Wie viele Flüchtlinge kann München überhaupt noch aufnehmen? Eine Frage, die in jüngster Zeit häufiger mitschwang, wenn im Rathaus über neue Unterkünfte gestritten wurde. Nun stellt auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) klar: „Man muss ehrlich sein: Wir kommen an unsere Kapazitätsgrenzen.“ Es werde immer schwieriger, „Geflüchtete in der Stadt so unterzubringen, dass Integration gelingt, ohne dass dies zu wachsendem Frust in der Bevölkerung führt“.
Diese Deutlichkeit von der sozialdemokratischen Spitze ist in dieser Sache neu. Noch im vergangenen Herbst verwies Reiter beschwichtigend auf die „rechtliche Unterbringungsverpflichtung“ von Geflüchteten, die die Stadt nun mal habe. Wenngleich er im selben Atemzug einräumte, dass es immer schwieriger werde, neue Standorte für Flüchtlingsunterkünfte in München zu finden.
Die Stadt ist sehr dicht besiedelt, Freiflächen für größere Unterkünfte sind rar und finden sich meist an den Rändern, auf Ackerflächen oder grünen Wiesen. Auseinandersetzungen um solche Flächen sind zuletzt hitzig geführt worden. Die Opposition im Rathaus formulierte immer stärkere Kritik. „München hilft geflüchteten Menschen, wo es kann, aber wir sind an einer Grenze angelangt“, sagte die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion, Alexandra Gaßmann, bereits im vergangenen Sommer.
Anfang der Woche forderte die CSU/Freie-Wähler-Fraktion im Stadtrat nun in einem Antrag: Die Verteilungsquote von Geflüchteten für München muss reduziert werden. Der Grund: Wohnraummangel.
Denn neben knappen Freiflächen gibt es kaum bezahlbare Wohnungen in der Stadt, und die sich zuspitzende Krise im sozialen Wohnungsbau verschärft die Not weiter. Mehr als 25 700 Haushalte warten laut Sozialreferat in München aktuell auf eine Sozialwohnung, der Neubau aber geht nur schleppend voran. Gleichzeitig kürzt der Freistaat die nötigen Fördermittel. Das Sozialreferat rechnet damit, in diesem Jahr insgesamt nur 3500 Wohnungen vergeben zu können.
Die CSU/FW-Fraktion verweist auf die sogenannte Asyldurchführungsverordnung des Freistaats, in der klar geregelt ist, welcher Kommune wie viele Flüchtlinge zugewiesen werden. Verteilt wird nach dem Königsteiner Schlüssel, auf Oberbayern entfallen 35,6 Prozent, davon 31,6 Prozent auf München. Diese Zahl soll reduziert werden. In der Verordnung steht der passende Passus sogar: Von der jeweiligen Quote könne abgewichen werden, wenn „angemessener Wohnraum nicht zur Verfügung steht oder eine angespannte Arbeitsmarktsituation vorliegt und dadurch jeweils die Integration erschwert wird“.
„Es ist nirgendwo so eng und so teuer wie bei uns“, sagt der Fraktionsvorsitzende Manuel Pretzl. Die Stadt habe keine Möglichkeit mehr, die Flüchtlinge unterzubringen, besonders diejenigen, die anerkannt wurden. Tatsächlich bleiben diese sogenannten Fehlbeleger teilweise über Jahre weiter in den Unterkünften, weil sie keine geeignete Wohnung in der Stadt finden. „Der knappe Wohnraum ist ein Problem, das in München besonders belastend für den gesellschaftlichen Frieden ist“, sagt Pretzl. Unter solchen Bedingungen könne keine vernünftige Integration mehr stattfinden.
Das bayerische Innenministerium sieht keinen Grund zu handeln
Auch der Oberbürgermeister und seine Verwaltung sehen Handlungsbedarf. Reiter plädiert für „eine bessere Verteilung innerhalb Deutschlands“. Dabei solle stärker darauf geachtet werden, wo genügend Wohnraum vorhanden ist. So könnten die Menschen gut integriert werden. Und auch das Sozialreferat stellt klar: Für Geflüchtete sei es zunehmend schwierig, in Ballungsräumen wie München dauerhaft Fuß zu fassen und eine gute Perspektive zu finden, da es an Wohnungen, Kitaplätzen und Platz in den Bildungseinrichtungen fehle.
Die Stadt habe den Freistaat mehrfach auf die Ausnahmeregelung in der Verordnung hingewiesen, sagt eine Sprecherin des Sozialreferats. Bisher offenbar erfolglos. Das bayerische Innenministerium sieht keinen Grund zu handeln. Die Asyldurchführungsverordnung sei „Grundlage einer gerechten Lastenverteilung in Bayern“, heißt es von einer Sprecherin. Die Regelung für die Quotenabweichung sei bloß eine „temporäre Reaktionsmöglichkeit“ und entbinde die Kommune nicht davon, die Voraussetzungen zur Aufnahme zu schaffen. Die Sprecherin verweist auf Immobilien in Gewerbegebieten, ehemalige Bürogebäude oder Containeranlagen.

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Es ergebe„keinen großen Sinn, Tausende Geflüchtete in Großstädte zu verteilen, in denen es sowieso schon keine Wohnungen gibt“, sagt allerdings auch die SPD-Fraktionsvorsitzende im Rathaus, Anne Hübner. Die Frage des zur Verfügung stehenden Wohnraums müsse bei der Zuteilung eine deutlich stärkere Rolle spielen als bisher. Bund und Freistaat sollten bei der Verteilung „sinnvoll umsteuern“, fordert auch sie. Im Gegenzug sollten strukturschwache Gemeinden gut bei der Aufnahme und Integration unterstützt werden.
„Die Frage nach bezahlbaren Mieten ist die wichtigste in unserer Stadt“, stimmt zwar auch Sibylle Stöhr, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen/Rosa Liste, zu. Den Vorschlag, aufgrund der Wohnungsnot die Flüchtlingsquote zu reduzieren, lehnt ihre Fraktion trotzdem klar ab. Dies sei „gesellschaftlich und moralisch höchst problematisch“, sagt Clara Nitsche, die sozialpolitische Sprecherin. Das Argument der Wohnungsnot sei „nur vorgeschoben“. München sei infrastrukturell gut ausgestattet und trage eine besondere Verantwortung gegenüber Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Elend fliehen. „Es ist völlig kurzsichtig, die Verantwortung, so wie es die CSU tut, einfach auf andere Kommunen abschieben zu wollen – die CSU lässt ja auch völlig offen, wo die Menschen dann hinsollen.“
Wenn es nach OB Reiter ginge, sollten die Geflüchteten am besten in den Ländern bleiben, in denen Sie zuerst europäischen Boden betreten haben. In Deutschland möchte er ihnen die Möglichkeit geben, „anständig“ anzukommen: „Das bedeutet: Geflüchteten von Anfang an die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten, deutlich mehr Geld für Integrationskurse und eine gezielte Förderung im schulischen Bereich.“