Genossenschaft Raumfair:Neue Wohnung für die, die bei anderen Vermietern chancenlos sind

Genossenschaft Raumfair

Eine "Perle Freihams" sei das Genossenschafts-Projekt, bei dem nun Richtfest gefeiert wurde.

(Foto: Catherina Hess)

Ein Bauprojekt am westlichen Stadtrand will etwas Besonders schaffen: Dort sollen nicht nur Menschen mit niedrigem Einkommen einziehen - sondern auch Obdachlose.

Von Ellen Draxel

Die Sonne wärmt das Gesicht von Planern, Handwerkern und künftigen Bewohnern, als Zimmermannsleute an einem Novembernachmittag an der Christel-Sembach-Krone-Straße den Richtspruch sprechen und Glas als Glücksbringer auf dem Boden zerschmettern. Ein Procedere wie bei jedem Richtfest - und doch spricht Markus Zorzi (CSU) vom Bayerischen Sozialministerium wenige Minuten später von einer "Perle Freihams", die mit diesem Bau entstehen werde. "Große Bauprojekte gibt es in München zuhauf", sagt der Ministerialdirigent. "Aber das hier ist wirklich etwas Besonderes. Das ist gelebte Integration."

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Scherben sollen Glück bringen, deswegen wird beim Richtfest Glas zerschmettert.

(Foto: Catherina Hess)

"Z'am in Freiham" nennt die Genossenschaft Raumfair ihr erstes Projekt in München. Weil mit dem sechsstöckigen Gebäude in Z-Form ausschließlich geförderte Wohnungen entstehen - 61 an der Zahl - stuft das Ministerium das Projekt als Sozialgenossenschaft ein und bezuschusst es mit 30 000 Euro. Alleinerziehende werden in dieses Haus einziehen, auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Und, das ist neu, Wohnungslose.

"In München liegen ja immer mal wieder Menschen in Schlafsäcken auf Pappkartons in Hauseingängen", sagt Michael Kroll. "Ganz schrecklich" finde er das. Der Mann ist Vorstand bei der aus Regensburg stammenden Genossenschaft, für ihn ist Bauen in erster Linie eine soziale Angelegenheit. Wie, fragt er sich, kann es sein, dass Leute in unserer Überflussgesellschaft so leben müssen?

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Michael Kroll ist Vorstand bei der Genossenschaft Raumfair.

(Foto: Catherina Hess)

Als Kroll per Zufall an einer Anlaufstelle für Wohnungslose am Rosenheimer Platz vorbei kam, entschied er sich deshalb, zu handeln. "Unser Motto bei Raumfair ist ja Teilhabe", erklärt der gelernte Zimmermann und Architekt. Warum also nicht auch Menschen helfen, die wegen dieses "Wahnsinnswohnungsmarktes" auf der Straße stehen? Denn dass das Schicksal Wohnungslosigkeit heutzutage praktisch jeden ereilen kann, weiß Kroll. "Ich kenne Leute, die von heute auf morgen aus befristet vermieteten Wohnungen geworfen wurden - sozial etablierte Menschen." Mehr als 8100 Münchner, so die Statistik, waren im September wohnungslos - Menschen in Langzeit- und Übergangseinrichtungen sowie rund 350 Obdachlose, die ab und zu in der Nacht Schutzräume aufsuchen, noch gar nicht eingerechnet.

Raumfair kooperiert mit dem Internationalen Bund (IB), einem Träger der Wohnungslosenhilfe Bayern. Der Verband kümmert sich um rund 150 Münchner Haushalte, darunter Familien mit Fluchthintergrund und Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. "Wenn sich diese Menschen bei Vermietern melden, haben sie schlechte Karten", sagt IB-Sprecherin Stephanie Witzlinger. "Sie kommen bei der großen Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum oder Sozialwohnungen einfach zu kurz."

Raumfair

So soll das Gebäude einmal aussehen, wenn es fertig ist.

(Foto: Zwischenräume Architekten + Stadtplaner GmbH)

Fünf Wohnungen hat der Internationale Bund nun bei "Z'am in Freiham" für Wohnungslose reserviert, für Ein-, Zwei-, Drei- und Acht-Personen-Haushalte. Ein Pilotprojekt auch für den sozialen Träger. "Die 250 Euro Reservierungsgebühr pro Wohnung haben wir bezahlt, ansonsten ist es unser Job, passende Bewohner mit korrektem Sozialverhalten und Gemeinschaftssinn zu suchen und die Menschen anschließend beim Einleben an die Hand zu nehmen", erklärt Witzingers Kollegin Heike Stockinger.

