Eckart Witzigmann:Als Deutschland in die erste Liga der Kochkunst aufstieg

Eckart Witzigmann, 1979

Für Eckart Witzigmann lief es in München nicht von Anfang an gut: Doch 1979 feierte er seinen großen Triumph als erster Drei-Sterne-Koch in Deutschland.

(Foto: dpa)
  • Vor genau 40 Jahren bekam das erste deutsche Restaurant drei Sterne im Gourmetführer Michelin verliehen: das Aubergine von Eckart Witzigmann.
  • Bald wurden weitere Restaurants in München ausgezeichnet, und so gelangte die Stadt Anfang der Achtzigerjahre endgültig an die Spitze der deutschen Gourmet-Szene.
  • Doch der Anfang war zäh, wie sich Witzigmann erinnert, denn die Münchner hatten für Spitzenküche anfangs nicht viel übrig.

Von Franz Kotteder

Hätte es den 19. November 1979 nicht gegeben, würden wir heute vermutlich alle etwas schlechter essen. Die Behauptung klingt gewagt, hat nichtsdestotrotz aber ihre Berechtigung. Denn an diesem Tag vor 40 Jahren bekam das erste deutsche Restaurant drei Sterne im Gourmetführer Michelin verliehen. Es handelte sich um das Aubergine von Eckart Witzigmann, der damals bereits ein berühmter Koch war.

Er hatte zuvor schon das Tantris zu einem der wichtigsten Restaurants Deutschlands gemacht und auf diese Weise gleich auch noch das sogenannte "Deutsche Küchenwunder" begründet, zusammen mit anderen Münchner Köchen wie Otto Koch vom Le Gourmet und Hans-Peter Wodarz von der Ente im Lehel. Schon als Tantris-Chef hatte er zwei Sterne, die Krönung kam dann aber erst in seinem eigenen Restaurant, dem Aubergine. Zwei Jahre später erhielt auch sein Nachfolger im Tantris, Heinz Winkler, drei Sterne. Damit war München Anfang der Achtzigerjahre endgültig an der Spitze der deutschen Gourmet-Szene angelangt.

Zehn Jahre zuvor war das noch alles andere als absehbar gewesen. Im Spätherbst 1971 hatte der Bauunternehmer Fritz Eichbauer gerade sein Tantris in einem von ihm errichteten Nordschwabinger Neubaugebiet eröffnet, weil er endlich auch mal zu Hause so gut essen wollte wie in Frankreich. Bei Paul Bocuse und Marc Haeberlin hatte er sich erkundigt, wen er als Küchenchef nehmen sollte, und die hatten ihm den jungen Österreicher Eckart Witzigmann empfohlen.

Der arbeitete damals gerade als Sous-Chef im besten Restaurant von Washington, dem Jockey Club, und sollte eigentlich Privatkoch bei den Kennedys werden. Erst zog Witzigmann nicht so recht, aber dann ging Eichbauer auf alle seine teuren Umbauwünsche ein, was die Restaurantküche anging, und stellte ihm im Hochhaus hinter dem Tantris auch noch eine Wohnung im elften Stock. Also durften sich die Kennedys einen anderen Koch suchen, und für Eckart Witzigmann begann eine spannende Zeit.

Er tat sich anfangs gar nicht leicht mit seiner von Bocuse und Haeberlin inspirierten Version der Nouvelle Cuisine. Denn die Münchner waren vor allem an dem Holzkohlegrill interessiert, den es im Tantris auch gab, und an großen Steaks. "In den ersten Monaten kamen kaum Leute", erinnert sich Witzigmann in einem Interview mit der SZ, "wir wurden von den Platzhirschen mitleidig belächelt, man hat sich über uns lustig gemacht. Die positivste Prognose war, dass wir in drei Monaten wieder zusperren." Das recht avantgardistisch gestaltete Restaurant, das der Schweizer Architekt Justus Dahinden entworfen hatte, wurde zudem als "Fresskirche" oder "Autobahnkapelle" verspottet, und wenn Witzigmann auf der Suche nach besonderen Kräutern am Viktualienmarkt auftauchte, hieß es immer: "Da kommt der Gspinnerte wieder!" - so berichtet es Witzigmann lachend. Damals war das allerdings nicht lustig für ihn, wie man sich vorstellen kann, und er sagt, er habe oft gehadert mit seinem Entschluss, nach München zu gehen.

