Süddeutsche Zeitung

Beim Sedlmayr:Ein Tempel der Münchner Küche

Das Wirtshaus "Beim Sedlmayr" schert sich nicht um gastronomische Moden - es gibt Fleisch und nochmals Fleisch, so wie es die Münchner immer schon gehalten haben.

Von Johanna N. Hummel

"Wer nichts wird, wird Wirt" gehört zu den Sätzen, die man nicht mehr zitieren sollte, weil sie so abgedroschen sind. Mit einer Ausnahme: Vor dreißig Jahren hat ein älterer Schauspieler den Satz ein wenig verwandelt. "Wer was worden ist, kann nur noch ein Wirt werden", sagte er, was einiges über seine Selbsteinschätzung erzählt. Ob er ein guter Wirt geworden wäre, konnte Walter Sedlmayr nicht mehr beweisen, 1990 wurde er ermordet. Im Februar 1989 hatte er in der Westenriederstraße sein Lokal eröffnet und auch als Wirt schien er eine seiner Paraderollen zu spielen, den königlich-bayerischen Hofkoch Hierneis.

"Beim Sedlmayr" heißt das Gasthaus bis heute, niemand wollte den Schauspieler vom Denkmal stoßen, nicht die Paulaner-Brauerei, nicht der Nach-Nachfolger Rudi Färber, der 2000, als Koch und Wirt berühmt, die Wirtschaft übernahm und zu einer Institution der bayerischen Küche machte. Sehr viel verändert hat sich mit den Jahren im Sedlmayr nicht: mittelbraune Holzvertäfelung, lange Tische, lange Bänke ohne Kissen. Eiserne Säulen unterteilen den Raum, ein paar Krüge stehen auf den Simsen, an den Wänden hängen Fotos, natürlich auch von Walter Sedlmayr. Tischbestellungen werden nur ab vier Personen angenommen, sonst hat man zusammenzurücken auf den Bänken. Alles trifft sich beim Sedlmayr, Prominente und Unbekannte, Stammtischler und Singles, der Geräuschpegel ist hoch.

Nun widerspricht das Wirtshaus mit seinem gewaltigen Zulauf allen Gastromoden. Die Speisekarte ist riesig, doch Vegetarier haben sich mit Käsespatzen oder mit Nudeln und Schwammerln zu begnügen, auch etwas Fisch steht auf der Karte. Beim Sedlmayr gibt es Fleisch und nochmals Fleisch, so wie es die Münchner immer schon gehalten haben. Ludwig Wallner vom Gasthaus Großmarkthalle, der Rudi Färber beste Würste liefert, sagte einmal: "Ich will nicht modern sein." Rudi Färber sieht das offenbar nicht anders, und die Gäste scheinen es zu mögen.

In einem Punkt aber war die Münchner Küche immer modern. Es wird nach dem "nose-to-tail"-Prinzip gekocht, und das seit Jahrhunderten. Der Gast geht zum Sedlmayr, weil er dort besondere Essen bekommt, Briesmilzwurst oder saure Nieren oder saure Kalbsleber, die Teller randvoll. Innen rosa, bedeckt mit geschmolzenen Zwiebeln und einer feinsäuerlichen Sauce wurde die Leber aufgetragen, zusammen mit knusprigen Bratkartoffeln. Besser kann Leber nicht schmecken. Das gilt auch für die Kalbsleber mit Reherln und die Entenleber mit Champignons. Fast alle Teile vom Kalb stehen auf der Karte, zum Beispiel Kalbskopfbackerl. Das butterweiche, feine Fleisch war von einer dünnen knusprigen Panade umhüllt, dazu gab es eine würzige Remoulade (15,50 bis 17,50).

Nun ist eine ausufernde Speisekarte, auf der - von winzigen Variationen abgesehen - die immer gleichen Gerichte stehen, normalerweise Grund für Kritik. Aber beim Sedlmayr zählt das nicht. Die Karte gehört zum Geschäftsprinzip wie der grüne Salat, angemacht mit wenig Essig, wenig Öl und viel Wasser, bayerisch halt (zum Feldsalat gab es ein feines Balsamico-Dressing). Die meisten Essen schmeckten nicht nach Routine, der Leberknödel in kräftiger Fleischbrühe zum Beispiel. Bei der Pfannkuchen-Suppe allerdings lagen dicke Fridatten-Streifen in einer wässrigen Flüssigkeit. Doch das war an einem hektischen Freitag, als schon um 19 Uhr viele Gerichte ausverkauft waren. Von der Fischsuppe konnte die Kellnerin noch eine kleine Portion auftreiben, was sich gelohnt hat, viele gute Fischstücke schwammen in einer intensiven Brühe (5,50 bis 6,50).

Ohne die Kellnerinnen wäre es im Gasthaus nur halb so schön. Schnell sind sie, streng und doch herzlich, wer ihnen dumm kommt, wird auch mal zusammengeputzt. Selbst im Gedränge merken sie sich jeden Gast und seine Wünsche. Das Bier wurde sofort gebracht, und das Paulaner Hell vom Fass schmeckte frisch (die Halbe 4,40). Bei den offenen Weinen ist das Angebot erstaunlich gut, ob die Weißen Sauvignon blanc und Roter Veltliner oder die rote Ursprung Cuvée vom Pfälzer Markus Schneider (0,2 Liter 6,50 bis 7,50).

Die Köche, denen man zuschauen kann, produzierten sehr schnell sehr viele Essen und dabei erstaunlich wenige Pleiten. Das Krautwickerl, umhüllt nur von einem Hauch von Kraut, schmeckte aufgewärmt (10,50). Das Spanferkel mit geschmeidigem Kartoffelknödel und feinem Bratensaft hatte wohl in einer Warteschleife gehangen, trocken war es, die Kruste so elastisch wie ein Gummiband. Und die sorgsam gesottene, zarte Ochsenbrust wurde mit einem Wirsing aufgetragen, der in einer Mehlpampe abgesoffen war (13,50 und 14,50).

Sünden waren schnell verziehen in diesem Tempel der Münchner Küche, vor allem, als wir vor dem Kaiserschmarrn mit Apfelmus saßen, eine Portion reichte leicht für drei: der Teig locker, rundum karamellisiert, etwas überzuckert, einige Zibeben, sonst nichts (13,50). Zur Zeit des königlichen Hofkochs Hierneis hieß er Mehlschmarrn und wurde mit zehn Eiern auf 210 Gramm Mehl gebacken. Das braucht es nicht, der Schmarrn beim Sedlmayr war kaiserlich gut.

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SZ vom 31.01.2019/vewo
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