Süddeutsche Zeitung

Soziales Wohnen:"Man kann immer klagen, oder man tut selber was"

Wer in einem sozialen Beruf arbeitet, verdient oft wenig. Wie sollen Menschen da in München eine Wohnung finden? Sieben gemeinnützige Unternehmen gründen nun deshalb eine Baugenossenschaft.

Von Bernd Kastner

Ein Wohnbauunternehmen will ein Haus mit 60 Wohnungen errichten. Und das soll etwas Besonderes sein? Was soll ein Wohnbauunternehmen auch sonst tun? Dass diese geplanten 60 Wohnungen etwas ganz Außergewöhnliches werden könnten, liegt daran, wer da wie bauen will. Es sind gemeinnützige Münchner Unternehmen aus der Wohlfahrtspflege und sozialen Arbeit. Sieben Firmen und Verbände haben sich zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen und wollen Mietwohnungen bauen, die vergleichsweise günstig sind und - vor allem - für ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gedacht sind. Es sind Werkswohnungen, ohne dass sie so genannt werden.

Wohnbaugenossenschaft der Wohlfahrtspflege München, kurz: WWM, heißt diese gerade gegründete Genossenschaft. Sie hat bisher sieben Mitglieder, also Genossen: Arbeiter-Samariter-Bund München/Oberbayern, Katholischer Männerfürsorgeverein München, Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern, Frauenhilfe München, Gemeinnützige Paritätische Kindertagesbetreuung Südbayern, Sozialpsychiatrisches Zentrum München und Regenbogen Wohnen.

Pflegerinnen und Erzieherinnen sollen dort einziehen - allerdings nur für eine Übergangszeit

Vor zwei Jahren, erzählt Peter Pinck, einer der beiden WWM-Vorstände, sei die Idee entstanden, ausgehend von einer Misere, die immer größer werde: Wie sollen Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten, als Pflegerinnen oder Pflegehelfer, als Kinderpflegerinnen oder Erzieher, wie sollen die mit ihrem Einkommen in München eine Wohnung finden? Und, daran anschließend: Wie sollen die sozialen Unternehmen, die Hilfe für Obdachlose oder Kranke bieten, neue Leute finden, wenn diese Mitarbeiter nichts zu wohnen haben? Wer nach München zieht, muss einen neuen Mietvertrag abschließen, die aktuellen Preise reichen immer öfter in den Bereich von 20 Euro pro Quadratmeter.

"Was machen wir?" hätten sie sich gefragt, erzählt Pinck. "Man kann immer klagen, oder man tut selber was." Die Mittelständler aus dem Sozialsektor tun jetzt das, worum die Stadt seit Jahren die ganz großen Konzerne bittet: Baut selbst Wohnungen für eure Leute. Erwartet nicht, dass die Stadt und damit die Allgemeinheit den Wohnungsbau weitgehend allein stemmt. Flehentlich fast klingt die Stadtspitze, sei es Oberbürgermeister Dieter Reiter oder Sozialreferentin Dorothee Schiwy, bei ihrem Appell, denn die Stadt hat kein Druckmittel in der Hand, um die weltweit agierenden Player zum Bauen zu zwingen. Die Resonanz auf ihre Bitten ist bisher kaum spürbar.

So könnte das Vorhaben der neuen Genossenschaft ein Leuchtturmprojekt werden in München. Im kommenden Jahr will sich die Genossenschaft um ein städtisches Grundstück in Erbpacht bewerben, auf dem Areal der Bayernkaserne in Freimann oder in Freiham, ganz im Westen. Wenn alles klappt, sagt Stefanie Hach, wie Pinck im Vorstand der WWM, könnte man 2022 zu bauen beginnen und 2023 einziehen. Die WWM kalkuliert mit Baukosten in Höhe von 8,5 Millionen Euro.

Die 60 Wohnungen sollen ein bis vier Zimmer haben und 30 bis 75 Quadratmeter groß sein. Offizielle Mieter werden die jeweiligen Genossenschaftsmitglieder, die ihre Wohnungen im Rahmen von Untervermietung an ihre Mitarbeiter weitergeben. Denen sollen sie für eine Übergangszeit dienen, für zwei, drei Jahre, keinesfalls bis zur Rente. Sonst wären die 60 Wohnungen ja sofort wieder weg vom Markt, dabei sollen auch in ein paar Jahren neue Mitarbeiter davon profitieren. Je nachdem, wie stark sich die einzelnen Sozialunternehmen finanziell in die WWM einbringen, sollen sie Wohnkontingente erhalten. Die Mieten sollen laut Hach zwischen 10,50 und 13,50 Euro pro Quadratmeter liegen und für fünf Jahre festgeschrieben sein. So sehen es die Regeln der Stadt im Rahmen des Konzeptionellen Mietwohnungsbaus vor.

Bei den sieben Mitgliedern soll es in der WWM nicht bleiben, sagen Hach und Pinck. Man freue sich, wenn sich weitere soziale Unternehmen beteiligen. Je mehr Sozialfirmen und -verbände mitmachen, desto mehr Geld ist da, desto mehr günstige Wohnungen lassen sich bauen.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2020
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