Wohnprojekt in Haidhausen:Mehr als nur ein Haus

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Die Baulücke an der Metzgerstraße klafft schon seit den Siebzigerjahren. Teilnehmer des geplanten Wohnprojekts treffen sich dort für eine Besichtigung. (Foto: Florian Peljak)

Mitten in Haidhausen entsteht auf einem winzigen Grundstück etwas Ambitioniertes: Im Projekt "Metzgerstraße" werden Menschen zusammenleben, die auf dem normalen Mietmarkt kaum eine Chance haben.

Von Lea Kramer

In München trifft die Wohnungsnot immer häufiger auch jene, die es sich eigentlich leisten könnten. Der Druck auf die verbliebenen Immobilien steigt. Geflüchtete, Wohnungslose, Arme, Alleinerziehende, Kranke: Sie alle haben kaum Chancen auf dem regulären Markt, eine Bleibe zu finden. Ein neuartiges Wohnprojekt in Haidhausen will das nun ändern - und zugleich eine unliebsame, alte Baulücke schließen.

Die Sonne ist schon untergegangen. Eigentlich ist es zu dunkel, um einen guten Ausblick zu gewährleisten. Allerdings - was kann man an der Metzgerstraße 5a in Haidhausen schon Spektakuläres betrachten? Ein hoher Holzzaun steht da, dahinter ein staubiger Kiesplatz mit Baum und Sträuchern. Gartengerätschaften, Bierbänke, Spielzeug. Es ist einer dieser tristen Münchner Hinterhöfe, die von den Anwohnern gerade wegen ihrer Schmucklosigkeit gemocht werden.

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Mit der Hinterhof-Tristesse soll es aber bald vorbei sein: Die Brache an der Metzgerstraße soll mit einem neuen Mietshaus bebaut werden. Bis 2024 wollen die Genossenschaft "Kooperative Großstadt" und der gemeinnützige Verein "Gemeinwohlwohnen" ein selbstverwaltetes, inklusives Wohnprojekt namens "Solidarisches Wohnen Metzgerstraße" auf dem Gelände verwirklichen. Insgesamt wird das fünfstöckige Wohnhaus 730 Quadratmeter Geschossfläche haben.

Die Kooperative Großstadt hat den Zuschlag von der Stadt für das 168 Quadratmeter große Grundstück unweit des Johannisplatzes im Jahr 2020 erhalten. Es ist eine der wenigen kleinen innerstädtischen Flächen, die als genossenschaftliches Bauland von der Stadt zugelassen worden sind. Die Genossenschaft tritt in dem Projekt als Bauherrin auf. Der Verein Gemeinwohlwohnen wird das Gebäude als Hausverein mieten. Die Mieter erhalten jeweils eigene Mietverträge.

Ein zukünftiger "Bewohni": Samuel Flach. (Foto: Florian Peljak)

An der Metzgerstraße nennen sich die neun Menschen, die sich bislang für das Projekt zusammengefunden haben - später sollen es 16 sein - schlicht: "Bewohnis". Unter ihnen sind Menschen mit Behinderung, Geflüchtete aus Somalia und Uganda, Alleinerziehende und Kulturschaffende, die dort in Wohngemeinschaften leben und sich im Alltag gegenseitig unterstützen wollen. Das könne von der Übersetzungshilfe beim Behördengang über den Wocheneinkauf für die Mitbewohnerin bis hin zur Hilfe beim Schlafenlegen alles sein, was den Alltag erleichtert. Ziel ist es, dort basisdemokratisch zusammenzuleben.

"Nicht jeder will, dass ihm sein Mitbewohner beim Duschen hilft und umgekehrt. Das ist in Ordnung, aber es gibt schon die Erwartung, dass die Leute sich mit ihren Fähigkeiten in der Hausgemeinschaft einbringen", erklärt Samuel Flach. Er organisiert die Öffentlichkeitsarbeit für den Verein, hat langjährige Erfahrung mit inklusiven Wohnkonzepten und wird selbst ein Zimmer beziehen. Im Studium gründete er seine erste Wohngemeinschaft, in der er gemeinsam mit Kommilitoninnen lebte, die ihn - der querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt - beim selbstbestimmten Leben unterstützten. Heute wohnt er in einer Cluster-Wohnung einer anderen Genossenschaft.

Flach weiß daher, worauf er sich einlässt und welche Barrieren es zu überwinden gilt. In der Planungsphase war er aktiv dabei. Genau wie das Wohnprojekt selbst, so ist auch die Planung des Neubaus innovativ. Sie wird vom Lehrstuhl für Wohnbau und Grundlagen des Entwerfens an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen wissenschaftlich begleitet und ist auch vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gefördert worden. Zu Beginn des Jahres hatten Architektinnen, Landschaftsplaner und Bauexperten Ideen einreichen können. Im Kollektiv ist dann entschieden worden, was umgesetzt wird. Dabei haben sowohl Planer als auch die künftigen Nutzerinnen und Nutzer eine Stimme. "Für Architekten gibt es in einem rollstuhlgerechten Haus erst einmal Normen", erklärt Flach. "Ich konnte ihnen erklären, dass es da nicht bloß um eine Türbreite geht, sondern wie Fensterhöhe, Aufzüge oder Böden zusammenspielen."

Das Haus wird eine Lücke in der Fassadenreihe der Metzgerstraße schließen, die bereits seit den Siebzigerjahren klafft. Im Erdgeschoss soll ein Gemeinschafts- und Veranstaltungsraum entstehen, "so wirkt das Projekt ins Viertel und fördert den Austausch innerhalb und außerhalb des Hauses", sagt Flach. Zwar werde der Neubau nicht Münchens erstes inklusives Genossenschaftsprojekt sein, allerdings sind solidarische Wohnformen noch immer die Ausnahme. "Wir wollen beweisen und vorleben, dass Inklusion wirklich möglich ist."

Der triste Hof, in dem an vielen Ecken Grün emporgewachsen ist, wird erhalten bleiben. Mittlerweile steht dort ein neuer Holzpavillon, Lichterketten hängen von einem Ende zum anderen. Feste werden dort gefeiert. Und so gibt das Projekt schon jetzt ein wenig seiner Strahlkraft ab.

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