Süddeutsche Zeitung

Pilotprojekt:Selbst der Wochenmarkt wird digital

In diesen Zeiten ändert sich so einiges: Auf den Märkten am Rotkreuzplatz und St.-Anna-Platz kann man nun per Klick bestellen und sich die Ware per Elektroauto liefern lassen.

Von Laura Kaufmann

Ein Wochenmarkt an sich scheint erst einmal die ursprünglichste Art des Einkaufens überhaupt zu sein. Hingehen, das Angebot der Standlbesitzer begutachten, ein paar freundliche Worte wechseln. Mei, die Tomaten schauen aber gut aus, na, die Aprikosen san noch a bisserl zu hart. Noch dazu sind dort frische und biozertifizierte Waren von Erzeugern aus dem direkten Umland zu erstehen. Alles, wie man es sich wünscht also: regional und saisonal, gerade geerntet und gesund.

Die Kehrseite ist, dass zwar viele Menschen gerne so einkaufen würden, aber der Wochenmarkt-Termin bei ihnen im Viertel - unter der Woche tagsüber - für sie schlicht nicht machbar ist, weil sie berufstätig sind. Oder auch krank, oder gebrechlich. Und dann waren da die letzten Wochen, in denen die einen aus Sicherheitsgründen nicht mehr auf den Markt kommen konnten, während die anderen dank Kurzarbeit und Home-Office endlich entdeckt haben, was der Markt ums Eck alles zu bieten hat.

In den vergangenen Wochen ist wohl so deutlich wie nie geworden, welche Chancen die Digitalisierung bietet. Jetzt kommt also auch die vielleicht analogste Form des Einkaufens, der Bummel über den Markt, ins Netz. Kristina Frank hat dazu in ihrer Position als "oberstes Marktweib", wie sie sagt, auf den Wochenmarkt am Rotkreuzplatz geladen, der zusammen mit dem Bauernmarkt am St.-Anna-Platz Teilnehmer am Pilotprojekt "Digitaler Wochenmarkt" ist. Entwickelt haben das Projekt Julian Weritz und Matthias Steinberger. Der 28-jährige und der 32-jährige Betriebswirt haben mit ihrem Konzept vergangenes Jahr den Innovationspreis der Stadt gewonnen.

Der digitale Markt funktioniert so: Auf der Online-Plattform muenchner-wochenmarkt.de kann sich der Käufer die gewünschten Artikel in den Warenkorb schieben; hier ein Bund Mangold, da ein Kilogramm Kartoffeln. Bis Dienstagnacht muss die Bestellung aufgegeben sein. Am Donnerstag, dem Markttag, wird dann für den Besteller auf dem Markt eingekauft und per Elektroauto oder -radl vor seine Haustür geliefert. Die Liefergebühr beträgt 2,95 Euro, ab 50 Euro Bestellwert entfällt sie.

Was für den Kunden einfach klingt, war für Weritz und Steinberger monatelange Arbeit: Sie mussten kompetente Partner gewinnen und die Händler überzeugen. "Bevor wir losgelegt haben, haben wir unsere Idee den Händlern auf dem Rotkreuzplatz vorgestellt", sagt Weritz. Um deren Ware ging es schließlich.

Die Idee kam an. Nicht bei allen zündete sie sofort. Aber elf Händler sind nun zum Start online, mit vier weiteren arbeiten Weritz und Steinberger gerade an der Digitalisierung. Sie helfen, die Waren zu fotografieren und den Onlineshop zu aktualisieren, zumindest am Anfang.

Dann müssen sich die Händler selbst kümmern. "Wenn man mit der Natur arbeitet, ist es einfach anders", sagt Irmi Schacherbauer, vor deren demeterzertifizierten Obst- und Gemüsestand sich eine maskierte Schlange reiht. "Vorgestern ist uns ein ganzes Feld voller Wildkräuter von Schnecken gefressen worden. Dafür haben wir gerade wunderschöne Tomaten und Feigen." Online muss sie ihr Angebot dann aktualisieren - noch sei das für sie "learning by doing". Wie sie das am besten hinbekommt, müsse sie noch herausfinden. Aber für die Möglichkeit ist sie sehr dankbar.

Ihr Kollege Sebastian Brandl vom Naturlandhof Brandl sieht das genauso. "Wir haben umgestellt auf Bio, da haben unsere Politiker noch gar nicht gewusst, was das ist", sagt er, Anfang der 80er-Jahre war das. Imker ist er von Kindesbeinen an, seinen Honig verkauft er auf den Wochenmärkten, und was auf dem Naturlandhof Brandl bei Erding sonst alles produziert wird. Regelmäßig hat er auch Kindergartengruppen bei sich, weil es ihm ein Anliegen ist, den Menschen die Natur wieder näher zu bringen. Und wenn das jetzt online geht, dann eben so.

Drei Monate lang wird das Projekt nun mit den teilnehmenden Händlern der beiden Märkte ausprobiert, dann wird nachjustiert. Mit einem Elektro-Transporter wird die Ware von den Märkten eingesammelt und in das Verteillager gebracht; von dort aus wird es den Münchnern mit hochwertigen Elektrofahrrädern mit Anhänger oder auch mit dem Elektroauto vor die Tür geliefert. Wenn das Projekt gut ankommt, lässt es sich theoretisch auf alle Märkte ausweiten.

Natürlich hätten Weritz und Steinberger das Projekt am liebsten schon vor der Corona-Krise fertig gehabt, aber die Stadt München ist eben nicht wie ein Start-up organisiert, die Dinge brauchen ihre Zeit. Dafür haben in den vergangenen Wochen viele Menschen etwaige Hemmschwellen abgebaut, was das Einkaufen von Lebensmitteln im Internet angeht.

"Wir können uns auch vorstellen, dass viele Menschen trotzdem genau von dem Markt bei ihnen um die Ecke bestellen, und speziell bei den Händlern dort einkaufen", sagt Steinberger. Denn wenn die vergangenen Wochen eines gezeigt haben, dann, dass man auch online die Menschen in seiner Nachbarschaft unterstützen kann.

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SZ vom 19.06.2020/syn
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