Münchner Verwaltung:Bedürftige warten zwölf Monate aufs Wohngeld

Münchner Verwaltung: Wer einen Zuschuss zur Miete beantragt, muss in München lange warten (Symbolbild).

Wer einen Zuschuss zur Miete beantragt, muss in München lange warten (Symbolbild).

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Komplizierte Bürokratie und fehlendes Personal: Im Sozialreferat stapeln sich seit Beginn der Pandemie immer mehr Anträge Not leidender Bürger auf Mietzuschuss. "Das ist der Wahnsinn", sagt der Chef des Wohnungsamtes.

Von Bernd Kastner

Petra W. sagt, dass sie vergangenes Jahr eine Rentenerhöhung bekommen habe. Deshalb sei sie aus der Grundsicherung herausgefallen, der staatlichen Unterstützung für Menschen mit geringer Rente. Im Sozialbürgerhaus habe man ihr geraten, Wohngeld zu beantragen, fortan habe sie um die 50 Euro Mietzuschuss bekommen. Nicht viel, aber eine gewisse Sicherheit, sagt W. Sie ist 54 und seit gut zehn Jahren aus gesundheitlichen Gründen in Frührente. Im Sommer sei das Wohngeld ausgelaufen, sie musste einen Folgeantrag stellen. Wie lang das dann dauere, fragte W. beim Amt. Die Antwort: Das könne lange dauern.

Derzeit muss man rund ein Jahr lang warten, ehe man Bescheid von der Stadt bekommt. Dann erst wissen Antragstellende, ob sie überhaupt Wohngeld erhalten. Die meisten bekommen eine Absage, sie haben umsonst gewartet. Das Sozialreferat führt die lange Wartezeit auf zwei Ursachen zurück: hoher bürokratischer Aufwand und zu wenig Personal. "Das ist der Wahnsinn", kommentiert der Chef des Wohnungsamtes, Gerhard Mayer, die Wartezeit.

Hier ist die Engstelle: Zu wenige Mitarbeiter für zu viele Anträge

Wohngeld erhalten Menschen mit geringem Einkommen als Zuschuss zur Miete, sofern sie nicht etwa Hartz IV erhalten, weil das die Wohnkosten bereits einschließt. Derzeit sind es laut Sozialreferat rund 157 Euro, die Berechtigte in München durchschnittlich erhalten. Das Geld kommt je zur Hälfte von Bund und Freistaat, die Stadt finanziert das Personal, das die Anträge bearbeitet. Und hier ist die Engstelle: Zu wenige Mitarbeiter für zu viele Anträge. Gingen früher pro Jahr zwischen 9000 und 11 500 Anträge ein, stieg ihre Zahl im ersten Corona-Jahr auf gut 16 000 - ein Plus von 82 Prozent. Heuer gingen bis Ende Oktober 12 000 Anträge ein, ein leichter Rückgang zum Vorjahr.

Auf Anfrage der SZ kritisiert das Sozialreferat, dass die Appelle an die Bundesregierung, das Antragsprozedere zu vereinfachen, kaum erhört worden seien. Vor allem die Kurzarbeit in der Corona-Krise und der deshalb variierende Verdienst mache alles noch komplizierter. Zwar habe das Sozialreferat schon vor Pandemiebeginn zusätzliches Personal bekommen. Doch das Einlernen binde Kapazitäten, unter neuen wie eingearbeiteten Kollegen.

Von den gut 16 000 Haushalten, die vergangenes Jahr einen Antrag stellten, hatten nur rund ein Viertel Erfolg

Ehe ein neu eingegangener Antrag angefasst werde, dauere es elf bis zwölf Monate. Oben drauf kämen sechs bis acht Wochen fürs Bearbeiten. Weil die Bürger so viele Unterlagen einreichen müssten, seien oft zwei, drei Nachfragen nötig. "Einfache Fälle sind sehr selten, hauptsächlich liegen schwierige und aufwändige Fallkonstellationen vor", teilte das Sozialreferat im Sommer dem Stadtrat mit.

