Süddeutsche Zeitung

München:Abzocke mit dem Abbruchhaus

  • In einem Abbruchhaus in Obermenzing leben 32 Menschen ohne Heizung auf engstem Raum.
  • Die Bewohner zahlen bis zu 750 Euro Miete für ein Zimmer.
  • Nun hat der Vermieter den Familien gekündigt, der Zustand in dem Haus sei nicht tragbar.

Von Thomas Anlauf

Es ist eine gute Wohngegend. Schöne Häuser, ruhige Lage, kaum Autos. Kinderlachen ist zu hören. Auch in dem Haus, in das kürzlich neue Mieter eingezogen sind, leben Kinder. Die Eltern hatten gedacht, es wäre eine Chance für sie, in München ein gutes Zuhause zu finden. Doch in dem Haus in Obermenzing stimmt etwas ganz und gar nicht. 32 Menschen leben auf engstem Raum. Die Heizung funktioniert nicht, erst war der Brenner kaputt, jetzt gibt es kein Heizöl, es fließt nur kaltes Wasser aus dem Hahn, die Toilette in einem der drei Stockwerke geht nicht.

Die Müllabfuhr kam nicht, bis sich eine Nachbarin einschaltete. Strom bekommen einige Bewohner nur über abenteuerliche Eigenkonstruktionen. Im Keller, wo auch Familien leben, riecht es feucht, an den von ihnen frisch gestrichen Wänden quillt schon wieder Feuchtigkeit hervor. Paraskevi Daki-Fleischmann steht am Freitagnachmittag in einem kleinen Pulk aus Menschen vor dem Haus. Sie leitet die Migrationsberatung für Erwachsene und Familien bei der Inneren Mission und sagt: "Ich bin sprachlos. Das ist klar Mietwucher."

Dabei klingt es zunächst einigermaßen erschwinglich: Die einen Bewohner zahlen 750 Euro Miete, andere 600, 550 oder sogar 450 Euro. Doch das ist der Preis pro Zimmer, pro Familie. Zehn Menschen wohnen dort unten, Eltern mit ihren Kindern. Im Erdgeschoss das gleiche Bild: 15 Menschen verteilt auf wenige Zimmer, ein Raum pro Familie. Manche haben zwei Betten im Zimmer stehen, andere schlafen zu viert auf einer riesigen Luftmatratze, Mutter, Vater, Kinder.

Oben in dem alten Haus gibt es noch eine Wohnung, die teilen sich zwei Familien. Es ist ein Abbruchhaus, das im Sommer eine Münchner Firma samt Grundstück gekauft hat. Im kommenden Jahr soll das Haus weggerissen werden. Bis dahin sollte das Gebäude aber offenbar noch mal richtig Geld abwerfen.

Die Bewohner fühlen sich über den Tisch gezogen und betrogen. Sie waren davon ausgegangen, dass sie mehrere Jahre in dem Haus bleiben können. Die Menschen kennen sich, sie stammen aus Pasardschik, eine Stadt in Zentralbulgarien, in der viele Menschen, vor allem Roma, in bitterer Armut leben. Einige der Familienväter hatten sich schon vor zehn Jahren nach München aufgemacht, um von hier aus ihre Familien finanziell zu unterstützen.

Viele arbeiten am Bau, ein anderer bei BMW, ein dritter als Reinigungskraft bei der Bundeswehr, wieder einer in einem Münchner Hotel. Einer der Männer hatte auf dem Oktoberfest einen guten Job, doch nach der Wiesn wurde er nicht übernommen. Für diese Menschen ist die Zimmermiete plus der Vorauszahlungen fast unerschwinglich, aber so können sie wenigstens mit ihren Familien zusammenleben - auf engstem Raum mit ihren Kindern, die zwischen drei und zehn Jahre alt sind.

Ein Mann aus dem Haus erzählt, dass sie vor Mietbeginn insgesamt 27 000 Euro an den Vermieter zahlen mussten, an einen Bekannten des neuen Eigentümers: zwei Monate Kaution und zwei Monate Vorausmiete. "Das kann ich Ihnen nicht bestätigen", sagt Vermieter Axel Hille auf SZ-Anfrage. Auch die von den Mietern angegebenen Zimmerpreise bezeichnet er als falsch. Es sei das komplette Haus vermietet worden - für 4200 Euro monatlich. Doch der SZ liegen die Mietverträge zum Teil vor, sämtliche Verträge konnten eingesehen werden.

