SZ-Serie: Münchens junge Unternehmen:Smartes Heizen auf Spar-Flamme

SZ-Serie: Münchens junge Unternehmen: Christian Deilmann (links) und Johannes Schwarz haben 2011 gemeinsam Tado gegründet. Sie waren die Ersten in Europa, die smarte Thermostate für Heizungen anboten.

Christian Deilmann (links) und Johannes Schwarz haben 2011 gemeinsam Tado gegründet. Sie waren die Ersten in Europa, die smarte Thermostate für Heizungen anboten.

(Foto: Florian Peljak)

Tado hat intelligente Thermostate entwickelt, die beim Energiesparen helfen. Sie lassen sich mit dem Handy steuern und funktionieren fast mit jeder Heizung. Der Hersteller verspricht: Kunden zahlen gut 20 Prozent weniger als vorher.

Von Catherine Hoffmann

Es gab Zeiten, da hatten Verbraucherinnen und Verbraucher wenig Interesse am Energiesparen. Viele wussten nicht einmal, wie viel sie für Strom, Gas oder Wärme bezahlen, weil die Kosten vom Konto abgebucht wurden und nicht weiter schmerzten. Erst recht gab es kaum Menschen, die das Bedürfnis hatten, die Temperatur in ihrer Wohnung mit dem Handy zu steuern. Warum auch?

"Als wir 2011 gestartet sind, waren wir die Ersten in Europa, die smarte Thermostate für Heizungen anboten, die sich mit dem Smartphone regeln ließen", sagt Christian Deilmann, einer der Gründer und Chef des Münchner Start-ups Tado. "Wir waren mit dem Thema früh dran. Die Leute waren noch gar nicht so weit." Das lag auch daran, dass damals erst 40 Prozent der Deutschen ein Smartphone hatten - und es vor allem zum Telefonieren nutzten.

Heute besitzt so gut wie jeder ein Handy - und die Energiepreise haben sich vervielfacht. Noch im vergangenen Jahr kostete Gas in München sechs Cent pro Kilowattstunde, jetzt müssen Verbraucher 22 Cent dafür zahlen. Eine Preiserhöhung um mehr als 260 Prozent. Wer vorher eine Heizkostenrechnung von 1500 Euro im Jahr hatte, würde künftig fast 5500 Euro bezahlen, wenn es nicht die Strom- und Gaspreisbremse gäbe, die dafür sorgen soll, dass sich die Energiekosten im nächsten Jahr "nur" verdoppeln. Die 1500 werden zu 3000 Euro, auch dies eine massive Verteuerung. Der Grund dafür: Europa braucht etwa 400 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, 160 davon kamen bislang aus Russland. Die kommen nicht mehr. Und jetzt?

Private Haushalte verbrauchen knapp ein Drittel der Energie in Deutschland

Jetzt heißt es: Alle müssen Energie sparen, die Heizung herunterdrehen, die Häuser dämmen. Aber fast jedes Mal, wenn die Bundesnetzagentur neue Verbrauchszahlen für Gas veröffentlicht, sieht man: so viel haben wir nicht gespart. Wie das Ziel von 20 Prozent erreicht werden soll, weiß kein Mensch.

"Der Preis ist der einzige Hebel, der die Leute zum Nachdenken und Handeln bewegt", sagt Deilmann. "Energiesicherheit in Europa, das ist ja eher ein akademisches Thema, bei dem die Leute sagen: Sollen sich die Politiker und Konzernchefs doch damit beschäftigen." Dabei wird gern vergessen: Private Haushalte verbrauchen knapp ein Drittel der Energie in Deutschland - und davon entfallen mehr als drei Viertel auf Heizen und Warmwasser.

SZ-Serie: Münchens junge Unternehmen: Regelung der Heizung per App am Handy: Zimmer für Zimmer kann man die gewünschte Temperatur einstellen und auch Zeitpläne festlegen.

Regelung der Heizung per App am Handy: Zimmer für Zimmer kann man die gewünschte Temperatur einstellen und auch Zeitpläne festlegen.

(Foto: Florian Peljak)

Deilmann öffnet die Tado-App auf seinem Handy, um einmal ganz praktisch zu zeigen, was möglich ist: Jeder seiner Kunden sieht, wieviel Euro er im vergangenen Monat für Wärme ausgegeben hat, wie viel vor einem Jahr. "Ein Ein-Personen-Haushalt verbraucht derzeit schnell 240 Euro pro Monat für Heizkosten und warmes Wasser", sagt der Unternehmer. "Wenn ich hier 22 Prozent einspare, dann sind das gut 50 Euro im Monat - damit kann man schon etwas anfangen." 22 Prozent - so viel spart Deilmann zufolge ein durchschnittlicher Tado-Kunde mit der smarten Technik.