So langwierig das Prozedere, so überschaubar ist, was herauskommt. Von den gut 16 000 Haushalten, die vergangenes Jahr einen Antrag stellten, hatten nur rund ein Viertel Erfolg. Diese gut 4000 machen nur rund 0,5 Prozent aller Haushalte in München aus, Tendenz sogar leicht sinkend. Weil in München die Lebenshaltungskosten so hoch sind, will die Stadt, dass mehr Menschen Wohngeld erhalten. Zielmarke ist ein Prozent der Haushalte, also doppelt so viele wie heute. Außerdem sollten Bund und Freistaat die Regeln so ändern, dass sich Anträge schneller bearbeiten ließen. Derzeit stünden Aufwand und Nutzen "in keinem Verhältnis", stellte das Sozialreferat im Juli fest. Damals betrug die Wartezeit auf den Bescheid rund acht Monate. Einige Münchner müssen derzeit den Folgeantrag schon stellen, noch ehe sie den vorherigen Bescheid haben. Immerhin, das Geld wird rückwirkend ausgezahlt.

Viel Hoffnung auf eine geförderte Wohnung sollte sich aber niemand machen

Nicht viel besser sieht es bei Anträgen auf Sozialwohnungen aus: Sieben bis acht Monate wartete man auf Antwort, "Tendenz sinkend", so das Referat. Seit Juli gilt ein positiver Bescheid nicht mehr nur ein Jahr lang, sondern zwei Jahre. Das Referat rechnet heuer mit knapp 33 000 Anträgen. Viel Hoffnung auf eine geförderte Wohnung sollte sich aber niemand machen: Es werden auch dieses Jahr nur 3000 bis 4000 Wohnungen vergeben. In den vergangenen Jahren sperrte das Wohnungsamt immer wieder tage- oder wochenweise für den Publikumsverkehr zu, um liegen gebliebene Anträge abzuarbeiten.

Petra W. will nicht zu sehr schimpfen. Sie sagt, dass bisher immer alles "hervorragend funktioniert" habe mit den Ämtern, und die Leute dort seien sehr nett. Im Herbst aber wurde ihr angst und bange, als noch immer kein Wohngeld kam. Sie wandte sich an den Oberbürgermeister. "Das darf doch nicht wahr sein!", schrieb sie Dieter Reiter. Was, wenn sie eine Mieterhöhung bekomme und die Miete nicht mehr zahlen könne? Sie habe Angst vor Obdachlosigkeit. Drei Wochen später antwortete ihr das Wohnungsamt. Im Brief finden sich Stichworte wie Antragsmengen und "Zuschaltung von Personal". Die Chefin der Abteilung Soziale Wohnraumversorgung versucht, Petra W. mit einem langen Satz zu beruhigen: "Durch die Möglichkeit der Mitteilung von Änderung oder finanziellen Problemen an uns, ist die Prüfung der Dringlichkeit und die vorgezogene Bearbeitung sichergestellt und die von Ihnen angesprochene Situation der Obdachlosigkeit tritt nicht ein." Es folgt eine Art Entschuldigung: "Die entstandenen Unannehmlichkeiten bedauern wir sehr."

Ein paar Zeilen zuvor wird W. erklärt, dass Anträge "gerechterweise" nach dem Eingangsdatum bearbeitet würden, aber: "Aufgrund Ihrer Anfrage wurde Ihr Antrag vorgezogen". Bedeutet das, das sich Bürger beim OB beschweren müssen, und schon geht es schneller? Nein, heißt es aus dem Sozialreferat. Vielmehr werde jede Beschwerde, egal, auf welchem Weg sie eingehe, darauf geprüft, ob ein Härtefall vorliege, etwa Zahlungsschwierigkeiten bei der Miete oder fehlendes Geld fürs Kita-Essen. "Sollte die Notlage tatsächlich bestehen, wird der Fall vorgezogen, um Nachteile zu vermeiden." Man wolle nun die Standard-Formulierung in den Antwortbriefen ändern. "Um nicht den Anschein zu erwecken, Anfragen an bestimmte Personengruppen würden zu einer Beschleunigung führen."

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