"Wir helfen bei Themen wie Schule, Kindergarten, Pflege oder Existenzsicherung. Wir unterstützen bei Formularen und Behördengängen. Und wir versuchen, die Emotionen in Bahnen zu lenken, die sicher aufbrechen werden", ergänzt die Bereichsleiterin.

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Heike Stockinger vom "Internationalen Bund" will "passende Bewohner" finden und ihnen bei der Eingewöhnung helfen.

(Foto: Catherina Hess)

Bei Genossenschaften muss, das ist das Prinzip, abgestuft nach Förderkategorien jeder Bewohner einen Eigenanteil leisten. In diesem Fall sind es 750 Euro pro Quadratmeter Wohnraum, die die Stadt übernimmt, weil es sich um einkommensorientiert geförderte Wohnungen handelt, sogenannte EOF-Wohnungen. Dazu kommen noch Einlagen für die Tiefgarage, für Gemeinschaftsräume und die Kosten für das "Nutzungsentgelt", wie die laufende Miete im Genossenschaftsjargon heißt.

Bei wohnungslosen Menschen, die Leistungen aus dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II), also Hartz IV, beziehen und über kein Eigenkapital verfügen, übernimmt das Jobcenter Teile der Kosten. Auf die Bewohner kommen dank der städtischen Unterstützung dann nur noch die Mietzahlungen in Höhe von knapp sechs Euro pro Quadratmeter zu.

"Aber wir wollen ja auch kein Ghetto schaffen."

Etwas komplizierter wird es, wenn jemand ein eigenes Einkommen hat. "All das müssen wir erst einmal eintüten", sagt die Sozialpädagogin Stockinger. Trotzdem - das Projekt sei "einfach eine Riesenchance" für die Menschen. Fünf Wohnungen, ergänzt Raumfair-Vorstand Michael Kroll, seien vielleicht nicht viel. "Aber wir wollen ja auch kein Ghetto schaffen."

Im Haus sind die Wohnungen über das gesamte Gebäude verteilt, sie kosten alle dasselbe, und die Ausstattung ist auch überall gleich. Die erworbenen Anteile bleiben im Eigentum des Trägers.

Eine ähnliche Kooperation wie die zwischen Raumfair und dem Internationalen Bund besteht auch zwischen der Genossenschaft Wogeno und dem Katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit "In Via". Allerdings geht es dabei nicht um Wohnungslose, sondern um Migranten.

Beim Projekt "Zuhause ankommen" sollen Migranten eine Wohnung finden

Wie der Internationale Bund, so will auch "In Via" die vermittelten Bewohner unterstützen. Geld für dieses Projekt kommt von der Erzdiözese München und Freising, die Kirche bezuschusst das Modell "Zuhause ankommen" mit rund 58 000 Euro. Die Summe fließt unter anderem in den Erwerb genossenschaftlicher Anteile.

"Migranten haben bei der Wohnungsvergabe bei manchem Vermieter von vornherein keine Chance", begründet Generalvikar Christoph Klingan das Engagement. "Wenn die Leute ihren Namen am Telefon sagen, ist es meist schon vorbei", bestätigt Francesca Hannen. Die Ordensschwester begleitet die Menschen als Sozialpädagogin und weiß aus Erfahrung, dass Kontakt zu Deutschen für Geflüchtete und Menschen aus einem anderen Kulturkreis oftmals schwierig ist.

"Ein Schlüssel der Inklusion und ein Beitrag zum Weltfrieden."

In einer Genossenschaft aber wohnt man Tür an Tür, trifft sich bei Aktionen oder im Gemeinschaftsraum, begegnet einander auf Augenhöhe. Und dieses Gefühl der Zugehörigkeit "ist ein Schlüssel der Inklusion und ein Beitrag zum Weltfrieden", sagt die Dominikanerin.

Zwei Wohnungen haben Migranten bei der Wogeno in einem Bauprojekt im Prinz-Eugen-Park schon bezogen, zwei weitere sollen in Freiham dazu kommen. "Das Ganze ist erst im Anlaufen, wir freuen uns aber über Nachahmer", sagt Wogeno-Vorstand Thomas Kremer. Die Idee ist, auch auf andere Genossenschaften zuzugehen.

Raumfair jedenfalls will im Neubaugebiet an der Henschelstraße in Lochhausen und im Kreativquartier an der Dachauer Straße die Kooperation mit dem Internationalen Bund fortführen. Das Vorhaben in Lochhausen ist bereits in Planung, der Zuschlag für das Kreativquartier steht noch aus.

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:"Wir sind nicht Hochglanz"

Die Baugenossenschaft München von 1871 ist die älteste dieser Art in Deutschland. Bis heute, sagen sie, geht es bei ihnen um Solidarität. Und um 942 Wohnungen, Durchschnittsmiete: Sechs Euro pro Quadratmeter.

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