Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:München ist die Hauptstadt der Dax-Konzerne

  • Mit bald acht Unternehmen beheimatet München bundesweit die meisten der im Deutschen Aktienindex vertretenen Firmen.
  • Mit dem Triebwerksbauer MTU gesellt sich demnächst ein weiteres Münchner Unternehmen in die Riege der 30 wertvollsten deutschen Betriebe.
  • Dass so viele der Dax-Unternehmen in München sitzen, bringt Chancen für die Stadt - und Herausforderungen.

Von Caspar Busse

Ein übergroßes Plakat hing an der Fassade der Hauptverwaltung. "Wir sind Dax", stand darauf, darunter waren die Namen aller 2000 Mitarbeiter in der Zentrale zu lesen. Mächtig stolz war der Vorstand von Pro Sieben Sat 1 im März 2016, als das Fernsehunternehmen mit Sitz in Unterföhring den Aufstieg in den Deutschen Aktienindex (Dax) geschafft hatte, als erstes Medienunternehmen überhaupt in der Liga der 30 wichtigsten und größten börsennotierten Konzerne Deutschlands. Diese Beförderung sei "Würdigung und Ansporn", sagte der damalige Vorstandsvorsitzende Thomas Ebeling. Pro Sieben Sat 1 hatte von da an deutlich mehr Aufmerksamkeit, von internationalen Investoren, Anlegern und der Öffentlichkeit. Doch die Freude währte nicht lang: Nur zwei Jahre später, im März 2018, war der Traum vorbei. Das Unternehmen, das in eine Krise gerutscht war, musste den Dax wieder verlassen.

Es ist ein andauerndes Auf und Ab. Den Dax gibt es bereits seit 1988. Und immer wieder wird er neu zusammengesetzt, immer wieder gibt es Auf- und Absteiger. Viele berühmte Namen verschwanden so aus dem Index, in München waren das zum Beispiel der Nutzfahrzeughersteller MAN, die Hypo-Vereinsbank (die einst selbst aus den Münchner Dax-Firmen Bayerische Vereinsbank und Hypo-Bank entstanden war) oder der Mischkonzern Viag. Sie alle wurden übernommen und gingen in größeren Unternehmen auf. Doch bei allen Veränderungen gab es all die Jahre stets eine Konstante: Die meisten Dax-Unternehmen kamen und kommen nach wie vor aus dem Großraum München. Die bayerische Metropole ist Dax-Hauptstadt.

Am 23. September wird der Triebwerksbauer MTU Aero Engines dort den traditionsreichen Stahlkonzern Thyssenkrupp ersetzen. Die Erfolgsfirma mit Hauptsitz an der Dachauer Straße im Norden der Stadt entwickelt und produziert Antriebe aller Art für Zivil- und Militärflugzeuge, unter anderem für das Airbus-Modell A 320, einer der Bestseller, der Umsatz steigt stetig. In den vergangenen zehn Jahren ist der Aktienkurs um immerhin 750 Prozent gestiegen. Inzwischen werden mehr als 10 000 Mitarbeiter beschäftigt.

MTU ist die Dax-Nummer acht aus der Stadt und dem Landkreis München. In der obersten Börsenliga sind Siemens, BMW, Allianz und Linde bereits seit der Gründung des Dax dabei. Acht Jahre später kam die Munich Re dazu, der größte Rückversicherer der Welt, und mit dabei sind derzeit außerdem der Chip-Produzent Infineon mit Sitz in Neubiberg sowie seit September 2018 der Zahlungsdienstleister Wirecard aus Aschheim.

Etwa jede vierte Dax-Firma kommt also aus der Bayern-Metropole, die Bedeutung ist aber noch größer. Denn der addierte Gesamtwert der acht liegt bei rund 380 Milliarden Euro, und damit bei rund einem Drittel des gesamten Dax (der es auf mehr als eine Billion Euro bringt).

Aber warum sind Dax-Unternehmen überhaupt wichtig für eine Stadt? Zum einen prägen große und erfolgreiche Konzerne natürlich das Image einer Wirtschaftsregion. "Das ist vor allem auch ein Zeichen, dass München ein attraktiver Standort ist und wirtschaftlichen Erfolg hat. München verfolgt eine erfolgreiche Standortpolitik", sagt Christoph Kaserer, Professor für Betriebswirtschaft an der Technischen Universität München (TU). Ein wenig Glück war aber auch dabei: So brachten Siemens und Allianz nach dem Krieg ihre Zentralen von Berlin nach München und legten dadurch den Grundstein für den Aufschwung. BMW wiederum entging Ende der Fünfzigerjahre nur knapp der Übernahme durch den Konkurrenten Daimler.

