selbstachtung hat er nicht verloren. Was er dem Eigentümer sagen würde, wenn er ihn treffen würde? "Herzlichen Glückwunsch, du hast gewonnen - werd' glücklich mit deinem Geld." Der millionenschwere Investor wurde dann einige Monate später schlagartig sehr bekannt in der Stadt: durch den skrupellosen Abriss des denkmalgeschützten Giesinger Uhrmacherhäusls.

Harald Gruber hat Koch gelernt, und er hat die Gastronomie geliebt. Nach 35 Jahren sagt er aber auch: "Es geht nicht mehr." Die Jahrzehnte in dem stressigen Beruf haben Spuren hinterlassen. Er wünscht sich einen Job in einer anderen Branche. Er wünscht sich sehnlichst eine eigene Bleibe, einen Rückzugsort, an dem ihn seine beiden Kinder mal besuchen können. Aber erst einmal wünscht er sich nur eine Winterjacke und neue Turnschuhe.

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