Deilmann kommt aus dem Rheinland. 2002 zieht er nach München, um an der TU Maschinenbau und Management zu studieren, Schwerpunkt Energietechnik. "Anfangs habe ich viel an Brennstoffzellen geforscht, dann habe ich mich mit Windkraftanlagen und der Frage beschäftigt, wie die Rotorblätter geformt sein müssen, damit sie effizient sind", erzählt er. Noch als Student wechselt Deilmann nach Boston ans Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT. Dort geht er für eine Arbeit über globale Energieflüsse den Fragen nach: Wo wird Energie erzeugt? Wo wird sie verbraucht? Wie wird sie transportiert?

"Dabei ist mir aufgefallen, dass 30 Prozent der weltweiten Energie fürs Heizen und Klimatisieren von Gebäuden verbraucht wird, mehr als im gesamten Transportsektor und mehr als in der Industrie", sagt der Maschinenbauer. Ganz normale Häuser mit Öl- oder Gasheizungen im Keller sind der größte Energieverbraucher der Welt - und damit auch der größte CO₂-Emittent. In Deutschland ist der Anteil wetterbedingt noch höher. "Das gab mir den Anstoß, darüber nachzudenken, wie man das besser machen kann", sagt er.

Ein Mitbewohner will es kühl haben am Abend - so entsteht die Idee einer Fernsteuerung

Damals wohnte er in einer Vierer-WG, die jeden Monat knapp 1000 US-Dollar für Strom ausgab. Die Sommer in Boston sind heiß und schwül, also lief die Klimaanlage Tag und Nacht, obwohl tagsüber meist niemand da war. "Ich schlug beim Abendessen vor, wir machen sie in dieser Zeit aus", sagt er. Aber: Ein Mitbewohner ist dagegen. Er will es schön kühl haben, wenn er abends nach Hause kommt. "So entstand die Idee, die Klimaanlage aus der Ferne zu steuern", sagt Deilmann. Man macht sie morgens aus und stellt sie per Smartphone wieder an, bevor man zurückkehrt. "So spart man Energie, und hat eine kühle Wohnung, wenn man heimkommt."

Gemeinsam mit seinem Kommilitonen Johannes Schwarz, der Softwareentwickler ist, wird er später aus dieser Idee ein Geschäft machen und das Start-up Tado gründen. Aber noch ist es nicht so weit. "Wir hatten beide das Gefühl, wir müssen erst mal in einem normalen Job Geld verdienen, bevor wir uns ins Abenteuer stürzen", sagt Deilmann. Er geht zurück nach Deutschland und lernt bei der Münchner Venture-Capital-Firma Target Partners, wie Gründer ihre Firmen aufbauen.

SZ-Serie: Münchens junge Unternehmen: Messung digitaler Signale von Platinen: Schon vor der Unternehmensgründung haben Deilmann und Schwarz Prototypen entwickelt. Das tun sie heute noch - in der Münchner Werkstatt.

Messung digitaler Signale von Platinen: Schon vor der Unternehmensgründung haben Deilmann und Schwarz Prototypen entwickelt. Das tun sie heute noch - in der Münchner Werkstatt.

(Foto: Florian Peljak)

Doch Schwarz und Deilmann können von ihrer Idee nicht lassen, arbeiten abends und am Wochenende an Prototypen, und kommen zum Schluss: "Entweder ziehen wir das jetzt durch - oder wir hören auf", sagt Deilmann. Das Hobby ist zu zeitintensiv geworden. "Am Ende haben wir unsere Jobs gekündigt und geguckt, was es an Fördertöpfen gibt", sagt der Gründer. Das Innovation & Entrepreneurship Center der LMU stellt gratis ein Büro zur Verfügung, Unternehmer-TUM hilft beim Antrag für ein Exist-Gründerstipendium, auch das Arbeitsamt zahlt einen Zuschuss. Und aus dem europäisches Programm Climate-KIC gibt es Geld. Alles in allem genug, um die ersten Produkte zu entwickeln und Mitarbeiter einzustellen.