Entscheidend sind Konzerne auch für den Hochschulstandort. "Es gibt eine wichtige Korrelation zwischen der Größe eines Unternehmens und seinen Forschungsausgaben und seinen Forschungsaktivitäten", sagt Kaserer. Gerade die TU arbeitet eng mit Unternehmen wie BMW oder Siemens zusammen, und Linde unterstützt die TU auch finanziell. "Große und bekannte Unternehmen locken kluge Leute an, das sehen wir auch bei unseren Studenten. Die wollen oft auch nach München, weil es hier gute Firmen gibt", stellt Kaserer fest.

Ähnlich sieht das Clemens Baumgärtner. "Natürlich sorgen Dax-Unternehmen insgesamt für eine gewisse Leuchtkraft, das macht uns auch sexy", sagt der Referent für Wirtschaft und Arbeit der Stadt München. Dax-Konzerne ziehen oft andere Unternehmen nach, Dienstleister, Forschungsfirmen oder Lieferanten. Sie bringen Kapital und hochqualifizierte Mitarbeiter und investieren in Forschung. "Die schönsten Lehrstühle bringen ja nichts, wenn es keine Unternehmen gibt, die aus den Ideen auch Produkte machen. Konzerne und große Universitäten befruchten sich und schaukeln sich gegenseitig hoch, im positiven Sinn", so Baumgärtner. Eine Reihe international wichtiger Unternehmen siedeln sich auch deshalb in München an, etwa Amazon oder Google.

Das wiederum kann ein gutes Klima für Neugründungen schaffen. So gibt es an den Universitäten, aber auch von den Unternehmen selbst spezielle Programme, um erfolgreiche Start-ups zu entdecken und zu fördern - das wiederum schafft neue Jobs im Großraum München. Das Unternehmen Wirecard etwa wurde erst 1999 gegründet und hat heute bereits mehr als 5000 Beschäftigte.

Ein positives Beispiel ist auch Infineon; der Konzern ist erst knapp 20 Jahre alt. Siemens brachte im Jahr 2000 sein Halbleitergeschäft unter diesem Namen an die Börse, danach wurde Infineon schnell erfolgreich und stieg in den Dax auf. Später schrammte der Konzern zwar an der Insolvenz entlang, heute ist Infineon mit insgesamt 40 000 Mitarbeitern aber weltweit einer der international wichtigsten Chiphersteller. Siemens hat seitdem weitere Geschäfte ausgegliedert, Osram etwa oder die Medizintechnik; letztere hat ihren Sitz aber im mittelfränkischen Erlangen.

Gut sind Dax-Unternehmen natürlich auch für den Haushalt der Stadt. "Je mehr Unternehmen es in München gibt, desto mehr wird verdient, desto höher sind auch die Gewerbesteuereinnahmen", sagt Wirtschaftsreferent Baumgärtner. Der städtische Etat hat ein Volumen von etwa 7,5 Milliarden Euro, davon kommen aus der Gewerbesteuer rund 2,7 Milliarden Euro - mehr als ein Drittel.

Diese Einnahmen sind dringend nötig, denn es muss in Infrastruktur, Wohnungsbau und kommunale Angebote investiert werden - der Druck in der Stadt steigt mit dem wirtschaftlichen Erfolg. Baumgärtner legt jedoch Wert darauf, dass die Stadt dabei nicht einseitig von wenigen Großen abhängig ist. "Wir haben hier die berühmte Münchner Mischung: kleine Firmen, Mittelständler und große Konzerne - das macht uns relativ unanfällig für konjunkturelle Schwankungen", betont er.

"München als Wirtschaftshochburg wird auch in den kommenden Jahren weiterhin Bestand haben", teilte vor einigen Wochen Georg Tacke mit, Chef von Simon, Kucher & Partners. Die Unternehmensberatung hat eine sogenannte Börsenliga erstellt, in der die deutschen Städte nach dem Wert sämtlicher börsennotierter Unternehmen geordnet sind, also nicht nur nach denen der 30 Dax-Firmen. Auch hier ist München mit deutlichem Abstand auf Platz 1 - übrigens vor dem kleinen Walldorf, der Heimatstadt von SAP.

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SZ vom 14.09.2019/lfr
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