Demnach gibt es Vereinbarungen zwischen der Pund Münster Bau GmbH & Co KG mit dem Vermieter Axel Hille und einzelnen Familien, die jeweils ein Zimmer bewohnen. Auf den Verträgen ist sogar vermerkt, wie viele Menschen pro Zimmer leben. Mitnutzung von Küche, Diele, Bad und WC sei erlaubt, die Quadratmeterzahl der Wohn- und Nutzfläche ist überhaupt nicht angegeben. Unterzeichnet ist einer der Verträge von beiden Seiten am 3. September, ein anderer am 1. September.

Doch nun, wenige Wochen später, will Hille die neuen Bewohner wieder loswerden. "Wir haben den ganzen Familien gekündigt", sagt der Vermieter. Denn der Zustand sei nicht tragbar. Eigentlich sei geplant gewesen, das Haus lediglich ein Jahr lang bis zum Abriss mit Bauarbeitern zu belegen. "Aber die haben ihre ganze Sippe mitgebracht." Es habe zudem Probleme mit Müll gegeben. Das bestätigen auch die Mieter. Denn der Eigentümer hatte sich offenbar nicht darum gekümmert, dass die Müllabfuhr den Abfall mitnimmt. Zudem renovierten die neuen Bewohner das Haus so gut es ging, zogen neue Böden ein, strichen die Wände.

Die Zimmer sind nun sehr sauber und aufgeräumt, obwohl ständig Kinder durchs Haus laufen und es in einigen Zimmern kaum Platz für Stauraum gibt. Das alte Inventar hatten die Mieter zunächst hinter dem Haus gelagert, doch vorvergangene Woche wurde der Müll schließlich mit einem Anhänger entsorgt.

Freitagnachmittag im Haus in Obermenzing: Die Bewohner zeigen die Mietverträge Paraskevi Daki-Fleischmann, sie und ihr Team aus zwei Pädagogen machen sich ein Bild von der Situation der Bewohner. "Sie sind nicht allein", sagt sie beruhigend den Männern und Frauen. Sie will veranlassen, dass die Verträge genau geprüft werden und dass die Mieter in die Migrationsberatung kommen. Dann müsse man weiter schauen. Beim ersten Durchsehen der Papiere hat sie bereits festgestellt, dass in den Verträgen nichts von befristeten Verträgen steht. "Wenn das nicht drinsteht, dann ist der Vertrag theoretisch unbefristet", sagt die Migrationsexpertin.

Für die Bewohner wäre das eine beruhigende Nachricht. Schließlich haben sie ihr ganzes Erspartes in das Haus gesteckt, die Kinder gehen in der Nähe zur Schule, die Familien könnten durchatmen - wenn da nicht die Enge wäre und der kommende Winter. "Wir können unsere Kinder nicht richtig waschen", klagt eine Mutter. Ein Vater, der gerade von der Baustelle kommt, sagt, "ich bin schmutzig, ich muss duschen - aber ohne warmes Wasser?"

"Wir wollten denen ja was Gutes tun"

Mittlerweile hat sich auch das Sozialreferat eingeschaltet. Man wolle "unverzüglich eine Begehung gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Bezirkssozialarbeit, des Brandschutzes und der Lokalbaukommission organisieren", teilt Referatssprecher Frank Boos mit. Am Freitagvormittag besichtigte bereits die Lokalbaukommission das Haus in Obermenzing, es soll in dieser Woche eine weitere Begehung geben. Auch die Feuerwehr will den Brandschutz in den kommenden Tagen überprüfen.

Unterdessen fordert Sozialreferentin Dorothee Schiwy die Politik im Freistaat auf, prekäre Wohnverhältnisse und Wuchermieten zu erschweren: "Gerade im Hinblick auf immer wieder bekannt werdende prekäre Wohnverhältnisse in der Landeshauptstadt, in denen die Notlage von Wohnungssuchenden von skrupellosen Vermietern ausgenützt wird, fehlt eine Rechtsgrundlage, mit der die Kommune menschenwürdige Wohnverhältnisse sicherstellen kann."

Deswegen fordere sie den bayerischen Gesetzgeber erneut auf, seine "ablehnende Haltung gegenüber einem Neuerlass eines Wohnungsaufsichtsgesetzes aufzugeben", so die Sozialreferentin. Die Stadt selbst hat seit vielen Jahren offensichtlich zu wenige Wohnungen, um noch auf solche Situationen reagieren zu können.

Vermieter Hille sagt der SZ auf Anfrage, dass er die Menschen in Obermenzing nicht auf der Straße stehen lassen wolle, nachdem sie ihre Zimmer erst mühsam renoviert haben. "Wir werden dafür sorgen, dass sie eine andere Unterkunft finden. Wir wollten denen ja was Gutes tun."

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019/amm
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