"Heute stehen wir mit über drei Millionen verkauften Thermostaten kurz vor der Profitabilität", sagt Deilmann. "Die Energiekrise hat uns einen großen Schub gebracht." Seit die Gaspreise in die Höhe geschnellt sind, kaufen mehr und mehr Menschen die intelligenten Thermostate und Regler von Tado für ihre Heizungen und Klimaanlagen. In München habe die Anzahl der Neuinstallationen zwischen September und November 2022 im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres um 230 Prozent zugenommen. Insgesamt sei der Umsatz um rund 100 Prozent gestiegen. Fragt man Deilmann, soll es in diesem Tempo weiter aufwärts gehen.

Nur fünf Prozent der deutschen Haushalte haben smarte Thermostate

Tado verkauft seine Systeme in ganz Europa, der deutschsprachige Raum macht ein Viertel des Umsatzes aus. Außerhalb Deutschlands sind Großbritannien und die Niederlande die wichtigsten Märkte für das junge Unternehmen. "Europaweit sind wir Marktführer, auf Platz zwei folgt Google Nest", sagt Deilmann, aber dessen smarte Thermostate seien in Deutschland nicht zu haben. Überhaupt gebe es hier noch einen großen Nachholbedarf: Nur zwischen fünf und zehn Prozent der deutschen Haushalte hätten smarte Thermostate installiert, in den Niederlanden seien es bereits rund 25 Prozent.

Ein Starter-Kit von Tado mit einem Thermostat und einer Internet-Bridge ist ab 120 Euro zu haben, jeder weitere Heizkörper-Thermostat kostet 70 Euro. "Die Anschaffung amortisiert sich schon im ersten Jahr", sagt Deilmann - und das nicht erst, seit die Energiepreise verrückt spielen. Die Technik funktioniere in 95 Prozent aller Haushalte europaweit, unabhängig davon, welche Marke die Heizung hat, egal, ob sie mit Gas, Öl, Pellets oder als Kraft-Wärme-Kopplung arbeitet. Die intelligenten Thermostate eigneten sich für Mietwohnungen mit Zentralheizung ebenso wie für Einfamilienhäuser. Deren Bewohnern empfiehlt Deilmann allerdings die Kombination mit einem Gerät, das an die Heizungsanlage angeschlossen wird - und diese gleichsam digitalisiert.

SZ-Serie: Münchens junge Unternehmen: Smarter Heizkörper-Thermostat von Tado: Jedes Grad, um das Verbraucher die Temperatur senken, reduziert den Energieverbrauch um sechs Prozent.

Smarter Heizkörper-Thermostat von Tado: Jedes Grad, um das Verbraucher die Temperatur senken, reduziert den Energieverbrauch um sechs Prozent.

(Foto: Florian Peljak)

Die Thermostate seien einfach zu installieren, fast alle Kunden machten dies selbst: Man schraubt das alte Thermostat ab - notfalls mit Hilfe einer Rohrzange - und schraubt das neue an. Dann steckt man die Internet-Bridge in den Router und installiert die Tado-App auf dem Smartphone. Nun müssen nur noch die QR-Codes auf den Thermostaten fotografiert und in der App den verschiedenen Räumen zugeordnet werden. "Das dauert bloß ein paar Minuten", verspricht Deilmann. Und schon lässt sich die Heizenergie übers Handy steuern.

Zimmer für Zimmer kann man die gewünschte Temperatur einstellen und auch Zeitpläne programmieren. Dabei sollten Verbraucher im Kopf haben, dass jedes Grad, um das sie die Temperatur reduzieren, Energieverbrauch und Kosten um sechs Prozent senkt. Im Bad muss es vielleicht nur für zwei Stunden am Morgen richtig warm sein. Und wer tagsüber im Büro ist oder am Wochenende verreist, wird die Wohnung nicht auf 22 Grad heizen. Das Programm erkennt - wenn man es lässt - automatisch, ob jemand zu Hause ist oder nicht. Und es bemerkt auch, wenn ein Fenster geöffnet wird. Dann geht die Heizung in diesem Raum aus - ein normales Thermostat würde Vollgas geben und zum Fenster hinaus heizen.

Tado

  • Geschäftsidee: Tado ist der europäische Marktführer für intelligentes Raumklima-Management. Als einzige herstellerübergreifende Plattform sind smarte Thermostate und Services von Tado mit jeder Art von Heizung oder Kühlsystem kompatibel.
  • Beschäftigte: 180
  • Standort: München
  • Kunden: In mehr als 500 000 Haushalten wurden mittlerweile rund drei Millionen smarte Thermostate installiert.
  • Gründungsjahr: 2011
  • Gründer: Christian Deilmann und Johannes Schwarz
  • Funding: mehr als 100 Millionen Euro
  • Firmenwert: keine Angabe

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