Die ersten zwei Jahre waren zäh, aber dann war der Durchbruch da, der erste Stern im Michelin, bekannte Restaurantkritiker wie Gerd von Paczensky und Wolfram Siebeck brachten das Tantris groß heraus. Es folgte der zweite Stern, und nach gut sieben Jahren suchte Witzigmann nach neuen Herausforderungen und machte sich mit dem Aubergine am Maximiliansplatz selbständig. Der Name leitete sich nicht nur vom Gemüse her, das Witzigmann gerne auf unterschiedlichste Art und Weise in seine Menüs einbaute, sondern auch von der Auberge de l'Ill, dem berühmten Drei-Sterne-Restaurant der Haeberlins im Elsass.

Der Rest ist Kulinarikgeschichte. An jenem legendären Abend des 19. November 1979, als ihm die Tester des Michelin eröffneten, dass er drei Sterne bekommen würde, gab es im Aubergine unter anderem Königskrabbe mit Erbsenschotensalat und Sevruga-Kaviar, Jakobsmuscheln und Seeigel-Zungen auf Wirsing mit Curry und Ingwer und Kalbsbries mit Stachys, Topinambur und Périgord-Trüffeln. Das umreißt schon ganz gut, worauf es Witzigmann immer ankam: Die regionale Küche mit der Haute Cuisine zusammenzubringen und eine Hauptzutat in den Mittelpunkt zu stellen. Mit seinen Worten: "Das Produkt ist der Star."

Mit den drei Sternen war der Weg geebnet für gehobene Küche aus Deutschland

Die Geschichte des Aubergine war an Silvester 1994 zu Ende, von dem Lokal sind gerade mal die Barhocker übrig, eine Bar hatte es dort ja auch gegeben. Sie stehen heute im Atelier "Art et vin", einer hübschen Brasserie an der Westenriederstraße. Aber die Namen derer, die im Aubergine und im Tantris gearbeitet haben, spielen größtenteils heute noch in der ersten Liga der Kochkunst. Viele nach wie vor noch in München: Bobby Bräuer, Martin Fauster, Hans Haas, Alfons Schuhbeck, Johann Lafer, Hans-Jörg Bachmeier, Karl Ederer, und das sind noch längst nicht alle. Das allein wäre schon bemerkenswert, aber eigentlich ist es die noch am wenigsten spürbare Auswirkung. Viel beeindruckender ist, was das für die Breite des gastronomischen Angebots nicht nur in München bedeutete, aber hier ganz besonders.

Mit den drei Sternen war endgültig der Weg geebnet für gehobene Küche aus Deutschland, und ein gewisser Ehrgeiz erwachte auch in den Restaurants und Lokalen unterhalb der ersten Reihe. Konnte man vor 30 Jahren in München oft genug noch Pech haben und richtig schlecht essen in einer Gaststätte, so passiert einem das heute kaum noch. Viele der heutigen Köche haben ihre Ausbildung zwar nicht mehr bei Witzigmann oder seinen Schülern gemacht, aber oft bei deren Nachfolgern und Schülern beziehungsweise in traditionellen Kaderschmieden wie Käfer, Königshof, Bayerischer Hof und Dallmayr.

Da bleibt etwas hängen. Und letztlich ist das der Boden, auf dem dann aktuell wieder ein Drei-Sterne-Restaurant - Jan Hartwigs Atelier im Bayerischen Hof - vier Zwei-Sterne- und sieben Ein-Sterne-Lokale blühen können. Dazu kommt auch noch die Breitenwirkung: Kochen ist heute für viele mehr als ein notwendiges Muss, um sich zu ernähren, sondern ein wichtiges Hobby. Und wer samstagabends spontan zum Essen gehen will, findet nicht so leicht einen freien Tisch, obwohl ständig neue Restaurants aufmachen. Viele machen zwar auch wieder zu, aber dass man sich über innovative Kochkunst in München lustig machen würde, wie es Eckart Witzigmann einst erlebte - das kann man sich so gar nicht mehr vorstellen.

Der Abend des 19. November 1979 endete übrigens für die Belegschaft des Aubergine in der legendären Bar Gratzers Lobby von Witzigmanns ehemaligem Restaurantleiter im Tantris, Gerald Gratzer. Heute befindet sich in den Räumen die ebenfalls sehr tolle Bar Gabanyi. Eine derart ausgelassene Feier wie damals dürfte dort seither aber nicht mehr stattgefunden haben. Wer dabei war, meint sich erinnern zu können, dass irgendwann sogar die Champagnervorräte ausgingen. Und Eckart Witzigmann ist sich sicher, "dass wir am nächsten Tag eher nicht auf Drei-Sterne-Niveau gekocht haben".

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